USA/AUS/NZ 2021 · 128 min. · FSK: ab 16 Regie: Jane Campion Drehbuch: Jane Campion Kamera: Ari Wegner Darsteller: Benedict Cumberbatch, Kirsten Dunst, Jesse Plemons, Kodi Smit-McPhee, Thomasin McKenzie u.a. |
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Vivisektion von Männlichkeit | ||
(Foto: Netflix) |
Sie ist ein Festivalliebling, gilt in ihren Filmen als feministisch engagiert, und war bis zu diesem Sommer die einzige Frau, die je in Cannes eine Goldene Palme gewann: Die neuseeländische Regisseurin Jane Campion. Jetzt hat Campion ihren ersten Film seit 12 Jahren gedreht, allerdings für die Streaming-Plattform Netflix. Vorher kommt er immerhin ins Kino: The Power of the Dog wurde in Venedig uraufgeführt und erhielt dort den Silbernen Löwen für die »Beste
Regie«. Der Film hat alle Qualitäten, für die man Campion schätzt.
Vor allem ist diese Romanverfilmung ein für Campion überraschender Film.
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Dies ist ein Western, der in den frühen Zwanziger-Jahren angesiedelt ist, zugleich allerdings weit weg von den Stereotypen der »Roaring Twenties« und der Welt des »Großen Gatsby« liegt. Es gibt noch Cowboys und schon Autos – die »alte Welt« ist noch nicht gestorben, noch wird das Leben von Cowboys regiert, nicht von Fütterungs- und Melk-Automaten. Autos hingegen sind noch mehr Kuriosität und Neuheit als Statussymbol oder Notwendigkeit. Eine solche Welt harter körperlicher Arbeit, Jagdgeschichten und unsicherem Überleben hat ihre klaren Regeln, und einer ihrer Imperative ist der von Männlichkeit und Männermacht.
Der Ich-Erzähler dieser Geschichte ist ein junger Mann, Peter. Seine Mutter Rose wird von Kirsten Dunst gespielt: Eine Frau in einer Männerwelt. Ihr Mann hat sich umgebracht, der halbwüchsige Sohn ist in sich zurückgezogen. Heute würde man ihn einen »Nerd« nennen, er ist ein Schwächling, einer, der in diese Welt nicht hineinpasst. Peter ist sensibel, weich, sogar feminisiert, ein Stubenhocker, der mit der Natur wenig und dem Leben der Cowboys gar nichts anfangen kann.
Und
eigentlich könnten schon die ersten Sätze verraten, was hier passieren wird, denn Peter sagt, dass er es ist, der seine Mutter jetzt beschützen müsse.
Zunächst aber geht es um etwas vollkommen anderes: Philip und George, gespielt von Benedict Cumberbatch und Jesse Plemons, sind zwei ungleiche Brüder. Sie betreiben zusammen eine große Rinderfarm mit vielen Angestellten. Sie sind reich. Aber das und ihre Kindheit ist alles, was sie gemeinsam haben.
Ansonsten sind sie körperlich wie auch geistig das komplette Gegenteil voneinander. George ist ein bisschen dick, sensibel und höflich, daher wirkt er langsam, manchmal sogar langweilig.
Phil ist durchtrainert und sicherlich intelligenter, aber auch nervöser, unruhiger. Und grausamer. Leben und Haltung der Cowboys, das Cowboytum sind für ihn fast eine Art Religion. Immer wieder erinnert er an einen gewissen legendären Bronco Henry, der für Phil ein Idol ist, und dessen Geist über ihm zu schweben scheint.
Vor Philip haben die Menschen Respekt und Angst, gegenüber George Sympathie und latente Verachtung.
Die Brüder sprechen über sich selber halb im Scherz, halb im Suff als Romulus und Remus. Und sie reden von dem »Wolf, der uns erzog.«
Als der eine Bruder, George die einsame Witwe Rose heiratet, kann der andere, Philip, Zorn, Neid und seine verkappte Homosexualität immer weniger zügeln – so entspinnt sich ein episches Drama voller Destruktivität, bei dem allein die herrlichen Landschaftsbilder Montanas noch für ungebrochene Schönheit sorgen.
Sobald Mutter und Sohn in die Ranch einziehen, wendet sich Philip gegen sie und quält sie mit geradezu sadistischem Vergnügen, während George sich in Geschäften verzettelt und seine Frau nicht richtig beschützen kann. Zugleich leidet Philip erkennbar unter der Situation, und sein Benehmen wird zunehmend obsessiv.
