The People vs. George Lucas

USA 2010 · 97 min.
Regie: Alexandre O. Philippe
Drehbuch:
Kamera: Robert Muratore
Schnitt: Chad Herschberger

Das mag auf den ersten Blick nicht offen­sicht­lich sein, aber: The People vs. George Lucas ist ein Liebes­film. Und zwar keines­wegs eine handelsüb­liche Schmon­zette darüber, wie zwei sich trotz aller Schwie­rig­keiten finden, weil sie fürein­ander bestimmt sind. Nein, ein veri­ta­bles Bezie­hungs­drama ist’s, über ein Verhältnis, das für keine der beiden Seiten mehr so richtig gesund zu sein scheint, von dem aber beide einfach nicht lassen können. Einer der Inter­viewten in dem Film sagt es selbst: Manchmal kommen ihm die STAR WARS-Fans vor wie die Ehefrauen prügelnder Männer, die, blauäugig in zwei­fa­cher Hinsicht, trotzdem immer wieder zu dem Kerl zurück­kehren.

Also viel­leicht anders gesagt: The People vs. George Lucas ist eine Doku über eine »Fatal Attrac­tion«, über eine leidens­volle Leiden­schaft. Der Moment der großen Liebe auf den ersten Blick ist klar: Es ist, für mindes­tens eine ganze Gene­ra­tion, die Erst­auf­füh­rung des ersten, einzig wahren STAR WARS. Und es ist nicht die geringste Leistung von Alexandre O. Philippes Film, dass er das Glühende dieser Herzen­sent­flam­mung wirklich einfängt. Der Film besteht zwar aus kaum mehr als einer riesigen Riege von »talking heads« und zahlloser Ausschnitte aus Fern­seh­sen­dungen und Fanpro­jekten. Aber sowohl die Menge als auch die Auswahl macht’s: Man erlebt hier eine der wenigen Dokus, die von jedem Gesprächs­partner nur ein paar Sätze unter­bringt, aber dabei genau die richtigen Sätze wählt, und die anhand von Archiv­ma­te­rial nicht nur illus­triert, sondern argu­men­tiert.

The People vs. George Lucas verfolgt, wie aus der und um die Leiden­schaft für Star Wars (und die Indiana Jones-Filme) eine ganze Kultur des »Schatz, weißt du noch!?« entsteht: Ein Kult, der immer wieder aufs Neue versucht, jenes Gefühl einzu­fangen, das der cine­as­ti­sche Erwe­ckungs­kuss, die audio­vi­su­elle Deflo­ra­tion einst auslösten. Jedes Fan-Video ein nost­al­gi­scher Liebes­brief, jedes über und über mit Merchan­dise deko­rierte Fan-Zimmer eine Variante jener Häuser, die Pärchen mit unzäh­ligen Mementos ihrer Liebe ausstaf­fieren.

Aber Liebe kann bekannt­lich blind machen, und abhängig. Und das um so mehr, je mehr seiner ganzen eigenen Iden­ti­täts­stif­tung man in sie inves­tiert hat, und je weniger die Realität der Beziehung das noch trägt.

Wie der Titel schon ahnen lässt: Im Zentrum von The People vs. George Lucas steht der Verrat am vermeint­li­chen Ehekon­trakt. Stehen die verschie­denen Stra­te­gien, wie die Fans mit den Enttäu­schungen der späteren Jahre umgehen – von hyste­ri­schem Leugnen über die Quasi-Bezie­hungs­the­rapie der realis­ti­schen Neuver­hand­lung des Verhält­nisses bis zur inneren Scheidung.

Und eine der wich­tigsten Fragen dabei ist: Wem gehören die so lange gemeinsam geglaubten Dinge? Wem gehören die Erin­ne­rungen? Und darf einer von beiden, nur weil es ihm juris­tisch auf dem Papier zusteht, beliebig über etwas verfügen, dass emotional beiden so viel bedeutet?

