USA 2014 · 107 min. · FSK: ab 6 Regie: Dean Israelite Drehbuch: Andrew Deutschmann, Jason Pagan Kamera: Matthew J. Lloyd Darsteller: Jonny Weston, Sofia Black-D'Elia, Sam Lerner, Allen Evangelista, Ginny Gardner u.a. |
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Die infantile Gesellschaft sieht sich beim Erwachsenwerden zu |
Zeitmaschine reloaded: In der fünften Dimension können wir uns selbst beim Erwachsenwerden zugucken. Aber angenommen, wir könnten unsere Vergangenheit verbessern – sollten wir das überhaupt wollen? Project Almanac ist ein kindischer Film über ein erwachsenes Thema, und schaltet sich ganz nebenbei in die philosophischen Debatten der Stunde ein, etwa die um das »Manifest des neuen Realismus« von Maurizio Ferraris.
Zeitreisen haben das Kino schon oft und in sehr unterschiedlichen Formen fasziniert: Erst gerade visualisierte Christopher Nolans Interstellar in atemberaubenden Bildern die Relativitätstheorie, nach der ein Vater nach Ende seiner Reise in unterschiedlich »gekrümmten« Zeiträumen plötzlich um Jahre jünger ist als seine Tochter.
Dean Israelites Debütfilm Project Almanac macht es sich einfacher. Hier geschieht alles mittels einer »klassischen« Zeitmaschine, die höchst anschaulich, aber auch wie im Kindermärchen zischt, sprüht und elektrische Funken spuckt, und ihre Insassen so wie einst in H.G. Wells berühmtem, mehrfach verfilmten Roman »Die Zeitmaschine« auf einer Zeitschiene zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin- und hertransportiert. So ist der Eindruck der einer Art »Zurück in die Zukunft« fürs Smartphone-Zeitalter.
Der Stil von Project Almanac ist die typische Subjektivität und Wackelkamera-Ästhetik des sogenannten »Found Footage«-Genres: Nicht an die kontrollierte Unruhe der Dogma-Handschriften, sondern die grundsätzliche Hysterie und latente Panik von Blair Witch Project oder Cloverfield erinnert dieser Film. Diese Effekte peppen den Film auf und schneidern ihn zurecht für die jugendliche Hauptzielgruppe. Effekte und Schauspielleistungen können aber nur mäßig befriedigen – so bleibt ein zwiespältiger Gesamteindruck.
Die Hauptfigur des Films heißt David. Einerseits ist er ein ganz normaler Schüler einer US-amerikanischen Highschool, so wie wir ihn zumindest aus dem Kino kennen: gutaussehend, sportlich, etwas unreif, aber mit dem Herz »am rechten Fleck«. An Mädchen ist er interessiert, aber er ist zu schüchtern, um mehr zu tun, als auf ihre hübschen Beine zu schauen. Andererseits ist David ein introvertierter Tüftler, technikbegabt und clever darin, mit Problemen umzugehen. Er ist auch ganz und gar nicht ohne Ehrgeiz, das zeigt sich daran, dass er sich für die Ausbildung an der Eliteuni MIT beworben hat – und zu Beginn des Film tatsächlich aufgenommen wird.
Die Ursache für seine nicht unkomplizierte Charakterstruktur ist, das erfährt der Zuschauer sehr schnell, ein unverhohlener Vaterkomplex, an dem sich David seine komplette Jugend lang abarbeitet. Seinen Vater, den er bewunderte und mit dem ihn eine innige Beziehung verband, verlor er bereits im jungen Alter von sieben Jahren durch einen Unfall. Seitdem wurde das perfekte Vaterbild durch Lebenserfahrung und die üblichen Desillusionierungsprozesse des Erwachsenwerdens
zunehmend vom Sockel geholt. Denn der Vater war ein Freizeit-Erfinder, der in einer vielfältig ausgestatteten Werkstatt im Hobby-Keller fortwährend an irgendwelchen geheimnisvollen Dingen herumbastelte – ohne hierfür je öffentliche finanzielle Anerkennung zu erhalten. Im Gegenteil: Der Witwe und den beiden Kindern hinterließ er Schulden und ein Haus, das erst zehn Jahre später abbezahlt ist. Jetzt ist die Mutter arbeitslos, und weil David kein Stipendium bekommt, muss es
verkauft werden, um dem Sohn das Elitestudium überhaupt zu ermöglichen.
