Frankreich/D 2016 · 110 min. · FSK: ab 12 Regie: Olivier Assayas Drehbuch: Olivier Assayas Kamera: Yorick Le Saux Darsteller: Kristen Stewart, Lars Eidinger, Sigrid Bouaziz, Anders Danielsen Lie, Ty Olwin u.a. |
||
Unaufdringlich präsent – Kristen Stewart |
»Da streiten sich die Leut herum / oft um den Wert des Glücks, / der eine heißt den andern dumm, / am End weiß keiner nix! / Da ist der allerärmste Mann / dem andern viel zu reich, / das Schicksal setzt den Hobel an / und hobelt alle gleich!«
»Das Hobellied«, im Film Personal Shopper, gesungen von Marlene Dietrich.
Neugier und Angst verbinden sich: Ein Auto bewegt sich durch einen herbstlichen Wald. Es fährt durch die Einfahrt eines noblen Grundstücks. Vor dem Gebäude lässt die Fahrerin eine zweite junge Frau, mit der sie offensichtlich befreundet ist, heraus. Sie gibt ihr die Hausschlüssel, wünscht ihr Glück, am nächsten Morgen werde sie sie abholen. Die, die zurückbleibt, ist Maureen, die von Kristin Stewart gespielte Hauptfigur. In Jeans und Turnschuhen erkundet sie das alte europäisch-großbürgerliche Herrenhaus, dessen Inneres Maureen offenbar vertraut, aber bis auf wenige Möbel verlassen und leer ist. Nur eine Taschenlampe dient ihr zur Beleuchtung, und als bald darauf die Dunkelheit einbricht, ist klar, dass die junge Frau hier die Nacht verbringen wird. Auch warum, daran gibt es allmählich keine Zweifel mehr: Sie sucht an diesem Ort aktiv den Kontakt zu etwas Jenseitigem. Und tatsächlich: Plötzlich taucht hinter ihr aus dem Dunkel ein Lichtschatten auf. Er bewegt sich ständig, zeigt bald die vage Form eines Gesichts, dann eines Totenkopfes, dann eines Körpers – es ist ganz offensichtlich etwas Geisterhaftes, das der jungen Frau begegnet, die hier die Nacht verbringt um genau diese Begegnung mit dem Jenseits herbeizuführen. Oder mit den eigenen Phantasien.
Wo sind wir hier hineingeraten? Auch als Zuschauer begegnet man hier dem Imaginären. Und der erste Gedanke gilt der Schauspielerin, dem Star in diesem Film über das Leben der Stars und über die Menschen, um sie herum: Kristin Stewart.
Schon nach wenigen Minuten hat das Zwielicht, das Flirren zwischen dieser und einer anderen Welt, das ihren bislang größten Kino-Erfolg die Teenie-Vampirschmonzette Twilight charakterisiert, die Schauspielerin Kristin Stewart, selbst eine der im besten, spannenden Sinne flirrend-irritierendsten der aktuellen Filmszene, zurück. Sie wird bis zum Ende dieses Films aus ihm nicht heraustreten.
