Frankreich 1996 · 97 min. · FSK: ab 0 Regie: Jacques Doillon Drehbuch: Jacques Doillon Kamera: Caroline Champetier Darsteller: Victoire Thivisol, Xavier Beauvois, Marie Trintignant, Claire Nebout, Matiaz Bureau Caton u.a. |
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Die Titelheldin |
Im Gegensatz zu Kinderfilmen für Kinder geht es in dem Film Ponette von Jacques Doillon nicht um das Bestehen von Abenteuern, die man selbst Erwachsenen lieber nicht zumuten möchte, sondern um die Trauerarbeit einer Vierjährigen. So werden etwa bei der starken Pippi Langstrumpf oder dem neunmalklugen Kevin – Allein zu hause Fähigkeiten übertrieben, die sich jeder schon einmal gewünscht hat. Kindliche Machbarkeitsphantasien werden umgesetzt und helfen gefährliche, aber letztlich überschaubare Abenteuer zu überstehen. Die Situation jedoch, in der sich die vierjährige Ponette (Victoire Thivisol) befindet, hat keinen Abenteuercharakter. Ihre Mutter (Marie Trintignant) ist bei einem Autounfall, den Ponette selbst überlebt hat, gestorben. Sie ist tot.
Unfaßbar. Ponette helfen hier weder die rationalen Anweisungen des Vaters (Xavier Beauvois), noch findet sie Trost in der Geschichte von der Auferstehung Christi, die ihr ihrer Tante (Claire Nebout) erzählt. Denn sie greift diese Geschichte auf und glaubt von nun an unabdingbar auch daran, daß ihre Mutter zurückkommen wird. Keiner kann sie von diesem Glauben abbringen.
Nach dem Aufenthalt bei ihrer Tante und deren beiden Kinder (Delphine Schiltz, Matiaz Bureau Caton) verbringt Ponette eine Zeit in einem Sommercamp. Sie soll dabei auf andere Gedanken kommen. Gerade in der Auseinandersetzung Ponettes mit ihren kleinen Verwandten und mit den anderen Kindern im Camp gelingt es Jacques Doillon dieser ganz anderen Machbarkeitsphantasie Ponettes stark religiöse Züge zu geben. Diese Phantasie wird von den anderen Kinder nicht nur fast immer geteilt, sondern sogar unterstützt.
Damit kontrastiert Doillon äußerst geschickt die Unfähigkeit der Erwachsenen mit dem Thema Tod angemessen umzugehen: Sie reden nicht über das Unfaßbare. Es gibt in diesem Film keine Dialoge zwischen Erwachsenen untereinander. Gleichzeitig erreicht Doillon mit Hilfe dieser kindlichen Religiösität, daß der Umgang mit dem Tod eine so große Unmittelbarkeit und Plastizität gewinnt, daß der Glauben Ponettes an die Rückkehr ihrer Mutter frisch und natürlich erscheint. Dennoch kann der Zuschauer trotz ergreifender Szenen die Distanz zum kindlichen Spiel fast bis zuletzt wahren, auch wenn für Ponette die erfundenen Rituale tödlicher Ernst sind.
So sehr die Idee Doillons überzeugt, den Umgang mit dem Tod aus kindlicher Perspektive zu zeigen, so fragwürdig ist die Dialoglastigkeit des Films. Nicht daß die Dialoge nicht glaubhaft wären, nur tritt der Ernst der Spiele, mit denen Ponette den Glauben an die Rückkehr ihrer Mutter umsetzt, dadurch in den Hintergrund.
Die vierjährige Hauptdarstellerin Victoire Thivisol hingegen beeindruckte mit ihrer biherigen Leistung die Große Jury des Filmfestivals von Venedig 1996
derart, daß sie den Preis für die Beste Schauspielerin gewann. Zwar überzeugen auch die erwachsenen Schauspieler und Schauspielerinnen, doch muß als die herausragende Leistung des Films gerade die ernsthafte und nie verniedlichende Darstellung des Umgangs der Kinder miteinander und des Verhältnisses zwischen Kindern und Eltern gesehen werden. Nur über die so vermittelte Naivität gewinnt der dargestellte Glauben seine Unschuld zurück.
Doch soll hier nicht der Eindruck entstehen, daß man aus diesem Film irgendwie bekehrt herausgeht. Der Film zeigt die Traurigkeit, Naivität und Schönheit eines Gefühls, eines auch religiösen Gefühls, das alle kennen, die schon mal vor der Frage standen: Wo in Gottes Namen ist die geliebte Person, wenn sie nicht mehr da ist? Abgesehen davon, daß Kinder sich diese Frage freiwillig nicht stellen (müssen), spricht außer der Dialoglastigkeit vermutlich auch die Darreichungsform dagegen, mit Kindern in diesen Film zu gehen: französisches Original mit Untertitel, 93 min..
Ponette ist ein Kinderfilm für Erwachsene, von dem es allerdings zu lernen gilt.