USA 2023 · 113 min. · FSK: ab 12 Regie: Sofia Coppola Drehbuch: Sofia Coppola Kamera: Philippe Le Sourd Darsteller: Cailee Spaeny, Jacob Elordi, Dagmara Dominczyk, Ari Cohen, Jorja Cadence u.a. |
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Das Schmink-Püppchen Priscilla | ||
(Foto: Mubi) |
Sorgfältig rotlackierte Fußnägel sinken tief in den roséfarbenen Flokati ein. Lange Echthaar-Wimpern werden an die rauchig geschminkten Augen angelegt, bevor es zum Kreisssaal geht. Ein Close-up-Griff zum Flacon, Chanel No. 5 (Product Placement). Glänzende Nude-Nägel blättern in Illustrierten. Elvis und Nancy. Elvis und Scoobie. Elvis und … Ein Seufzen. Ein Blick ins aufgeräumte Wohnzimmer. Ein weißer Pudel sorgt für noch mehr Niedlichkeit des kleinen Wesens, das sich in Pumps auf der Wohnlandschaft niedergelassen hat. Wie aus dem Ei gepellt sitzt Priscilla da, frisiert, geschminkt und gekleidet, wie Elvis, ihr Noch-nicht-Lover und Bald-Ehemann, es gerne hat. Schwarz getönte Haare, blaue kurze Kleidchen. Cailee Spaeny spielt sie gebührlich puppenhaft, als würde sie warten, in jedem Moment des Films. Jedoch: Kein Elvis in Sicht.
Wer jetzt gähnend abschaltet, der weiß, wie es der Ehefrau von Elvis Presley, Mutter seines einzigen Kinds, gegangen sein muss. Angeleitet wurde Sofia Coppola von der Autobiographie der echten Priscilla Presley, die den Film auch mitproduziert hat. »Elvis and Me« heißt das Buch und verspricht »the true story of the love between Priscilla Presley and the King of Rock ’ N’ Roll«. Und der Film inszeniert jetzt diese wahre Geschichte. Oder? Irgendwann kommt er dann doch, der King, und knipst mit einstudierten Posen das Leben in Memphis an. Jacob Elrodi (der übrigens auch in Sean Price Williams The Sweet East einen Auftritt hat) spielt ihn mit großer Würde als Riesen-Kleinkind, das im rechten Moment stammelnd sagen darf: »Werde ich jetzt Papa?«
Coppolas Priscilla ist ein Film für alle möglichen Lesarten. Man erhält »Einblicke« in das Leben auf Graceland. Man macht eine Zeitreise in die Sechziger und darf den Beginn der Siebziger in den veränderten Frisuren und Moden erleben. Man kann sich aber auch feministisch empören. Darüber, dass ein junges Mädchen im zarten Alter von 14 Jahren wie auf dem Heiratsmarkt von einem zehn Jahre älteren Mann »ausgesucht« wird, dem damals, 1959, schon alle Frauenherzen erlegen waren. Der Weltstar und das unberührte Mädchen, das klingt nach Pygmalion-Mythos, wo sich der Töpfer eine Frau ganz nach seinen Wünschen formen darf. Und tiefenpsychologisch lässt das natürlich tief blicken, wenn sich ein mächtiger Mann einen ahnungslosen Teenager schnappt. Dass der Wille von Priscilla gebrochen wurde, ist wohl die Story behind the Star. Dass Priscilla nur zum Leben erweckt wurde, wenn Elvis sie ansah, ist ihre Tragik. Und die leider ungleich realere Antithese zu Greta Gerwigs »Barbie«-Interpretation (wo Ken nur existiert, wenn Barbie ihn ansieht).