Stewart steht ganz und gar im Zentrum von Olivier Assayas' neuem Film. Sie ist in fast jedem Bild zu sehen. Man soll sich mit ihr identifizieren, ihr verfallen, sich von ihr distanzieren. Bei ihrer Figur handelt es sich um eine junge Frau, die im Dienst einer nicht näher definierten Pop-Berühmtheit namens Kira Markenklamotten, echten Schmuck und andere sündteure Waren zumeist kostenlos für einen einmaligen werbewirksamen Auftritt ausleiht. Dies ist die merkwürdige Profession der Personal Shopper. Sie gibt es wirklich, sie sind »Boudy Doubles« und »Stand-Ins« anderer Art – Stand-In heißen die Namenlosen, die beim Film-Dreh vor der Kamera stehen, wenn ein Star nur von hinten oder sonstwie unkenntlich gefilmt wird –, Avatare des richtigen Lebens, die dem Star in der Körpergröße so perfekt ähneln, dass sie für ihn Kleidung anprobieren können, die seinen Geschmack derart verinnerlicht haben, dass sie für ihn allerlei lästige Dinge wie eben Einkaufen und Zurückbringen erledigen können. Einmal wird sie spontan gebeten, Kira sogar bei einem Photo Shoot zu ersetzen. Man erfährt nie,wie Maureen zu dieser Tätigkeit gekommen ist, aber sie ermöglicht dieser 27-jährigen Frau nicht nur ein glamouröses, wenn auch nicht stressfreies Leben zwischen ihrer Heimat Paris und anderen Metropolen Europas, sondern auch, sich in einem fremden Leben gewissermaßen als Stellvertreterin einzurichten. Sie lebt es nicht ganz, aber ein bisschen – und das passt ihr offensichtlich gut, weil dieses Leben auch eine Weise ist, dem eigenen, »eigentlichen« auszuweichen. Mit diesem Beruf hat Assayas sein Thema in diesem Film früh gesetzt: Die Infragestellung von Identitäten, und die Motive des Doppelgängers und Stellvertreters. So sehr Maureen wie zu allem anderen auch zu Kira und ihrer Welt der Auftritte und der permanenten Medienpräsenz Distanz pflegt, so sehr gibt es doch eine Ebene klammheimlicher Verschmelzung. Denn wir sehen sie später, wie sie – was ihr streng verboten ist – heimlich selber die geliehene Kleidung ausprobiert, in Kiras Bett übernachtet, sich darin sexuell befriedigt – wobei nie klar wird, an wen sie dabei möglicherweise (wenn überhaupt) denken könnte: an Kira, deren sonderbaren deutschen Liebhaber, den Journalisten Ingo, oder ihren eigenen Freund, mit dem sie den ganzen Film über nur per Internet in Fernbeziehung verbunden bleibt.
Ihre Schwäche ist das Begehren, von den Dingen zu kosten, die anderen vorbehalten sind. Es ist ein Märchenglaube an die Kraft und Ausstrahlung der Objekte, ihre stabilisierende, rettende und heilende Kraft. Maureen weiß um die Gefährlichkeit dieses Glaubens: Sie durchschaut ihn, sagt Sätze wie »Kein Begehren ohne Furcht.« Es geht also um Fetischismus. Assayas verdammt ihn nicht, sondern er versteht und verteidigt ihn. Und die besten seiner Bilder feiern ihn.
Der zentrale Motivstrang von Personal Shopper sind aber Medien. Nicht allein im herkömmlichen Sinn, obwohl dies sehr wohl eine ironisch-skeptische Reflexion der gegenwärtigen Celebrity-Kultur ist, mit Mode und Pop, wie auch die sarkastische Abrechnung mit den sie transportierenden und verstärkenden Medien: »Ich mag keine Magazine« sagt Maureen zum Beispiel einmal, »Magazine verkaufen den Leuten Scheiße, nur für die Anzeigenkunden, nie für die Leser.« Dies ist auch ein Film, in dem wichtige Informationen und große Teile der Dialoge über im Film präsente, von ihm also visualisierte und für den Betrachter verdoppelte Medien zu sehen sind: Über das Internet, über Bild-Telefonate, nicht zuletzt aber auch über Smartphone-Texte.
Schließlich geht es hier aber auch um Menschen, die »Medien« sein können, also Empfangsstationen für Stimmen aus dem Jenseits, ohne die die Nachrichten aus der anderen Welt nicht zu verstehen sind. Der Hintergrund der anfänglichen Geisterszene ist nämlich der, dass Maureen davon überzeugt ist, selbst ein solches Medium zu sein. Seit kurzem hat sie hierzu auch ein persönliches Interesse: Denn ein paar Monate zuvor verstarb ihr Zwillingsbruder an einem Herzfehler, den auch sie geerbt hat. Den Verlust hat sie noch nicht verarbeitet, der Kontakt mit dem Toten soll ihr dabei helfen, und ein Versprechen erfüllen, das sich die Geschwister gaben – einander im Fall des Todes »ein Zeichen« zu senden – zugleich ihre Angst vor dem eigenen Tod besiegen. Mit Maureen taucht der Film ein in die Kulturgeschichte der Geisterseher, des Spiritismus und der Parapsychologie. Hochspannend sind die verbürgten Episoden, die Assayas mit den Augen Maureens und mithilfe – zum Teil erfundener Dokumentationen – erzählt: Von Victor Hugos regelmäßigen Seancen, bei denen er »Gespräche« mit unter anderem Shakespeare, Molière und Jesus Christus führte, und von denen er detaillierte Transkripte anfertigte. Oder die Malerin Hilma af Klimt, die darauf bestand, ihre in den Jahren nach 1900 entstandenen abstrakten Gemälde seien durch sie von einem Geist gemalt worden.
