USA 2005 · 150 min. · FSK: ab 12 Regie: Gore Verbinski Drehbuch: Ted Elliott, Terry Rossio Kamera: Dariusz Wolski Darsteller: Johnny Depp, Orlando Bloom, Keira Knightley, Bill Nighy, Stellan Skarsgård u.a. |
Die Frist ist um und abermals verstrichen sind drei Jahr.
Die Piraten sind zurück. Verflucht. Aber es gibt auch Positives zu vermelden:
Schön ist, wie da ein bad guy, ein Schurke eingeführt wird, den wir heute ganz unverblümt als global player bezeichnen würden, der zu damaligen Zeiten aber als Vertreter der East India Trading Company firmiert. Sein Adlatus (heute: Praktikant) hat eine überdimensionale Weltkarte an die Wand des Salons gepaust, die nun sorgfältig ausgemalt wird. Und jedes Mal, wenn wir wieder an diesen Schauplatz zappen, sind ein paar weiße Flecken weniger in der Welt. Man kann sich gut vorstellen, dass dieses frühkapitalistische Fresko eine ähnliche Funktion erfüllt, wie der Globus in Chaplins The Great Dictator. Weniger handlich ist das zwar hier und weniger grazil anzusehen, dieser Tanz um das goldene Kalb, aber ganz ähnliche Fantasien dürften da befeuert werden. Das ist natürlich nicht komisch.
Komisch ist, wie dadurch ein großes mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa durch dieses Forsetzungspopcornfilmprojekt geistert. Heute Disneyworld, morgen die ganze Welt! – wenn da eben nicht dieser Praktikant mit seiner Weltkarte wäre, der uns immer wieder mit der Nase drauf stößt, um was es hier recht eigentlich geht: den Weltmarkt, die Profitmaximierung, den Konsumkonsens. Was ein Menetekel, dieses painting on the wall, sozusagen.
(Die Frage ist angebracht, ob es sich hier um ein unfreiwilliges Eigentor qua Dauerzustand des denn sie wissen nicht was sie tun handeltoder aber, ob tatsächlich subversive Kräfte unbemerkt am Werk waren, die frei nach Kurt Cobains schönem Motto start the rot from inside agieren. Eine Frage, die man sich, am Rande bemerkt, schon stellt, seit RTL2 die x-te Big Brother Staffel großplakatig mit dem Slogan Opium für’s Volk bewarb)
Pirates 2 hat, machen wir uns nichts vor, keine andere Daseinsberechtigung als die, Geld zu machen. Ein Film ist das wie eine riesige, rosarote Zuckerwattewolke. Hinterher ist alles babbig und man laboriert an einer großen Übelkeit. Gerne wird nun der Vergleich mit Matrix bemüht, wo nach ähnlich viel versprechendem Auftakt alles verwaberte im zerquält esoterischen, pseudo-religiösen Nirwana. Aber der Vergleich ist natürlich nicht fair. Denn wo The Matrix als Trilogie scheiterte, war The Matrix zumindest als Trilogie geplant gewesen von Anfang an.
Bei den verfluchten Piraten liegt das etwas anders. Hier hat der Erfolg des ersten Teils (zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht als erster Teil gemeint) alle Beteiligten kalt erwischt im Sommer 2003. Mit einem Einspiel, das den Verantwortlichen die Dollarzeichen aus den Augen blitzen und blinken lies wie man das bei Disney vorher nur kannte an Dagobert Duck. Und da hat man sich gedacht, flux ein oder zwei Fortsetzungen noch drangehängt und das müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich nicht das eine oder andere Multiplex noch gesund stoßen könnte dran.
Pirates 2 – Dead Man’s Chest ist folgerichtig ein beliebiger Zusammenschnitt von Episoden und Episödchen. Ein 150minütiger Reader’s digest an allem, was sich der Auftragsdrehbuchschreiber an einem Nachmittag (Zeit ist Geld) so zusammengoogeln kann an Seemannsgarn. Hätte auch noch 32 Minuten länger sein können. Oder 87 Minuten kürzer. Und eigentlich so ziemlich alles dazwischen. Rhythmus, Spannungsbogen, kurz: jede Art von narrativer Anstrengung findet gar nicht und überhaupt nicht statt. Es kommen vor: Schätze und Flüche und verkaufte Seelen und mangelnde Mundhygiene und Eingeborene und Väter und sprechende Papageien und Riesenkraken und Voodoo und ein Geisterschiff, das heißt The Flying Dutchman. Und da ergeben sich jetzt aber wirklich Parallelen zu diesem Filmvorhaben an sich. Denn dies ist bekanntlich der Fluch des Fliegenden Holländers: zu segeln und segeln und segeln. Und segeln und segeln und segeln. Und segeln und segeln und segeln. Bis zum Tag der keineswegs gesicherten Erlösung. Wie viele Aufgüsse, fragen wir da, werden wir unter diesen Vorzeichen nun noch erleben müssen? Wirklich nur einen dritten oder auch noch den vierten, fünften, fünfzehnten Teil? Wem verkaufen wir unsere Seelen? Ist Walt Disney der Teufel? Und wer wird uns erlösen von dem ganzen Übel?
