Dänemark/Deutschland 2006 · 82 min. · FSK: ab 16 Regie: Anders Morgenthaler Drehbuch: Mette Heeno, Anders Morgenthaler Musik: Mads Brauer, Casper Clausen |
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Verstörendes mit den Mitteln der Animation |
Wer ein Beispiel für einen christlichen Hassfilm gesucht hat – hier ist es: Im Zentrum von Anders Morgenthalers Princess steht ein wildgewordener Priester, der um die Sünden seiner Umwelt zu rächen, einen persönlichen Kreuzzug entfesselt und naturgemäß vor aller unchristlicher Gewaltausübung nicht zurückschreckt – oder muss Sodom auch heute noch mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden? So oder so ist das Ergebnis jedenfalls ein Spiegelbild des hier Bekämpften: Ein obszöner Gewaltporno im Gewand der Filmkunst, und ein letztlich ziemlich undurchdachtes – oder zynisches? – Exploitation-Kino.
Animationsfilme, im Deutschen als »Trickfilme« schon im Ausdruck nur ungenau auf ihre Künstlichkeit reduziert – als ob Filme mit Schauspielern ohne Tricks auskämen – gelten immer noch als ein »minderer«, harmloser Typus, dem Genre des Kinderfilms oder besonderen Dokumentationen vorbehalten. Der dänische Regisseur und Karikaturist Anders Morgenthaler, Jahrgang 1972, beweist nun mit Princess, was Japaner, Chinesen und Franzosen schon lange wissen: Auch komplexe, erwachsene Stories, Themen, die weh tun, auch Horror und Gewalt, Sex und Drama, können mit den Mitteln der Animation dargestellt werden. Morgenthalers Bilderwelt lehnt sich sehr stark an japanische Vorbilder an. Die Zeichnungen sind flächig, den Hintergrund bilden wie in der Japanimation oft bearbeitete Fotografien, und mitunter sind Realfilmpassagen in das Ganze hineingemischt, sodass Princess visuell beeindruckt und eine ganz eigenartige Poesie entfaltet.
Jenseits seines kunstvollen Stils ist die Gesamtwirkung von Princess allerdings verstörend und mehr als fragwürdig. An der Handlung des Films liegt das nur zum Teil: Sie dreht sich um den Priester August. Nach dem Drogentod seiner Schwester Christina kehrt er aus dem Ausland zurück, und nimmt deren Tochter, die fünfjährige Mia in seine Obhut. Mia, das wird schnell klar, ist verhaltensauffällig, und auch die Gründe sind bald offenkundig. Denn Christina war unter dem Namen Princess ein Superstar der Pornobranche, und Mia ist in ebendiesem Porno-Milieu aufgewachsen und dort offenbar auch missbraucht worden. Die obszönen Bilder der Vergangenheit drängen sich immer wieder in den Vordergrund: Einmal öffnet Mia wie als wäre es ganz selbstverständlich, Augusts Hose – die Reaktion Augusts auf dieses Schlüsselerlebnis ist allerdings selbst bald nicht mehr rational. Er will die Dinge »wieder in Ordnung« bringen. »Komm Mia, Zeit, sauberzumachen!« Es beginnt mit einem Reinigungsritual, das schon wahnsinnig genug ist: August versucht, sämtliches Princess-Material zu vernichten, Pornomagazine und -filme mit Bildern seiner Schwester einzusammeln. Dann schießt er endgültig übers Ziel hinaus: August entschließt sich zu einem blutigen, ganz und gar unchristlichen Rachefeldzug – ein Priester sieht rot.
Daher stehen, wer schon mal einige der protestantischen Gewissensdramen des skandinavischen Kinos gesehen hat, ahnt es längst: persönliche Schuldgefühle. Denn August hat in gemeinsamen einst selbst seine Schwester in ihrem »freizügigen« Verhalten bestärkt. Und er ist nicht eingeschritten, als Christina’s Exfreund Charlie, diese Neigung – woher kommt sie eigentlich? – zu Geld machen will. Auf Christina baut er sein Imperium auf.
Die Last ist bleischwer, die Anders Morgenthaler seinem Film aufbürdet: Denn keine Frage, dass Kinderschänder und Kindesmißbrauch, Strafe und Verachtung verdienen. Mit ihnen deshalb kurzen Prozess zu machen, ist aber etwas anderes. Nicht die Selbstjustiz-Moral des Films verdient Kritik, aber das Fehlen ihre Infragestellung. Wenn es den richtigen trifft, ist alles verdient – so argumentiert der Film. Aber wer entscheidet, wer »der Richtige« ist? Ein wildgewordener Priester? Und verdient nicht jeder das Recht, zumindest gehört zu werden?
Schwerer wiegt, dass Morgenthaler das moralisch eindeutige Thema des Kindesmißbrauchs aber nicht nur mit der Ethik von Missionaren vermischt, die im Kampf gegen die Heiden schon mal zu gröberen Mitteln greifen und nur vollkommene Unterwerfung der bisher Nichtgläubigen akzeptieren. Und er vermischt es auch mit dem weit weniger eindeutigen Komplex der Pornographie. Es ist des Regisseurs gutes Recht, Pornos zu verdammen. Aber man muss dann doch daran erinnern, dass es sich um keine Straftat handelt – Pornographie ist in freien Gesellschaften nunmal erlaubt, und ist zumindest zu gewissen Zeiten sogar ein Mittel der Liberalisierung und Demokratisierung der Gesellschaft. Und den Wandel zu einer Industrie hat beileibe auch nicht nur die Porno-Industrie vollzogen.
Sein Hass macht Morgenthaler blind für solche Nuancen, und für das Unrecht, das seine Priesterhauptfigur begeht. So mündet dieses puritanische, moralisierende Pamphlet in eine bluttriefende Gewalt-Orgie, und sein Held in einen christlichen Gotteskrieger. Unverzeihlich in ihrer Haltungslosigkeit – oder Eindimensionalität der Haltung – und ihrem Sadismus sind dabei besonders jene Augenblicke, in denen August die kleine Mia, die immer an seiner Seite ist, noch selbst zur Gewaltausübung an ihren Peinigern ermutigt: Mit der Gartenhacke in die Weichteile – ein Trauma mehr, darf man vermuten. Auch wenn dem Film dazu nur der Dialogsatz einfällt: »Das macht echt Spaß!« Wohlwollend könnte man allenfalls sagen: Der Film zeigt, was Missbrauch auch bei Angehörigen anrichten kann.
Doch wenn man weiß, dass die dänische Produktionsfirma des Films, Lars von Triers Zentropa, selbst den Etat für ihre anspruchsvolleren Filme – in Dänemark gibt es keine Filmförderung nach deutschem Vorbild – mit Pornofilmen finanziert, dann kann man einen schlimmeren Verdacht nicht abweisen: Wie, wenn Morgenthaler selbst hier den Voyeurismus und andere niederen Instinkte seines Publikums bedienen würde? Wie wenn er mit Princess einen Gewaltporno gedreht hätte?