In einer Szene bündeln sich all diese Motive: Auf einer Zugfahrt durch den Kanaltunnel wird Maureen von einem unbekannten Wesen (einem Geist?) kontaktiert – via SMS. Trotz aller Zweifel und zahlreicher unbeantworteter Fragen nach Identität und Geschlecht des anderen, lässt sie sich auf einen langen Austausch ein. Sogar ein Treffen wird anvisiert, doch bevor es dazu kommt, wendet sich das Geschehen in ein Mord- und Raubkomplott.
So vermischt Assayas virtuos und stilistisch überaus souverän Geistergeschichte und Horrormovie. Man kann diesen Film aus der Welt der Stars und der Medien als Fortsetzung seines letzten Film Die Wolken von Sils Maria ansehen. Am ehesten aber ist Personal Shopper ein Psychothriller, ein Film über Identität, Erinnerung, Trauerarbeit und eine philosophische Reflexion über die alte Frage, wie rational die Welt verfasst ist. Für den erklärten Agnostiker Assayas geht es nicht um eine Aufwertung von Esoterik und Parapsychologie – dies ist im Gegenteil eine Dekonstruktion des Horrors, eine Deutung der Geisterwelt als von Menschen gemachte –, sondern um den Anteil des Phantastischen in unserem Alltag: In den Medien in denen wir zu imaginären Wesen Kontakt halten, und andere leicht über unsere – sexuelle, soziale, politische – Identitäten täuschen, mit ihnen spielen können. Durch den Anteil unseres Unterbewussten.
Maureen sieht zwar tatsächlich Geister, und wir mit ihr, aber vielleicht bildet sie sich das ja nur ein? Assayas hält all dies wohltuend offen. Immer bleibt aber die Figur Maureens im Zentrum. Es gibt kaum eine Szene ohne sie. In ihr verbinden sich die Neugier und die Angst. Der zentrale Wesenszug ihres Charakters sind nicht die Einsamkeit, oder die Trauer oder ihre unbestimmte Angst – es die Distanz.
Maureen ist ein Medium, weil sie bereit und fähig ist, sich auf nahezu alles einzulassen. Sie ist ganz durchlässig, ganz transparent und offen für die Welt. In ihrer Wandlungsfähigkeit gleicht sie einem Chamäleon. Doch deren »dunkle Seite« ist, dass sie sich selbst verloren geht. Ihr wunder Punkt, sie für Manipulationen anfällig macht, ist nicht allein der Geisterglaube, sondern der Märchenglaube, das alles möglich ist, der das heiße Herz des Kapitalismus ist und unsere Welt zusammenhält. Mit der Figur dieser jungen Frau hat Assayas' herausragender Film ein ungemein treffendes archetypisches Portrait einer ganzen Generation geschaffen: Jener Mitzwanziger des reichen Westens, denen zwar die Welt offen steht, die auf alles neugierig und zu allem bereit sind, die aber nicht wissen wozu. Sie sind die wahren Geister unseres Zeitalters.
Ruhm und Verlorenheit waren zentrale Themen in Olivier Assayas‘ melancholischem Drama Die Wolken von Sils Maria, in dem Kristen Stewart als schwer geforderte Assistentin einer Star-Schauspielerin zu sehen war. Eine ähnliche Rolle bekleidet die durch ihre Twilight-Auftritte bekannt gewordene Amerikanerin auch in Personal Shopper, der jüngsten Regiearbeit des französischen Autorenfilmers. Trotz Parallelen in der Figurenanlage entfaltet sich hier eine eigenständige, Genregrenzen überschreitende Seelenstudie, die Stewart ausreichend Gelegenheit gibt, ihr Können unter Beweis zu stellen. Wer noch immer nicht erkannt hat, dass sie zu den wandlungsfähigsten und mutigsten Darstellerinnen ihrer Generation gehört, dem sollten spätestens jetzt die Augen aufgehen.