Auf subtile Weise arbeiten Regisseur Israelite in seinem ersten Spielfilm und sein Drehbuchautor Andrew Deutschman also die prekäre Situation heraus, in die der amerikanische Mittelstand in den letzten zwei Dekaden zunehmend gerutscht ist: Zunehmende Schulden, Arbeitslosigkeit, und allgemeine »Angst vor dem Absturz« lassen vom »American Dream« nicht mehr viel übrig.
Der anvisierte Hausverkauf ist dann die Ursache einer entscheidenden Entdeckung: David findet auf dem Dachboden eine alte Kamera des Vaters. Dort findet er Aufnahmen seines siebten Geburtstages. Und auf denen – sich selbst im gegenwärtigen Alter. Gemeinsam mit seiner Schwester und zwei, später drei Schulkameraden sucht er nach Erklärungen, kramt im Keller in den alten Sachen seines Vaters, die dort offenbar zehn Jahre unangetastet ihrer Erforschung harrten und findet eine Zeitmaschine.
Nach Anfangsschwierigkeiten und Fehlversuchen, die sich mitunter zäh und überflüssig in die Länge ziehen, reisen die fünf dann mehrfach in die Vergangenheit und verbessern ihre Lage: Ein Freund schafft die Chemieprüfung, die Mutter bekommt einen Job, und alle gemeinsam gewinnen im Lotto – mit dem schönen Nebeneffekt, dass das Haus nicht verkauft werden muss. Aber natürlich kann es so harmonisch nicht weitergehen: Die Wirklichkeitsmanipulation hat ungewollte
Nebenfolgen, und als David dann auch noch im Alleingang versucht, die verfehlte Liebe seiner Angebeteten Jassie nachträglich zu erringen, wird alles endgültig kompliziert.
Die Spannung steigt bis zur Katharsis, die dann auch den Dachbodenfund erklärt: David reist zu seinem siebten Geburtstag, und verhindert, dass die Zeitmaschine überhaupt erst erfunden wird.
Dieses Happy-End enttäuscht den Zuschauer, weil es die Romantik von Utopie und Wissenschaft zugunsten einer spießigen
Moral opfert, nach der der Mensch gefälligst eine Verbesserung der Vergangenheit gar nicht zu wollen habe: »Es gibt keine zweiten Chancen« lautet das brave Fazit, dabei gibt es sie ja gerade doch.
Denn das eigentliche und sehr amerikanische Happy End liegt natürlich darin, dass sich David gleich doppelt mit seinem Vaterbild versöhnt. Per Handschlag in der Vergangenheit und weil er (und der Zuschauer mit ihm) weiß, dass der vermeintliche Versager eigentlich ein großer Erfinder war – wenn auch die Erfindung nicht sein darf. Vor allem dieser Wissenschaftspessimismus trennt den Film von den heiteren Zeitspielen aus »Zurück in die Zukunft«.
Noch eine abschließende Anmerkung zu philosophischen Gerüst des Films: Project Almanac geht von jenen physikalischen Theorien aus, nach denen mehrere Welten parallel existieren (können) und gleichzeitig etwas ist und nicht ist. Ontologisch und epistemologisch teilt er diese, er setzt dem aber die moralische Position entgegen, dass wir Menschen – kontrafaktisch, wenn man den Film ernst nimmt – auf der Annahme einer einzigen Welt beharren sollten. Das scheint mir kruder erkenntnistheoretischer Fundamentalismus zu sein.
Literaturhinweis:
Maurizio Ferraris: »Der neue Realismus – Versuch einer Rekonstruktion der Wahrheit«