Frankreich 2011 · 127 min. · FSK: ab 16 Regie: Maïwenn Drehbuch: Emmanuelle Bercot, Maïwenn Kamera: Pierre Aïm Darsteller: Karin Viard, Joey Starr, Marina Foïs, Nicolas Duvauchelle, Maïwenn u.a. |
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Eine starke Truppe |
Nein, der Titel beinhaltet keinen Druckfehler, sondern versucht, den absichtlichen Fehler im französischen Filmtitel (»Polisse«) nachzuahmen. Dies eine Anspielung auf die Kinderperspektive, denn in dem Film der Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Maïwenn Le Besco geht es um Kinder, die zu Opfern werden.
Geschildert in halb-dokumentarischem Stil wird der Alltag einer Abteilung der Pariser Jugendschutzpolizei. Nach anfänglicher Verwirrtheit gewöhnt sich der Zuschauer an die vielen Protagonisten, die schnellen Schnitte und orientiert sich langsam im Gewirr der zahlreichen Handlungsfäden. Dabei ist es vor allem der Einblick in die Abgründe einiger kindlicher Tragödien, der den Film unter die Haut gehen lässt. Eine Drogenabhängige entführt ihr Baby, eine Mutter gibt ihr Kind ab, weil sie auf der Straße lebt und es nicht mehr versorgen kann, Kinder berichten von sexuellem Missbrauch usw. Die ganze Palette menschlichen Kinder-Elends. Während die meisten polizeilichen Fälle Episode bleiben, setzt der Film den Schwerpunkt der Erzählung aber auf die Arbeit der Polizisten, die Beziehungen des Teams untereinander, zu anderen Abteilungen und zu ihrem Chef. Einige Lebensgeschichten drängen in den Vordergrund, so zum Beispiel die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen Fred (Rapper Joey Starr) und der Fotografin Melissa (von der Regisseurin gespielt), welche – als Spiegelung der Doku-Regie-Ausgangslage – eine Dokumentation über die Polizeiarbeit erarbeiten soll. Nadine (gespielt von Karin Viard) trennt sich von ihrem Mann, eine Kollegin ist bulimisch, andere haben Eheprobleme usw. Auch hier wird alles reingepackt, was die moderne Beziehungslandschaft zu bieten hat, inklusive Homosexualität und repräsentativem Ethnomix. Um es gleich zu sagen: der Film will viel zu viel und kann sich nicht entscheiden, auf welches Leid und welches Thema er sich eigentlich wirklich einlassen will. Positiv formuliert gibt es einen multiperspektivischen Zugang, denn immer wieder werden auch Täter- und Opferperspektiven eingenommen, aber für alle bleibt auf diese Weise zu wenig Zeit; dem Zuschauer wird ein Einfühlungs-Stakkato abverlangt, immer wieder abgefedert durch Actionpassagen und witzige Dialoge. Die Schauspieler überzeichnen dabei fast alle ihre Rollen und bleiben so zumeist merkwürdig unsympathisch.
Auch irritieren einige inhaltliche Punkte: während der psychische Druck, der auf allen lastet, und der zu impulsivem, teilweise geradezu hysterischem Verhalten der Beamten führt, noch nachvollziehbar ist, so wirken doch viele Ermittlungsmethoden für einen Außenstehenden erschreckend unprofessionell. Intimste Verhöre von Kinderopfern sowie männlichen Tätern werden unter aller Augen im Großraumbüro abgehandelt. Dabei kommen und gehen die Polizisten, mischen sich ein, geben Kommentare ab. Ein Mädchen wird durch Auslachen der Beamten gedemütigt, weil sie es für normal hielt, einen Blow-Job zu machen, um ihr Handy wiederzubekommen. Ein arabischer Mann wird von einer muslimischen Polizistin angeschrien und mit dem Koran traktiert, Fred rastet regelmäßig völlig aus und teilt auch schon mal Prügel aus. Zu diesem Verhalten gibt es keinerlei Distanz und kaum kritische Einwände. Einzig der Chef aller Abteilungen versucht, etwas zu deeskalieren, wird aber als unangenehm bürokratischer Typ hingestellt. Der Schutz der Kinder wird als so hoher Wert angesehen, dass er jedes brutale und gedankenlose Verhalten seitens der Ermittler zu rechtfertigen scheint. Eine Einstellung, die man – nicht erst seit dem deutschen Fall um Jakob von Metzler – diskutieren muss.
Trotz aller Probleme und Streitigkeiten werden die Jugendschutzpolizisten als verschworene coole Truppe dargestellt, die zusammen in der Disco feiert, sich aushilft, alle privaten Sorgen teilt und sich für ihre Fälle emotional unglaublich stark engagiert. Alle sind immerzu bereit, Überstunden zu machen, der von seiner Mutter verlassene Junge wird von Fred unter Tränen getröstet und abgeküsst. Man vermisst durchweg die professionelle Distanz, die Regisseurin vermittelt aber durch ihre Darstellung eher eine Art Heldentum. Vermutlich ist es auch diese Heldenvermittlung, die in Cannes den Film den Preis der Jury hat gewinnen lassen.