Nimmt man ihren Karriereweg nach dem Erfolg der Twilight-Saga unter die Lupe, kommt ein für Hollywood keineswegs selbstverständlicher Weiterentwicklungsanspruch zum Vorschein. Um das Image der niedlichen Vampir-Schwärmerin abzustreifen, probierte sich Stewart ab 2012 in unterschiedlichsten Rollen aus: Als zweifelnde Soldatin in Camp X-Ray – Eine verbotene Liebe. Als entfremdete Tochter einer Alzheimer-Patientin in Still Alice – Mein Leben ohne Gestern. Als zupackende Freundin eines kiffenden Elitekillers in American Ultra. Und als desillusionierte Jung-Anwältin in Certain Women. Um nur einige Beispiele zu nennen. Nicht alle Filme überzeugten gleichermaßen. Deutlich wurde aber vor allem eins: Mit ihrer unaufdringlichen Präsenz, ihrem aufrichtigen, nie effekthascherischen Spiel kann Stewart jederzeit für nachhallende, ehrlich ergreifende Momente sorgen.
Eindrucksvoll zu beobachten auch in Personal Shopper, einem übersinnlich angehauchten, allerdings nüchtern in Szene gesetzten Drama, das Thriller- und Horror-Elemente nutzt, um das Innenleben einer aus der Bahn geworfenen jungen Frau zu ergründen. Allein optisch wirkt die von Stewart verkörperte Maureen erschöpft und ausgemergelt. Kein Wunder, wird die in Paris lebende persönliche Einkaufsassistentin von ihrer Chefin, einem divenhaften Promi (Nora von Waldstätten), doch ständig hin- und hergescheucht. Auch wenn ihr Job manchmal erniedrigend ist, bricht sie ihre Zelte in der französischen Hauptstadt nicht ab. Zu sehr hofft die an übersinnliche Phänomene glaubende und als Medium fungierende Modeexpertin, ein Zeichen ihres Zwillingsbruders zu erhalten, der kürzlich an einem angeborenen Herzleiden gestorben ist, das auch Maureen mit sich herumträgt.
Ein Schicksalsschlag, ein altes, einsam gelegenes Haus und der Versuch, mit dem Totenreich zu kommunizieren: Assayas beginnt seine eigenwillige Genre-Mischung mit klassischen Motiven aus dem Repertoire des Geisterfilms, ist offenkundig aber nicht daran interessiert, auf herkömmliche Weise Schrecken zu erzeugen. Hier und da macht sich ein wohliger Grusel breit. Viel wichtiger sind dem Franzosen jedoch die Auswirkungen des möglichen Spuks auf seine Hauptfigur. Maureen, die durch das Ableben ihres Bruders ohnehin seelisch verwundet ist, gerät in eine Abwärtsspirale, da sie sich nicht sicher ist, ob sie wirklich die Gegenwart des Verstorbenen spürt oder bloß ihre Wahrnehmung verrücktspielt.
In eine andere Richtung lenkt der Film die Verunsicherung seiner Protagonistin, als sie auf einer Reise nach London erstmals von einem Unbekannten mit geheimnisvollen Kurznachrichten drangsaliert wird. Ein Stalking-Baustein, der eine Thriller-Entwicklung andeutet, allerdings schwer greifbar bleibt. Obwohl Assayas Maureens Smartphone-Display und ihre hektisch tippenden Finger etwas zu lang fixiert und damit wenig filmische Bilder produziert, ruft der unfreiwillige SMS-Austausch eine Spannung hervor, die sich „Personal Shopper“ in anderen Momenten verkneift. Etwa dann, als Maureen in der verwaisten Wohnung ihrer Chefin auf Erkundungstour geht und deren exquisite Kleider anprobiert. Für einen kurzen Augenblick kann sich die Shopping-Assistentin wie ein anderer Mensch fühlen, aus ihrer Haut schlüpfen, an Ruhm und Ansehen schnuppern, während uns der Regisseur mit dem auf der Tonspur erklingenden „Hobellied“ daran erinnert, dass nach dem Tod alle gleich sind.
Assayas gelingen bei weitem nicht alle Passagen. Einige Gedanken verpuffen zu schnell. Und zwischendrin hätte dem Geschehen etwas mehr Tempo nicht geschadet. Dank Stewarts feinfühlig-zurückhaltender Performance verströmt der Erwartungen unterlaufende Film aber eine seltsame Faszination. Vielsagende Blicke lassen uns tief in Maureens Seele schauen, was die bebilderte Identitätskrise trotz übernatürlicher Einschläge zu einem überraschend berührenden Erlebnis macht.