Zugegeben, es kommt eine höchstpersönliche Verschnupftheit mit ins Spiel. Denn immerhin, wir sprechen auch von Johnny, dem göttlichen Johnny. Dem Edward Scissorhands Ed Wood Ichabod Crane Johnny Corso Willy Wonka Johnny. Der Spaß an der Freud, den er mit Pirates 1: The Curse of the Black Pearl so offensichtlich hatte, sei ihm vergönnt. Aber muss es ein zweites, ein drittes Mal geben? Das kommt uns vor, als hätte der letzte, kettenrauchende Kinorebell seine arthouse-Seele verkauft um den Preis, auf alle Zeit als Pappkamerad im Disney Themenpark installiert zu werden. Jack Sparrow forever? Wir wollen den Kinorebell zurück, den Unangepassten, den Disneyworldinkompatiblen. Einen Johnny wie er zu sehen ist in The Libertine, einem megadüsteren, ganz und gar hoffnungslosen, existenzialistischen Drama um den Earl of Rochester im England des 17. Jahrhunderts. Diese unbarmherzige Geschichte vom Höllensturz der Seele war hierzulande bislang nur auf Festivals zu sehen und wird womöglich den Weg in den regulären Spielplan gar nicht mehr finden. Arthouse eben. Rebellenkino. Und selbstredend wird da auch gehurt und gesoffen, bis die Nase abfällt.
Jack Sparrow, Elisabeth Swann und Will Turner dagegen sind, wir erinnern uns, eine heitere aber ganz keusche (it’s fucking Disneyworld, after all) ménage-à-trois. Irgendwie ist die happy Hochzeit zwischen Elisabeth und Will am Ende von Teil eins ins Wasser gefallen. Und in der Folge finden nun ganz merkwürdige seismische Verschiebungen statt: Elisabeth wird über weiteste Strecken im wahrsten Sinne die Hosen anhaben. Dafür gibt Orlando Bloom die damsel in distress. Und das ist nun endlich das schöne zweite und finale Schmankerl in diesem Machwerk: Da hat man Will Turner ausgesetzt auf der Flying Dutchman, ihn ganz brutal seinem Schicksal überlassen. Und zu allem Überfluss muss in Ermangelung eines romantischen Retters auch noch der eigene Vater rekrutiert werden, ein fliegender Holländer auch der. Das ist ganz unappetitlich anzusehen. Wunderbare Komik allerdings, wie Orlando mit seinen rehbraunen Augen den waidwunden Bambiblick macht und überhaupt die meiste Zeit ziemlich verstört unterwegs ist.
Piratengenretechnisch natürlich völlig inakzeptabel. Man denke nur Captain Blood, The Black Swan, The Crimson Pirate. Die Eleganz eines Errol Flynn. Das Dunkel-Melancholische eines Tyrone Power, die reine Physis eines Burt Lancaster. Piraten sind verdammt sexy. Und Sex hat immer eine Menge mit Macht zu tun. Am Verwegensten ist das durchgespielt im Captain Blood: wie da zuerst die Heldin den Helden auf dem Sklavenmarkt zu ihrem Vergnügen kauft und später, als er längst ein gefürchteter Piratenkapitän ist, der sie dann im Gegenzug in einem Kampf auf Leben und Tod seinem Widersacher entreißt und an sich bringt. Das, meine Lieben, ist der Stoff aus dem Mädchenträume sind.
Nur eben bei Disney nicht. 150 Minuten lang nicht. Kein bisschen. Und das ist vielleicht der schlimmste Vorwurf, den man diesem Film machen muss: dass er keinen Platz hat für Träumein einem Genre, das dafür eigentlich prädestiniert ist.
Voll Überdruss wirft mich das Meer ans Land.
Ha, verdammter Popcornfilm! In kurzer Frist sollst du mich wieder heimsuchen!
Verfluchte Karibik, zum Dritten, im Mai 2007. Tausche einen Libertine gegen drei Pirates. Oh Johnny, erlöse uns von der Massenware! Hojoho!