Das klingt toxisch und nach »Me too«, auch wenn der kleinen Priscilla (»the little one«, wie Elvis sie nennt) schnell die Karriere ausgetrieben wird. »Du musst dich entscheiden: ich oder deine Karriere.« Und als Priscilla dann vom freudlos braungefärbten Wiesbaden ins cremefarbengetönte Memphis wechselt, dann ist Graceland für sie nichts anderes als ein Gefängnis. Und eben kein Goldener Käfig, denn: Für Priscilla ist hier nichts golden. Nur öde und beige. Das ist – auf einem anderen Level – dann auch nur ein ganz normales Frauenschicksal der Sechzigerjahre, wo mittelständische Hausfrauen in den Einfamilienhäusern zu »grünen Witwen« wurden. »Bleib zu Hause und halte den Herd warm«, sagt Elvis zu Priscilla, wenn er zum Dreh nach Hollywood muss oder auf Tour geht. Im Original sagt er: Keep the home fires burning – die patriotische Durchhalte-Hymne aus dem ersten Weltkrieg ist eine Perfidie des Films. Die Zeile könnte auch aus einem Elvis-Song stammen (ist aber vom Briten Ivor Novello, der das Lied 1914 komponiert hat).
Vielleicht aber ist es sogar interessanter, was Coppola ästhetisch anstellt. Die Regisseurin von The Bling Ring und Expertin für Kratzer in glänzenden Oberflächen inszeniert meisterlich die Leere, die sich im Leben der Elvis-Braut auftut. Anders als in Marie Antoinette, einer anderen Eingesperrten in ihrer Filmographie, verzichtet sie hier auf das Exaltierte, auf die Übertreibungen, auf die großen Gesten, wenn sie vom Leben Priscillas erzählt. Die ist von Nicht- und allenfalls Softfarben umgeben. Man sieht, wie sie ins menschleere Wohnzimmer starrt oder gelangweilt aus dem Fenster. Das ist nicht sehr aufregend. Aber auch nicht klaustrophobisch. Man schaut als Zuschauer einfach der Gelangweilten zu. Dafür entschädigen visuell die zahlreichen Close-ups auf Finger- und Zehennägel, falsche Wimpern, hellblaue Lack-Pumps. Sie stilisieren die Frau – unter dem Male Gaze von Elvis – zum Objekt, und erheben ihn insgesamt zum Fetisch und filmischen Hochglanz.
Coppola wiederholt subtil auf ästhetischer Ebene, was sich im Leben Priscillas abspielt: Ihre Geschichte von der alleingelassenen und von Elvis hingehaltenen und verschmähten Ehefrau befriedigt letztendlich dann doch auch die Sensationslust derjenigen, die gerne in den Illustrierten blättern – sei es beim Friseur in der »Gala«, sei es wie Priscilla in ihrem einsamen Wohnzimmer, bis sie wieder auf eine Love Story über den »King« stößt, die ihr möglichst weh tut. Und der Film wird selbst zu dieser Illustrierten, will auch diese Illustrierte sein, wenn er über weite Strecken das Leben der Alleingelassenen bebildert. Das Leben der Reichen und Schönen ist dann eben doch schön anzusehen.
Dazu ertönt: kein einziger Elvis-Song. Und über die ganze Filmlänge hinweg kein komponierter Score. Die Abwesenheit von Filmmusik macht Coppolas Phantasie über Priscilla dann wieder sehr wahrhaftig, wenn die Stille im Hause hörbar wird. Coppola bürstet den erwartbaren Soundtrack, und hier ist sie Marie Antoinette dann doch wieder sehr nahe, konsequent gegen den Strich. Bei der Auswahl der Songs hat sie sich (bzw. ihr Partner und Phoenix-Musiker Thomas Mars) vom Musikproduzenten Phil Spector inspirieren lassen, der in den Achtzigern Coverversionen von Songs aus den Sechzigern produzierte. Ramones’ »Baby, I Love You«, das auf die Ronettes von 1963 zurückgeht, ist ein Beispiel für das perfekte musikalische Vexierspiel in Priscilla. Und erspart einem die Elvis-Songs, mit denen man sich durch Baz Luhrmanns Biopic Elvis hangeln durfte. Dies ist kein Elvis-Film. Punkt.
Am Schluss singt dann Dolly Parton »I will always love you« zur Fahrt in die Freiheit im roten Cabrio. Die Faszination von Elvis ist für Priscilla dann doch zu groß, um sich wirklich von ihm loszusagen.
