USA/CDN/NZ 2017 · 140 min. · FSK: ab 12 Regie: Matt Reeves Drehbuch: Mark Bomback, Matt Reeves Kamera: Michael Seresin Darsteller: Andy Serkis, Woody Harrelson, Steve Zahn, Terry Notary, Amiah Miller u.a. |
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Moralische Antipoden |
Hey Joe, where you goin with that gun in your hand?
Hey Joe, I said where you goin with that gun in your hand?
Alright. I’m goin down to shoot my old lady.
(»Hey Joe«, William Moses „Billy“ Roberts jr.)
Man mag schon gar nicht mehr zählen, der wievielte Planet-der-Affen-Film seit 1968 das jetzt wirklich ist, jetzt, da der dritte Teil des »Reboots«, Planet der Affen: Survival erschienen ist. Und die Handlung des ganzen Franchise auf den Punkt bringen? »Lieber nicht«, wie es Melvilles Bartleby wohl auch heute noch formulieren würde. Muss irgendwie auch gar nicht mehr sein, weil sich das auf Pierre Boulles 1963 erschienenen Roman »La Planète des Singes« aufsetztende Franchise inzwischen zu fast so etwas wie einem »Kinotherapieforum« unserer kranken, westlichen Gesellschaft entwickelt hat. Denn abhängig von den jeweiligen »Hot Spots« hat es das Franchise immer wieder verstanden, sich zu wandeln, mal auf Rassismus, Kalten Krieg, Ökologie, Tierrechte oder Genetik zu fokussieren und durchaus kritisch an der bestehenden Moral zu rütteln.
Und dies überaus erfolgreich. Erst mit dem Amerikastart des jetzigen Teils gab es trotz positiver Kritiken erstmals einen kleinen Rückschlag, konnte sich Survival nicht von den schon lange erwarteten und nun eingetroffenen schwächeren Ticket-Verkaufszahlen für die inflationäre Anzahl an Fortsetzungen und Reboots (Pirates of the Caribbean: Dead Men Tell No Tales, Transformers: The Last Knight and The Mummy) emanzipieren. Und das, obwohl Analysten eigentlich zu wissen glaubten, dass bei der Kritik gut besprochene Filme wie Guardians of the Galaxy Vol. 2 oder Wonder Woman und Spider-Man: Homecoming normalerweise die prognostizierten Verkaufszahlen erfüllten. Zwar sind Einnahmen von $224,7 Millionen gegenüber einem Produktions-Budget von $150 Millionen an sich nicht schlecht, doch gerade gegenüber dem Vorgänger Planet der Affen – Revolution sind die Ticket-Verkaufszahlen zum Teil um mehr als 50% eingebrochen. Was umso mehr erstaunt, als Survival im Vergleich zu Revolution tatsächlich der bessere Film ist. Aber vielelicht ist Survival einfach zu gut für den rohen Massengeschmack.
Denn krankte Revolution noch an einer zum Teil unerträglich vorhersehbaren Story, die zwar durch einige poetische Überraschungen wettgemacht wurde, bietet Survival erheblich mehr. Nicht nur an Poesie, sondern auch an Tragfähigkeit der Geschichte, die vor allem durch einen ambivalenten moralischen Exkurs, filmische Zitate und die überragenden schauspielerischen Leistungen von Andy Serkis (Caesar) und Woody Harrelson (Colonel) verdichtet wird.
Diese beiden schauspielerischen Antipoden – der »Affe« über eine Symbiose aus Mensch, CGI und Motion Capture, die Serkis über seine Rollen als Gollum in Herr der Ringe, Hobbit und als Caesar in Revolution sichtbar perfektioniert hat und dann die immer wieder an Marlon Brandos Kurtz in Apocalypse Now angelehnte Rolle von Harrelson sind auch die moralischen Antipoden, denen sich Survival stellt. Auf der einen Seite der Mensch der sich zunehmend korrumpiert und selbst kannibalisiert, auf der anderen Seite das Tier, dass darum ringt, der bessere Mensch zu sein.
So spielerisch leicht sich dieser Kampf auf den gegenwärtigen Boom populistischer Politik übertragen lässt, so leicht kann man diese Assoziation aber auch wieder vergessen. Denn Survival malt die Dystopie in so kräftig monochromen Farben, dass es immer wieder ein großer Spaß ist, sich in diese irre Kleckserei einfach nur fallen zu lassen und gleichzeitig dabei zuzusehen, wie sich das monochrome Chaos unter der Regie von Matt Reeves immer wieder zu lichten beginnt, aus dem schieren Schwarz und Weiss erst Grau und dann dezente Farbe entsteht, etwa als Reeves wie schon in Revolution ins Herz seines Film einen Song stellt, der zur Zeit des ersten Planet der Affen-Films entstand. Diesmal ist es Hendrix Version von „Hey Joe“ und wie Hendrix hier den Raum mit Harrelson und Serkis teilt, ist großes Kino.
Aber vielleicht noch größer – und klüger – ist Reeves subtile Einführung einer dritten Partei, die gar nicht ans Kämpfen denkt, weil sie – unschuldig wie ein Neugeborenes – nur gejagt und zur Strecke gebracht wird und die am Ende völlig überraschend wie ein Mahnmal unseres zunehmend vereinzelten, einsamen, digitalen Weges als mutierte Spezies die Geschichte des alten Menschen beschließt und gleichzeitig seine Zukunft ist: Der sprachlose Mensch, der erst durch seine Sprachlosigkeit wieder zu sich selbst findet und damit auch erst wieder zu einem Zusammenleben mit anderen Spezies fähig ist. Und vielleicht sogar eine Zukunft hat.