Spanien/USA 2016 · 133 min. · FSK: ab 12 Regie: Terry George Drehbuch: Terry George, Robin Swicord Kamera: Javier Aguirresarobe Darsteller: Oscar Isaac, Christian Bale, Charlotte Le Bon, Daniel Giménez Cacho, Shohreh Aghdashloo u.a. |
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Vor dem Absturz durch den Cast gesichert. Aber ein Balance-Akt |
Ein junger armenischer Apotheker (Oscar Isaac) aus einem Bergdorf in der Südtürkei kommt nach Konstantinopel, um Arzt zu werden, verliebt sich in eine schon Vergebene, kehrt nach Hause zurück, trifft irgendwann wieder auf die Geliebte (Charlotte Le Bon) und deren Partner – das alles zu Beginn des Ersten Weltkriegs, als das Osmanische Reich zerfällt und die systematische Massendeportation und die Ermordung der armenischen Bevölkerung ihren entsetzlichen Lauf nehmen.
Das ist die grob umrissene Handlung des Spielfilms The Promise von Terry George. Aber er kommt mit Lockprämien daher, vor allem mit einer einmaligen Besetzung. Oscar Isaac und Christian Bale verkörpern die Haupt- respektive die wichtigste männliche Nebenrolle – Zwei Akteure also, die uns im Laufe ihrer Karriere unter anderem schon die Augen über Gegenwart und Zukunft geöffnet haben, Bale als Supernerd-Hedgefondsmanager in The Big Short und Isaac als nicht minder eigenbrötlerischer Neo-Frankenstein in Ex Machina. Jetzt stellen sie ihr Können für ein Historiendrama zur Verfügung, das anhand einer komplizierten Dreiecksromanze – die andere Lockprämie – aufgezogen wird.
So lässt man sich bereitwillig im Kinosessel nieder und wähnt sich nach kurzer Zeit prompt in der Falle. Was für eine Schmonzette vor dem Hintergrund eines Völkermords – so mag der eine oder andere im Publikum im ersten Akt des Films denken, zumal viele Figuren in der englischen Originalversion mit einem irritierend-künstlichen Akzent versehen sind, der die Leinwand-Illusion trotz des herausragenden Spiels vergleichsweise lange in Gefahr bringt. Doch dann passiert etwas, das im fiktionalen Kino nicht unbedingt regelmäßig stattfindet: Im Zweifel-Sturzflug geht rechtzeitig der Fallschirm auf. Der Fallschirm ist die Art, wie Terry George das Verbrechen als vernichtende Welle sich immer mehr in den Vordergrund spülen lässt, die auch jene Charaktere erfasst, welche sich unbemerkt dank ihrer Darsteller doch irgendwie in unsere Herzen geschlichen haben müssen. Teilnahmslosigkeit weicht immer mehr der Bestürzung, weder Akzente (in der synchronisierten Fassung ohnehin kein Problem) noch gefühlige Hintergrundmusik spielen da noch eine Rolle, kein Schicksal ist einerlei – eine Kunst, deren Beherrschung der nordirische Regisseur (u. a. Hotel Ruanda, Drehbuch Im Namen des Vaters) schon oft unter Beweis gestellt hat.
So rettet The Promise seine Glaubwürdigkeit aus den Kitsch-Fängen auf erstaunliche Weise und reiht sich nach Fatih Akins Heldenepos The Cut ein in eine vielleicht nicht sehr lange, aber doch kontinuierliche Reihe an internationalen Spielfilmen, die sich mit dem Völkermord an den Armeniern auseinandersetzen. Die dürfte mit dem US-amerikanischen, seinerzeit erfolgreichen Stummfilm Auktion der Seelen 1919 begonnen haben – lange galt dieser als verschollen, bis 2009 ein Forscherteam 24 Minuten einer zufällig entdeckten Filmrolle wiederherstellen und vorführfähig machen konnte.
The Promise hat auf jeden Fall eine Chance verdient, auch und gerade hierzulande. Denn der historisch längst belegte Genozid, der vor gut 100 Jahren an den Armeniern, Aramäern und Assyrern begangen wurde und den die türkische Regierung heute noch leugnet, war dem Deutschen Kaiserreich, dem »Waffenbruder« des Osmanischen Reichs im Ersten Weltkrieg, nicht nur bekannt, sondern wurde von ihm sogar billigend in Kauf genommen. Darüber hinaus war die jeweils unterschiedliche Auffassung des deutschen Parlaments und der türkischen Regierung zu V-Wort und Tatbestand immerhin einer der Hintergründe für den in Bälde realisierten Abzug der in Incirlik stationierten Bundeswehr; außerdem hatte sie eine Reihe Morddrohungen und wüster Beschimpfungen türkischstämmiger Bundestagsabgeordneter zur Folge, die der sogenannten »Armenien-Resolution« des deutschen Parlaments im vergangenen Jahr beipflichteten.
»Ohne uns Reporter wird das armenische Volk unbemerkt verschwinden«, sagt Pressefotograf Myers (Christian Bale) einmal im Film. Und wer die Opfer nicht wahrhaben will, von denen es Schätzungen zufolge zwischen 800.000 und mehr als 1,5 Millionen gegeben haben muss, läuft Gefahr, sie ein weiteres Mal zu töten. Das zu verhindern ist die Herzensangelegenheit des filmischen Unternehmens The Promise – angefangen bei dem armenischstämmigen Multimillionär Kirk Kerkorian, der es mit der Produktionsfirma Survival Pictures finanziell ermöglichte und 2015 verstarb, über die Darsteller, die, so Lars-Olav Beier im »Spiegel«, theoretisch ihre Festnahmen in der Türkei riskieren, bis hin zum 2017 verstorbenen Musiker und »Soundgarden«-Frontmann Chris Cornell. Für seinen Titelsong »The Promise« und für die Worte des amerikanisch-armenischen Schriftstellers William Saroyan lohnt es sich auf jeden Fall, noch den Abspann abzuwarten.