Da macht die Doku auch eine etwas größere Perspek­tive auf: »Gehören« einem Künstler seine Werke, wenn sie so weit­ge­hend Teil der (Populär-)Kultur geworden sind. Denn viel­leicht der größte Streit­punkt sind nicht etwa die unsäg­li­chen Episoden I bis III. Der größte Streit­punkt ist, wie George Lucas konse­quent verhin­dert, dass die ursprüng­li­chen Star Wars-Filme offiziell in jenen Urfas­sungen zugäng­lich sind, an denen sich die Begeis­te­rung der Fans einst bei den Kino-Erst­auf­füh­rungen entfachte. Es ist, wie in manchen zerrüt­teten Bezie­hungen, eben nicht nur ein Streit über die unschöne Gegenwart – es ist ein Kampf um die Erin­ne­rung, um die Deutungs­ho­heit der gemein­samen Vergan­gen­heit. »Weißt du noch, wie damals in der Cantina Bar Han Solo zuerst schoss, und dazu spielten sie unser Lied?« fragen mit verklärtem Blick die Fans. »Flasch! Da hat Gredo zuerst geschossen,« giftet George Lucas stur zurück; und dass er Unrecht hat, hilft nichts, weil er die Urlaubs­vi­deos, die das Gegenteil beweisen, in seinem Hobby­keller in den Tresor geschlossen hat.

Wenn man, wie der Titel nahelegt, als Zuschauer den (Schei­dungs-)Richter spielt bei The People vs. George Lucas, dann scheint das Urteil leicht zu fallen. Auch wenn einige der Zeugen der Anklage sich zur (Selbst-)Bezich­ti­gung durch­ringen, dass viele Star Wars-Fans etwas fordern, was sie nie und nimmer bekommen können – nämlich die endlose Bewahrung ihrer Kindheit, ihrer naiven ersten Liebe: So wirkt doch George Lucas als der klar Schul­di­gere, weil er sich so beharr­lich und ohne nach­voll­zieh­baren Grund weigert, in wichtigen Punkten Entge­gen­kommen zu zeigen. Was hindert ihn daran, einen der größten Wünsche seiner Treuesten zu erfüllen: Die Urfas­sungen der Urtri­logie in best­mög­li­cher Qualität zu veröf­fent­li­chen?

Doch gerade die Undurch­schau­bar­keit seiner Motive macht Lucas zur span­nenden Figur in diesem Film. Er hat kein Interview gewährt, ist quasi nicht persön­lich vor Gericht erschienen – nur Ausschnitte aus älteren Gesprächen und die Aussagen von Fürspre­chern liegen zu Protokoll.

Und die ergeben das fast tragische Bild eines Mannes, der zum ulti­ma­tiven Gefan­genen seiner eigenen Kontroll­fik­tionen wurde. Der alles erreicht hatte, was man in seinem Metier erreichen konnte – aber diesen Erfolg nie genutzt hat, um daraus Freiheit zu gewinnen.

Francis Ford Coppola sagt einmal, das Schlimmste an dieser Star Wars-Sklaverei seien all die ganz anderen Filme, die der einstige Expe­ri­men­tator und Avant­gar­dist Lucas ihrent­willen nie gemacht hat. Und The People vs. George Lucas schlägt auch eine Lesart vor, die in den beiden Trilogien eine sehr persön­liche Verar­bei­tung von Lucas' fataler Verfüh­rung durch Macht sieht.

Mit etwas Küchen­psy­cho­logie kann man Lucas' mutwil­lige Schändung des Star Wars-Erbes durchaus deuten als vergleichbar mit jemandem, der in einem Bezie­hungs­streit seine eigenen Besitz­tümer zerstört, nur um zu beweisen, dass es noch etwas gibt, was ihm allein gehört, über das er die Kontrolle hat.

Bei all dem ist The People vs. George Lucas einer­seits ein Plädoyer für eine etwas weniger blinde, etwas erwach­se­nere Begeis­te­rung. Die die schönen Zeiten und Seiten im Herzen behält, aber nicht verlangt, dass es immer und immer weiter GENAU SO bleiben muss. Die akzep­tiert, dass man sich weiter­ent­wi­ckelt, ausein­an­der­lebt, neue Flammen findet.

Ande­rer­seits aber ist er eben auch das Porträt einer Leiden­schaft, wie sie das Kino heut­zu­tage immer weniger entfachen zu können scheint. Diese Doku lässt einen noch einmal so richtig spüren, was für ein coup de foudre, was für ein kultu­reller Zeugungsakt da Mitte der 1970er statt­ge­funden hatte. Und was immer man heute von STAR WARS halten mag: Wir könnten mal wieder Filme brauchen, die – ohne auf Best­sel­lern oder Fran­chises zu beruhen, und ohne von Marketing-Depart­ments durch­de­signt und totge­testet zu sein – eine ähnliche echte, dauer­hafte Liebe und Hingabe auslösen.