USA 2018 · 119 min. · FSK: ab 6 Regie: Sean Anders Drehbuch: Sean Anders, John Morris Kamera: Brett Pawlak Darsteller: Mark Wahlberg, Rose Byrne, Isabela Moner, Gustavo Quiroz, Julianna Gamiz u.a. |
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Ist Integration überhaupt möglich? |
Hatte sich Sean Anders in seinen Regiearbeiten That’s My Boy (2012) oder der Daddy’s Home-Reihe (2015-2017) bislang hauptsächlich und bis zur radikalen und überraschenden Geschmacklosigkeit an Vater-Sohn-Thematiken komödiantisch abgearbeitet, überrascht Anders nun mit seinem neuesten Film Plötzlich Familie auf fast allen Ebenen.
Denn seine Geschichte über die beruflich und als Ehepaar erfolgreichen Pete (Mark Whalberg) und Ellie (Rose Byrne), die nach eigentlich ganz zufriedenen Jahren als kinderloses Paar sich schließlich doch noch für eine Pflegeelternschaft entscheiden und, wie es der Zufall will, plötzlich mit drei Kindern im Haus dastehen, ist nicht nur berührend, witzig und in seinen Slapstickmomenten mit perfektem Timing inszeniert, sondern auch ein bissiger Kommentar zum Stand unserer Multikultigesellschaft – und, wie Sean Anders versichert, aus eigenen Erfahrungen gespeist.
Aber zuerst einmal ist Plötzlich Familie das, was der Mainstream-Geschmack von einer klassischen amerikanischen Komödie erwartet: mit ethnografischer Detailgenauigkeit führt Anders amerikanischen Alltag der gehobenen Mittelschicht vor, erst in einer kurzen Einleitung als kinderlosem Paar, dann mit Kindern. Einrichtungsgegenstände, Freizeitaktivitäten oder Kinderspielzeuge und die täglichen Essensaufnahmen werden präzise geschildert und mittendrin eine dysfunktionale Familie geparkt, die erst lernen muss, eine Familie zu werden. Die Schwierigkeiten beginnen für ein kinderloses Paar, das zu Pflegeeltern werden will, dabei schon bei den Kennenlernabenden des Sozialamts und den anschließenden Kursen, die auf die Probleme der Pflegeelternschaft vorbereiten sollen. Anders bildet hier nicht nur ein irres Kaleidoskop des amerikanischen Mittelstands ab, mit all seinen Neurosen, Ängsten und Verwerfungen, sondern versucht bei aller Groteske, immer die Befindlichkeiten seiner Protagonisten ernst zu nehmen. Natürlich gleicht die Auswahl der Kinder dann einem klassischen amerikanischen Supermarktbesuch, doch schon im nächsten Augenblick wirft Anders auch einen Blick auf die Einsamkeit jener Kinder, die den Erwartungshaltungen potenzieller Eltern nicht entsprechen.
Dass Pete und Ellie durch die verrückten Zufälle, die nur eine amerikanische Komödie schreiben kann, dann genau jene Kinder »erwerben«, die die größtmöglichen Probleme verursachen, beschleunigt zwar das Tempo der eigentlichen Komödie signifikant, doch gleichzeitig zieht Anders dadurch gesellschaftspolitische Ebenen in seinen Film ein, die man im Normalfall so nicht sieht. Was nicht heißen will, dass Plötzlich Familie den Normalfall nicht bedient – denn natürlich läuft hier alles auf ein gnadenloses Happy End zu, gibt es die üblichen Wohlfühl- und Schreimomente, aber Sean Anders zeigt dann doch viel mehr als das.
Denn Anders wählt nicht nur eine alkoholabhängige Mutter, die Pete und Ellies Pflegekindern immer wieder Versprechungen gemacht hat, die sie durch erneute Rückfälle nicht hat halten können, sondern wählt außerdem eine Latino-Familie aus ärmlichen Verhältnissen. Dadurch wird das eigentliche Bonding zwischen Pflegeeltern und Kindern unerwartet schwierig, weil sich die Kinder dann doch immer wieder auf ihre leibliche Mutter ausrichten und sich in Krisenmomenten auf ihre spanische Muttersprache zurückziehen und dann auch kulturabhängige Missverständnisse in den banalsten Alltagssituationen entstehen.
Mit dieser Konstellation stellt Plötzlich Familie auch eine sehr grundsätzliche, außerfamiliäre Frage: Inwieweit ist Integration anderer Kulturen überhaupt möglich? Sind Trumps Mauerbaupläne oder die zunehmende Abschottung der EU vielleicht doch gerechtfertigt? Sean Anders' Schlussfolgerungen mögen nicht immer eindeutig sein und auch nicht jedem schmecken, aber sein Experiment, über die familiäre Mikroebene die gesellschaftliche Makroebene zu erklären, ist ein vollauf gelungenes Experiment.