Deutschland 2002 · 91 min. · FSK: ab 6 Regie: Ralf Schmerberg Drehbuch: Ralf Schmerberg, Antonia Keinz Kamera: Robby Müller, Ralf Schmerberg, Jörg Schmidt-Reitwein u.a. Darsteller: Meret Becker, Márcia Haydée, Carmen Birk, Anna Böttcher u.a. |
![]() |
|
Brennende Brautkleider und Heiner Müller |
»Welch eine Idee!« schwärmt Altmephisto Klaus Maria Brandauer. »Geil!« findet dieselbe auch Jürgen Vogel. Der Geistesblitz, um den es geht, geht so: 19 deutsche Gedichte, einzeln visuell verpackt, von hochkarätigen Schauspielern deklamiert. Das Ganze inszeniert von Ralf Schmerberg, seines Zeichens Videoclip- und Werbespotregisseur: der richtige Mann für kurze Sequenzen. Sollte man meinen. Prima Plan.
Und dann sitzt man also erwartungsvoll in seinem Kinosessel, um sich an Wort- und Bildgewalten zu berauschen, sich auf Geistesschwingen ins Reich der Poesie tragen zu lassen und dann kommt zum Beispiel das: »Ich glaube« donnert die Stimme pastoral, die ersten Worte von »Glauben und gestehen« von Ernst Jandl. Ein verbaler Totentanz, unterlegt mit wackeligen Bildern einer Hochzeit im Familienkreis. Das Ganze dann auch noch derart laut abgespielt, dass Menschen ohne Hörschaden sich die Ohren zustopfen müssen, um nicht einen solchen zu erleiden. So geschehen im Arri-Kino während der Münchener Vorpremiere auf dem Dokfest. Das ist mir auch noch nicht passiert, dass ich im Kino sitze und mir die Ohren zuhalte.
Was sich hier aneinanderreiht, ist überwiegend belanglos, manchmal kitschig, mitunter ärgerlich und nur selten erfrischend oder gar bewegend. Geistig behinderte Menschen pflücken Gräser zu eindringlichen Worten von Claire Goll. Ein Kind wächst im Zeitraffer heran – eine süßliche Bildfindung zu »Der Sturm« von Selma Merrbaum-Eisinger. Sogar die sonst hoch geschätzte Meret Becker geht einem als karokleidchengewandete Hobbygärtnerin »Sozusagen grundlos vergnügt« auf den Wecker.
Und dann passiert es doch noch unverhofft, dass es einen richtig packt: Eine Installation von Hochzeitskleidern, die urplötzlich in Flammen aufgehen zu Heiner Müllers Worten »Ich kann Dir die Welt nicht zu Füßen legen.« Oder – komisch und tragisch und herrlich verschlampt – Anna Böttcher als Hausfrau-und-Mutter, in Perlonstrümpfen über dem Baumwollslip. Wie sie dem Kreise ihrer lärmenden Lieben, dem Proletengatten und den Zwergtyrannen für einen blauen Moment entkommt, den Kopf in einen Riesenballon steckt. Und innen dann, geborgen von einer Fruchtblase aus Gummi, ein Gedicht von Ingeborg Bachmann spricht: »Nach grauen Tagen«. Dafür allein lohnt es sich, sich den filmischen Reigen wenigstens einmal zu Gemüte zu führen. Einmal reicht dann aber auch.
Um es frei nach Jandl auf den Punkt zu bringen: Ich gestehe, dass diesem Film jemals irgendwo wiederzubegegnen, ich nicht den leisesten Wunsch hege.