Kanada/GB 2020 · 104 min. · FSK: ab 18 Regie: Brandon Cronenberg Drehbuch: Brandon Cronenberg Kamera: Karim Hussain Darsteller: Andrea Riseborough, Christopher Abbott, Rossif Sutherland, Tuppence Middleton, Sean Bean u.a. |
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Plötzlich ist da diese Selbsterkenntnis | ||
(Foto: Kinostar) |
Authentizität ist leider immer noch ein Gebot der Stunde. Ein volles Entfalten des Selbst, ein Ganz-bei-sich-Sein, als gäbe es da etwas Abgeschlossenes, Unverfälschtes tief in uns, das man nur entdecken müsste. In der Praxis ist das ein einziger Trugschluss, den man in verschiedensten Diskursen (auch über das Kino) immer wieder lesen und hören kann und der nur die Komplexität von Inszenierung, sozialem Rollenspiel und den Einflüssen von außen kompensieren soll.
Brandon Cronenberg hat diesen Trugschluss erkannt. Sein zweiter Langfilm – acht Jahre nach dem ebenfalls sehenswerten, aber noch etwas unausgegorenen Antiviral – ist die albtraumhafte Bebilderung einer Selbstentfremdung. Wenn es in Possessor überhaupt so etwas wie das »Authentische« gibt, dann ist es der Körper. Der Rest ist Spiel, Mimikry und Unterwerfung. Wobei selbst der Körper in Possessor nur Maske, Spiel- und Projektionsfläche für die Aufspaltung durch sich selbst und andere ist. Man muss also eher sagen: Authentisch ist bei Cronenberg körperliches Material und zwar im Moment seiner Deformierung, Penetration und Zerstückelung. Er wirft es in ein unterkühltes, raubtierkapitalistisches Schlachtfeld, dem man hilflos ausgeliefert ist.
Man kommt nicht umhin, auf die Bezüge zu Brandon Cronenbergs Vater David zu verweisen. Possessor beschwört dessen »Body Horror«-Bilder von verstümmelten, wuchernden und zerfließenden Körperteilen, von Kabeln, die in die Haut eindringen, um Verbindungen zu ominösen Apparaturen aufzubauen. Cronenberg Seniors eXistenZ wird da besonders zitiert, Jennifer Jason Leigh taucht sogar in einer Nebenrolle auf. Originalität kann man Possessor auf den ersten Blick nicht gerade zusprechen. Er spinnt daraus jedoch nicht einfach eine halbherzige Kopie, sondern weiß genau um die Zeichenhaftigkeit und Tragweite dieser Versatzstücke, die er mit großer Intelligenz montiert.
Possessor entwirft mit dem Motiv der Gedankenkontrolle eine dystopische Zuspitzung spätmoderner Arbeitswelten. Cronenberg erzählt das anhand zweier Figuren, die eins miteinander werden und daran scheitern, Autonomie über das eigene Subjekt zu erlangen. Einerseits die von Andrea Riseborough gespielte Tasya Vos, eine begabte, aber zerrüttete Aufsteigerin in der großstädtischen Konzernokratie. Unter der Aufsicht ihrer Chefin Girder (Jennifer Jason Leigh) dringt sie für reiche Klienten mit einer Technologie in den Geist anderer Menschen ein, um diese als Marionetten für Wirtschaftsinteressen zu nutzen.
Andererseits Colin Tate (Christopher Abbott), ihr nächstes Opfer, das sie missbrauchen will, um einen mächtigen Unternehmer zu ermorden, damit das Firmenerbe an dessen Sohn übergehen kann. Natürlich mit einem glaubwürdigen Narrativ und einer Charakterentwicklung; die Bevölkerung braucht schließlich solch vermeintlich schlüssige Pathologisierung, um das alltägliche Böse zu verdauen. Doch Colins Unterbewusstsein wehrt sich, bis beide Persönlichkeiten um Körper und Geist ringen.