»Maybe we all have to survive our teenage dreams; the things we want at age 14 are rarely the best for the long term, and luckily, most of us don’t get them.«
Stephanie Zacharek
Es war einmal, eines Nachmittags im Jahr 1959. Die erst 14-jährige Priscilla Beaulieu, Tochter eines US-Army-Offiziers im südhessischen Bad Nauheim, wird in einem American Diner inmitten ihrer Schulnachmittagslangeweile von einem älteren Herrn angesprochen: Ob sie Elvis Presley möge – eine fast schon naive Frage, denn längst war dieser der Schwarm aller Teenies der westlichen Hemispähre. Die nächste Frage des Herrn aber hat es in sich: Ob sie Lust hätte, am kommenden Freitag mit auf eine Party zu kommen und Presley persönlich kennenzulernen? Der »King of Rock'n'Roll« absolvierte da gerade in der jungen Bundesrepublik seinen Wehrdienst bei den US-Besatzungstruppen. Priscilla Beaulieu sagt nach kurzem Zögern zu und so wird für sie ein Traum wahr, den sie nie zu träumen wagte.
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Mit dieser Szene, die unschuldig-nett ist, zumal der fremde Herr, wie damals üblich, auch noch die Eltern um Erlaubnis fragt, und die zugleich offen schlüpfrige Seiten hat, beginnt Priscilla. In ihrem neuen Film erzählt die Amerikanerin Sofia Coppola (Lost in Translation) von einem erst 14-jährigen, aber lebensklugen Teenager, der selbst nicht genau weiß, warum sich ein zehn Jahre älterer berühmter Rockstar für sie interessiert. Aber weil es sich eben um Elvis Presley handelt, sagt man nicht Nein, erst recht nicht, als Elvis sie nach einigen weiteren Partyfreitagen höflich fragt, ob sie seine Freundin sein möchte. Nach zwei Jahren keuscher Distanzbeziehung ziehen die beiden zusammen, doch eine grundsätzliche Distanz, die nicht nur etwas mit dem Altersunterschied zu tun hat, bleibt weiter bestehen.
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Wüsste man nicht, dass sich dieser Film eng an die Autobiographie von Priscilla Presley, der Ex-Frau des »King« anlehnt, wäre das auch nicht weiter schlimm. Denn Priscilla ist vor allem ein typischer Coppola-Film: Keine brave Illustration von Fakten, sondern eine klug-empathische Meditation über die universale Einsamkeit junger Mädchen. Dies ist Coppolas großes Kinothema: Zwischen Graceland und den anderen Schauplätzen von Coppolas Filmen, zu Versailles, dem »Park Hyatt Hotel« in Tokio und dem »Chateau Marmont« in Los Angeles, besteht kein großer Unterschied. Dieser Film ist auch eine Feier des Luxus, des schönen Lebens und der Abwesenheit von schlichten psychologischen Kurzschlüssen.
In Coppolas Kino gibt es immer ähnliche geschlossene Orte, fast freiwillige Trennungen und Isolationen der Figuren vom Rest der Welt – aber normalerweise neigen die Protagonistinnen ihrer Filme dazu, den Ort ihrer selbstgewählten Gefangenschaft bis zum Ende nicht zu verlassen. Diesmal ist es anders: Hier in Graceland findet der Entwicklungsprozess der Figur statt, den Coppola filmt: Intim, diskret, respektvoll und sehr persönlich. Wobei die Kamera mit den Augen und Gesichtern der beiden Hauptfiguren auch jeden noch so kleinen Gesichtszug zeigt. Die Medienseite von Elvis wird dagegen ignoriert. Er ist hier einfach ein Mann, ein Ehemann, verletzlich, unfähig, auf seine Frau zu hören, zugleich dominiert von seinem Vater und seinem Manager.
Er ist vor allem ein asexuelles Totem inmitten des testosterongeladenen Männerbundes, der ihn ständig umgibt, einer, der zugleich junge weibliche Fans im Dutzend vernascht – weil er es kann. Dafür braucht der Mann auch gar keine Row Zero.
Priscilla allein zuhaus ist aber deshalb kein Opfer. Sie ist nicht zerbrechlich, sondern so elastisch wie alle Menschen bei Coppola, deren Kino ohne Ausrufezeichen, Schlagworte und »Themen«-Bedeutungshuberei auskommt.