Währenddessen wird Rose allmählich zur Säuferin...
Doch dann passiert etwas vollkommen Unerwartetes: Zwischen dem sanften Peter und dem strengen, harten Philip entwickelt sich eine spezielle Verbindung. Peter findet in ihm einen Ersatzvater, der ihm all diese klassisch männlichen Dinge beibringt: Wie Reiten, Jagen, Campen in den Bergen und dergleichen. Und Phil hat die Möglichkeit, ein Mentor für jemanden zu sein, so wie es Bronco Henry für ihn war.
Die Frage aller Fragen ist, ob diese Beziehung nur eine weitere von Phils Manipulationen ist (um Rose zu verletzen) oder aufrichtig? Und wenn sie ehrlich ist, aus welchen Gründen...?
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Der neueste Film der bekannten, feministisch engagierten Neuseeländerin Jane Campion ist eine Vivisektion von Männlichkeit. Und eine für diese Regisseurin überraschende Sozialstudie des Middle-West-Amerika, der reichen Farmer und ihrer armen Lakaien.
Campion arbeitet äußerst gründlich. Jede ihrer Aufnahmen ist in Bezug auf Komposition, Textur und Timing aufs Genaueste durchdacht. Ihre Arbeit mit den Schauspielern ist perfekt. Die Kamera von Ari Wegner ist attraktiv, aber nicht touristisch, das Production Design ist detailreich und Jane Campion, die einst neben Anthropologie auch Malerei studierte, ist eine sehr visuelle Filmautorin, zugleich klassisch und in mancher Hinsicht akademisch.
Campion baut die in Kapitel
unterteilte Handlung sorgfältig um Philip herum. Es stört dabei, wie andere Charaktere verschwendet werden, insbesondere sein Bruder George, der in der zweiten Hälfte des Films fast verschwindet. Ebenso wie Rose, die dramaturgisch vor allem dazu dient, Philips Frauenfeindlichkeit verbunden mit Sensibilität für weibliches Leiden zu triggern.
Vor allem aus Kirsten Dunsts Figur macht Campion zu wenig, was auch deshalb enttäuscht, weil man von ihr Frauenfiguren von großer Tiefe
und Komplexität kennt, was man in diesem Fall kaum behaupten kann. Und weil ausgerechnet Campion hier eine weibliche Figur fast komplett instrumentalisiert, und man sich gut vorstellen kann, wie das bei einem männlichen Regisseur in gewissen Kreisen kommentiert würde.
Campion zeigt sich in diesem Film als sensibler für das Leiden der Männer und geradezu als Regisseurin, die Männer viel viel interessanter findet als die rein funktionalen Frauenfiguren dieses Films (man achte
auch auf die Figuren der Dienstboten oder die Gattin des Gouverneurs bei einem Abendessen zum Fremdschämen, das einer der späten Höhepunkte des Films ist.)
Familie ist auch hier wieder ein Terrorzusammenhang – so schön und großzügig und »Bonanza«-haft dieses riesige Holzhaus mit seinen langgezogenen Treppen aussieht, trägt doch jeder hier in diesem Geisterhaus einen tiefen Schmerz im Herzen. Und jeder hat seine Geheimkammern, um überleben zu können.
Diese sind allerdings vor allem uns Zuschauern sichtbar.
In diesem Sinne ist The Power of the Dog ein Film über komplexe Beziehungen unter Bedingungen relativer Isolation, über Schuldgefühle und fehlgeleitete Liebe. Etwa als Philip, während sein Bruder mit seiner Ehefrau schläft, mit manischen, rhythmischen Bewegungen seinen Sattel wienert. Oder etwa als Rose in einer Szene vollalkoholisiert einen tränenreichen Verzweiflungsanfall bekommt und die Indianer der Gegend, die auf der Ranch ihre Felle
verkaufen, um Verzeihung bittet und überfreundlich ist in einer Mischung aus Humanismus, Alkoholtrance und Verrücktheit.
Das ist auch ein absurd witziger Moment, in dem Campion unsere zeitgenössische »white guilt« ironisch aufs Korn nimmt und zugleich die ihr innewohnende Humanität zeigt.
Ein guter, aber kein großartiger Film.