Das Pfauenparadies

Il paradiso del pavone

Italien/D 2021 · 88 min. · FSK: ab 12
Regie: Laura Bispuri
Drehbuch: ,
Kamera: Vladan Radovic
Darsteller: Dominique Sanda, Alba Rohrwacher, Maya Sansa, Carlo Cerciello, Fabrizio Ferracane u.a.
Filmszene »Das Pfauenparadies«
Der Moment, wenn die Gedanken entstehen...
(Foto: Real Fiction)

Identifikation einer Familie

Laura Bispuris neuer Film steht in der langen Tradition von Filmen, für die ein Familienfest immer auch ein Wahrheitsfest war – doch Bispuri überrascht mit einer ungewöhnlichen Aufbereitung des Themas

Wer sich an Ingmar Bergmans Fanny und Alexander oder Thomas Vinter­bergs Fest erinnern kann, ahnt schnell, was emotional auf ihn zukommt, wenn er die ersten Gäste zu Nenas Fami­li­en­ge­burts­tags­fest eintreffen sieht und die ersten über­ra­schenden Wahr­heiten hinter vorge­hal­tener Hand einer vermeint­li­chen Vertrau­ens­person mitge­teilt werden. Doch anders als Bergman und Vinter­berg mit ihren dann doch eher hart­ge­sot­tenen Wahr­heits­fin­dungen und auch anders als etwa in Stephen Karams The Humans, der so wie Bispuris Film gerade auf dem 39. Münchner Filmfest lief und in dem die Wahr­heits­fin­dung während eines Thanks­gi­ving-Dinner auch eine starke poli­ti­sche Kompo­nente hat und mit Alltags­hor­ror­ele­menten garniert ist, geht Bispuri einen gänzlich anderen Weg.

Wie schon in ihrem letzten Film Meine Tochter – Figlia Mia bleibt sie in der Familie, bleibt die Gesell­schaft und ihre Politik vor der Haustür und ist es auch hier ein Kind, aus dessen Augen die Familie immer wieder mit neugie­rigen, fragenden Blicken seziert wird. Deshalb ist Alma natürlich auch mehr als ein Kind, ist sie das große Unbe­wusste der Fami­li­en­runde und ihr Pfau Paco, das kuriose Haustier an der Seite von Alma, steht natürlich weniger für das Tier, das es ist, als den Vogel, der trotz aller Schönheit nicht fliegen kann.

Dieses lyrisch-luzide, immer wieder äußerst asso­zia­tive Fami­li­en­stellen gerät jedoch zunehmend in einen Mahlstrom aus sich wie zufällig erge­benden, situativ genierten Wahr­heits­for­de­rungen, die zwischen Tür und Angel, bei dieser leichten, warmen Brise vom Meer in den Raum dringen und von Bispuris Darstel­lern zu Worten verwan­delt werden. Warum fragen wir uns nichts mehr, wenn wir doch wissen, dass jeder der Nächste sein kann, der stirbt? Was nützt einem Vogel die Schönheit, wenn er nicht fliegen kann? Bispuris Familie findet dann auch genauso zufällig, wie die Fragen gekommen sind, ihre Antworten: Reden um der Wahrheit willen, bis sogar die Verstummten wieder reden. Denn dann macht sogar der Tod wieder einen Sinn.

Bispuri findet für die Momente der »Neube­sin­nung« ein aufre­gendes Stil­mittel, das ein wenig an das Inne­halten von Oslo in Joachim Triers Der schlimmste Mensch der Welt erinnert. Hier ist jedoch keine Stadt, sondern eine Familie, aber auch hier steht Bispuris großar­tiges Ensemble um Alba Rohr­wa­cher, Maddalena Crippa, Dominique Sanda, Carlo Cerciello und Fabrizio Ferracane plötzlich still, ist es nur noch eine Geige, die spielt und mit diesem Stil trans­for­mieren sich die Anwe­senden, verändern sich die Blicke und ihre Gedanken, scheint die sugges­tive Kamera von Vladan Radovic tatsäch­lich hinter die Gedanken zu dringen, zu genau dem Moment, wenn die Gedanken entstehen. Das ist große Poesie und wunder­bare Filmkunst. Weil sie unbewusst entsteht und wie ein Atemhauch, der nur für Momente auf einer Scheibe sichtbar ist, auch wieder vergeht.

Dann ist Das Pfau­en­pa­ra­dies auch schon wieder ganz im Realen und Eindeu­tigen, in einem unge­wöhn­li­chen Bezie­hungs­reigen, der alle Genera­tionen erfasst und von dem hier auch ganz banal und akkurat erzählt wird. Dieses Abschied­nehmen vom Gestern, ohne das Morgen zu kennen, die unsi­cheren Blicke der Liebenden und Wahn­sin­nigen, das Vage und doch Vertraute, die Entfrem­dung der Geschlechter, erinnern dabei an die Blicke und an die Gesten, die Michel­an­gelo Anto­nionis Filme so einzig­artig gemacht haben, in seinen frühen Werken wie auch seinem letzten großen Film, der Iden­ti­fi­ka­tion einer Frau. Denn dies ist auch ein Film über eine Iden­ti­fi­ka­tion, die Iden­ti­fi­ka­tion einer Familie, ihrer lebenden und ihrer toten Mitglieder.