Possessor verfolgt diesen inneren Kampf als Anordnung verstörender Tableaus, die er suggestiv in unsere Köpfe schleust und die die brüchigen Grenzen zwischen innen und außen, Beruflichem und Privatem, zwischen Geschlechtern und Leibern verwischen. Der sich windende Körper unter der Virtual-Reality-Brille, der sich blutend über seinen Kontrollverlust entäußert. Ein Auge, das in einem Akt völliger Aggression aus dem Schädel gestochen wird. Gesichtshaut, die man sich in einer psychedelischen Körpertausch-Sequenz als Maske überstülpt. Die aufgereihten Arbeiter in der »Mine«, in der auch Colin arbeitet: Menschen in virtuellen Büros, die andere über Webcams für Werbezwecke ausspionieren.
Wenn Possessor eines beweist, dann wie wirkungsvoll Genrekino noch immer sein kann, sofern es (trotz aller bekannter Versatzstücke) derartig prägnante, zum Teil haarsträubend brutale audiovisuelle Übersetzungen für das Abstrakte findet. Cronenberg vermengt Science-Fiction, Paranoia-Thriller, Satire und Body-Horror zu einem herausfordernden Hybriden, über dem eine enorme Melancholie und Schwere liegt. Das Verschrobene und Skurrile, vielleicht sogar das trashig Humorvolle, das die Klassiker David Cronenbergs bei all ihrem Schrecken innehatten, fehlt in dem eiskalten, formstrengen Werk seines Sohns gänzlich.
Man könnte allein eine ganze Abhandlung über die Darstellung von Riseborough und Abbott verfassen, so viele Metaebenen und Selbstbespiegelungen finden sich dort. Beide meistern das Spiel im Spiel im Spiel, das über sich selbst und die eigene Fremdsteuerung reflektiert, beachtlich. Da liegt allein eine ungeheure Tragik in Christopher Abbots Augen, wenn seine Figur langsam erkennt, dass selbst das Aufbegehren einer ausgebeuteten Arbeiterschaft längst von dem nächsten Konzern gesteuert und abgefangen wird. Auch bei Riseboroughs Auftragskillerin hat sich die Arbeitswelt längst verheerend in den Körper eingeschrieben. Das Einstudieren sozialer Konventionen als Schauspiel, das Erfühlen der eigenen geschlechtlichen und sexuellen Identität, die ebenfalls mit solchen vorgelebten Konventionen verbunden ist, sind dabei längst enttarnt.
Possessor atmet eine postmoderne Depression. Er findet sie in der Erschaffung des totalen Arbeitswesens im Lossagen vom Zwischenmenschlichen. Erfolg ist hier die Perfektion der eigenen Aufspaltung und die Akzeptanz der Warenhaftigkeit der eigenen Identität, die vollends von Wirtschaftssystem und Arbeitsprozessen vereinnahmt ist. Auch die Familie, wo der Film zunächst noch jenes Unberührte und Wahrhaftige suchen will, bietet davor keinen Zufluchtsort mehr. Die Determinierung durch kapitalistische Strukturen und medial vermittelte Wahrnehmungen und gleichzeitig die vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten, das Ich zu formen, auch im technologischen Sinne, liefern den Rest Unbehagen. Den »Kapitalistischen Realismus ohne Alternative«, den Mark Fisher einst beschrieb, hat Brandon Cronenberg in einen subjektiven Horrortrip verwandelt. Wie weit seine Durchdringung und Alternativlosigkeit fortgeschritten ist, offenbart sich spätestens in der finsteren Schlusspointe.
Und doch gibt es einen bemerkenswerten Moment des Ausbruchs. In einer Szene wird Vos mit ihren eigenen Abgründen konfrontiert: Auf eine Wand vor ihr werden die Splatter-Bilder ihrer Taten projiziert, zu denen sich im Laufe dieses grausamen Films noch viele weitere gesellen. Das Rot des Blutes wird auf Vos' Gesicht zurückgeworfen. Plötzlich ist da diese Selbsterkenntnis, das kurzzeitige Spiegeln, Ablösen und Distanzieren von den eigenen Lebensumständen. Am Ende ist es das Kino, das diese Distanz erlaubt.