Coppola filmt kaum eine Szene mit Konfrontationen und Zusammenstößen, mit Schreien und Rufen à la Hollywood. Während Coppolas Elvis mit gedämpfter Stimme schwer fassbar ist, explodiert Priscilla, auch wenn sie von Eifersucht und dem Gefühl, betrogen worden zu sein, durchdrungen ist, nie. Sondern sie wird reif für ihr Alter und alles Weitere verdichtet sich in ihrem enttäuschten, traurigen, resignierten Blick.
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Gehüllt in perfekte pastellfarbene Kostüme und wunderbar schwebende, unvergleichliche Musikstücke, die übrigens auffallend selten von Elvis selber stammen, sondern anachronistischer, zeitgenössischer Pop ist, wird dieser Entwicklungsprozess erzählt.
Getragen wird alles zugleich von der exzellenten, bisher wenig bekannten Cailee Spaeny in der Titelrolle. Sie und Jacob Elordi als Elvis sind zwei der größten Stärken des Films. Sie sind wie Priscilla- und Elvis-Doubles aus einem Paralleluniversum, die ihren realen Vorbildern gar nicht einmal allzu sehr ähneln. In ihnen verbindet sich extreme Natürlichkeit mit einer Art von Undurchdringlichkeit, auch zueinander. Es ist, als ob sich Priscilla und Elvis auch nach vielen Jahren des Zusammenlebens und dem Einschlafen im selben Bett einfach nicht näher kommen könnten. Fast wie in einer realen Version von Ken und Barbie, definieren sich auch diese Figuren über Mode und perfekte Kleidungs- und Frisurwechsel, über den Fetischismus materieller Objekte – so erscheint Priscilla als ein unfreiwilliges, aber wichtiges Echo auf den Barbie-Welterfolg von Greta Gerwig.
Und zugleich liegt in dieser schwerverständlichen Beziehung eine große Zärtlichkeit, ein unvergleichliches Vertrauen.
Die Heldin, so wie Spaeny sie spielt, ähnelt in ihrer stillen Gradlinigkeit auf subtile Weise einer der selbstmörderischen Jungfrauen aus Coppolas Debüt The Virgin Suicides; aber der unmittelbare Vorgänger von Priscilla im Werk der Regisseurin ist Marie Antoinette – auch dies ein Biopic über eine unerfahrene historische Figur, die sich in ein wunderschönes Leben stürzt, in dem sie Kuchen statt Brot isst, sich selbst aber immer zu verlieren droht.
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Coppolas visueller Ansatz wird durch den gesamten Stil des Films unterstützt – betont dekorativ, vollgestopft mit farbenfrohen Artefakten, die in den Coppola-typischen, schnell-montierten Bildsequenzen ablaufen. Wir sehen in extremen Nahaufnahmen ein Paar mit Gänseblümchen geschmückter Stilettos, eine Dose »AquaNet«-Haarspray, eines »kitty-cat«-eyeliner, nackte Füße auf pinkem Teppich – versetzen die Zeit zurück in eine Mädchenwelt der Sechzigerjahre, in der das richtige Make-up und die richtigen Accessoires das Schicksal bedeuten konnten. Die wichtigsten Veränderungen, die Priscilla in Graceland erlebt, sind keine seelischen, sondern eine neue Garderobe, ungewöhnliche Frisuren und Make-up. Das Äußere ist ihre Substanz, und Coppola findet dafür tolle, eindringliche Bilder: Selbst wenn Priscilla in die Entbindungsklinik geht, klebt sie ihre künstlichen Wimpern auf.
Aber das ist keine Oberflächlichkeit, sondern eine bewusst gewählte Methode und das eigentliche Thema all der filmischen Untersuchungen dieser Regisseurin. Coppola versucht gar nicht, »hinter« die glänzende Hülle von Elvis Presley zu schauen, denn sie will ja zeigen – uns, aber auch ihrer Hauptfigur –, dass er nur aus eben dieser Hülle besteht.
»Offenbar interessiert mich Isolation. Als Versuchsanordnung. Als eine Situation, in der man von Übergangszuständen erzählen kann, denn in meinen Filmen geht es nicht darum, zu sein, sondern zu werden.«
Sofia Coppola, in: Karin Nitzschmann: »Hoffnung und Ausweglosigkeit in geschlossenen Welten«
Die Füße mit den rotlackierten Nägeln, die farblich perfekt zum flauschigen Hochflorteppich passen, in dem sie beim Gehen versinken; eine junge Frau, die sich schminkt und die künstlichen Wimpern aufklebt; ein luxuriöses Wohnzimmer mit einem weißen Flügel – diese ersten Szenen gewähren dem Zuschauer einen kleinen Vorgeschmack auf Priscilla von Sofia Coppola. Der Film basiert auf der 1985 von Priscilla Presley veröffentlichten Biographie »Elvis and Me«, in der sie von ihrer Beziehung zu ihrem Mann Elvis Presley erzählt. Priscilla Presley war persönlich an den Dreharbeiten beteiligt. Es ist schwer zu sagen, inwieweit ihre Mitwirkung die künstlerische Freiheit von Sofia Coppola eingeschränkt hat, aber man erkennt definitiv Coppolas filmische Handschrift.
Die eigentliche Handlung beginnt 1959 in Wiesbaden, wo der bereits weltweit berühmte Elvis Presley (Jacob Elordi) seinen militärischen Dienst leistet. Dort wohnt auch die 14-jährige Priscilla (Cailee Spaeny) mit ihren Eltern, ihr Stiefvater ist als Offizier der U.S. Air Force stationiert. Eines Tages wird sie von einem Unbekannten zu einer Party ins Haus von Elvis Presley eingeladen. Dort lernt sie den 10 Jahre älteren Star kennen, der recht unsicher und gar nervös wirkt. Er will sie unbedingt wiedersehen und scheint von ihrer unschuldigen, schüchternen Art angezogen zu sein.
Rasant entwickelt sich zwischen den beiden eine (asexuelle) Beziehung. Nach einigen Monaten kehrt Elvis in die USA zurück, während Priscilla in Deutschland bleibt und ihr Leben wartend auf seine seltenen Anrufe verbringt. Einige Jahre später erlauben ihr die Eltern nach einigen Diskussionen, in seine Villa nach Graceland in Memphis zu ziehen, wo er ihnen hoch und heilig verspricht, dass Priscilla die Schule abschließen wird. Ab da lebt sie in seiner glamourösen Villa wie ein Vogel in einem goldenen Käfig.
Das wiederkehrende Motiv geschlossener Räume in Sofia Coppolas früheren Filmen findet auch hier seine Evidenz. Das Haus in Graceland ist tatsächlich eine geschlossene Welt, in die nur die Familienangehörigen und Freunde von Elvis den Zugang haben. Priscilla irrt in der Villa meistens allein herum. Sie wirkt in der Mise-en-scène des luxuriösen Wohnzimmers absolut verloren, durch dessen Größe der Kontrast zwischen ihrer Figur und dem Raum besonders ins Auge springt.
Ein weiteres wiederkehrendes Motiv ist die weibliche Sexualität, über die trotz Priscillas Begehren allein Elvis bestimmt. Cailee Spaeny als Priscilla spielt überzeugend sowohl das unsichere, naive, verträumte und bis über beide Ohren in Elvis verliebte 14-jährige Mädchen als auch die vulnerable junge Frau, die zunehmend an ihrem Leben an der Seite eines egozentrischen Mannes zweifelt und schließlich eigene Entscheidungen für ihr Leben trifft.
Es gibt viele Filme über die Rock’n’Roll-Legende Elvis Presley: Bereits letztes Jahr kam ein weiterer Film über ihn ins Kino, inszeniert von Baz Luhrmann (Elvis), der seinen Elvis erneut zum Strahlen brachte. Priscilla war zwar auch zu sehen, allerdings in einer Nebenrolle. Sofia Coppola dreht den Spieß um und macht somit etwas ganz Postfeministisches: Sie inszeniert Elvis als Nebenfigur in Priscillas Geschichte. Durch Priscillas Augen sehen wir den Star, der hier nicht ganz so gut wegkommt, was einerseits innovativ, andererseits auch mutig ist. Seine Ängste, die ab und zu in Gewaltausbrüchen zum Ausdruck kommen, seine Abhängigkeit von drogenähnlichen Substanzen, seine Seitensprünge, seine dominante Art seiner Frau gegenüber – all das zeigt ihn in einem anderen, weniger strahlenden Licht, was seinen Fans nicht so gut gefallen wird. Laut Regisseurin war es jedoch keine Absicht, ihn zu verunglimpfen, sondern vielmehr die Geschichte von Priscilla zu erzählen, in der seine menschlichen Schwächen und seine private Seite festgehalten wurden. Die Wahl des Schauspielers Jacob Elordi für die Rolle von Elvis erscheint mir sehr spannend, denn seine nur geringfügige Ähnlichkeit mit Elvis unterstreicht um so mehr bis dato unbekannte Seiten von ihm, Seiten, die nur seine Frau kannte und in ihrem Buch offenbarte.
An der Art, wie Sofia Coppola die Geschichte erzählt, erkennt man ganz deutlich ihre unverwechselbare Écriture féminine als Regisseurin sowie ihr persönliches Anliegen, die Wünsche und Begehren junger Frauen in einer von Männern dominierten Welt darzustellen.
So reiht sich der Film an die anderen Filme von Sofia Coppola, die aus weiblicher Perspektive und von Frauen erzählen (The Virgin Suicides, Marie Antoinette, Die Verführten etc.). Besonders finden sich unverkennbare Parallelen zu Marie Antoinette. Die beiden Protagonistinnen sind am Anfang 14 Jahre alt, als sie eine für sie neue Welt der »Mächtigen« bzw. »Glamourösen« betreten – faszinierend und beängstigend zugleich. Beide machen den Übergang von den kleinen Mädchen zu den erwachsenen Frauen durch. Auch wenn Marie Antoinette eine deutlich komplexere Geschichte ist, erkennt man dennoch auch bei Priscilla die Tendenz, eine neue Perspektive aufzuzeigen, weibliche Adoleszenzgeschichten neu zu erzählen sowie Frauen aus dem Schattendasein der Männerdomäne ins Licht zu rücken.
Auch die Farbpalette der Kostüme erinnert sehr stark an Marie Antoinette, wo prachtvolle Kleider und Schuhe mit dem pastellfarbigen Interieur und den ähnlich farbigen Macarons und anderen obszönen Desserts abgestimmt waren. Auch hier kreiert Tamara Deverell, die Produktionsdesignerin des Films, Priscillas Welt in Graceland aus Pastellrosa, Babyblau und Cremetönen. Alles ist farblich abgestimmt, sogar die Farben der Pistolen, mit denen zum Zeitvertreib geschossen wird.
Durch die Kostüme und extravaganten Frisuren, entworfen von der Kostümbildnerin Stacey Battat, taucht man in die vergangenen Zeiten ein. Viele Szenen mögen zum Teil wie Seiten aus einer glamourösen Modezeitschrift erscheinen, aber »Elvis und Priscilla waren eben sehr mode- und stilbewusst«, so Coppola. So wie bei Marie Antoinette werden auch hier die Looks der drei Jahrzehnte ihres gemeinsamen Lebens mit Liebe zum Detail kreiert: Sogar Modehäuser wie Chanel und Valentino waren an den Kreationen beteiligt.
Hier wird eindeutig die Exzentrik einer jungen Frau ausgelebt, die sich in diesem Traumhaus einsam und gefangen fühlt und nicht weiß, was sie mit sich anfangen soll – so vertreibt sie ihre Zeit mit Herumstreifen durch Boutiquen und Friseursalons. Das war auch bei Marie Antoinette der Fall. Vor allem aber ist Priscillas Stilwechsel im Laufe der Zeit ein wichtiger Indikator für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit, ihr Erwachsenwerden und ihre Emanzipierung von ihrem Mann.
Wenn es Sofia Coppola ums »Werden« geht, dann ist es ihr durchaus gelungen, ein postfeministisches Portrait einer Frau zu schaffen, die durch schmerzhafte Erfahrungen an der Seite einer schwierigen, von vielen (sie selbst inklusive) vergötterten Persönlichkeit einen riesigen Entwicklungsprozess auf der Suche nach ihrer eigenen Identität durchmacht, indem sie lernt, den Mythos der Rock’n’Roll-Ikone für sich selbst zu entzaubern. Möglicherweise werden einige von uns das auch tun.