Japan 1998 · 133 min. · FSK: ab 12 Regie: Hayao Miyazaki Drehbuch: Hayao Miyazaki Musik: Joe Hisaishi Kamera: Atsushi Okui |
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Die auf dem Wolf reitet |
In grelle Farben explodiert die Welt. Oder sie wird bedeckt von einer unförmig braunen, todbringenden Masse. Die Gefühle materialisieren sich zu einem Gewimmel aus Maden, das die Körper von Mensch und Tier übersät. Oder zu einer todbringenden Flechte aus schwärendem Schwarz, die immer größer wird, bis sie den ganzen Arm in Besitz genommen hat, und den Leib sich immer häufiger verkrampfen lässt. Mittelalterliches Japan und mythische Vorzeit bilden eine Einheit in Prinzessin Mononoke. Götter in Wildschwein-, Wolfs- oder Hirschgestalt sind die mächtigen Herren dieser Welt. Sie hausen gemeinsam mit zahllosen kleinen kauzigen Baumkobolden in dunklen Wäldern, während die Menschen sich ums Überleben mühen, und in harter Arbeit der Natur ihr Teil abtrotzen. Politische Ordnung, verkörpert durch den unsichtbaren Kaiser, ist fern. Zugleich befindet sich diese Epoche schon im Übergang: Der Herrscher in seinem Palast ist in jenen Jahren selbst Spielball der Ritter. Und mehr und mehr drängt die Zivilisation die Tiergötter zurück, wird der Wald gerodet.
Durch diese Welt reist ein Todgeweihter: Ashitaka, ein junger Angehöriger eines dem Untergang geweihten Volkes. Er hätte als König regieren können, doch ein böser Eber, den er tötete, hat ihn verflucht. Die einzige Rettungschance besteht in der Wiederversöhnung mit der Natur und ihrem Herren, dem Waldgott. Zu ihm reist er, um »die Wahrheit zu sehen...«
Im Grunde ist es eine sehr universelle Märchengeschichte, die Hayao Miyazakis Film erzählt: Von dem Verhältnis von Zivilisation und Natur, ihrer Versöhnung wie Entzweiung, einen unlösbaren Konflikt handelt es sich, zugleich um einen jungen Helden, der auf zwei Frauen trifft, die so grundverschieden sind, dass er sich zwischen ihnen gar nicht entscheiden kann, um eine Geschichte voller Geheimnis, in der es um alles geht: Leben und Sterben, unerreichbares Glück, und Überleben trotz allem.
Zugleich ist das alles unverwechselbar japanisch: In seiner kaleidoskopischen Erzählweise, in seiner Vorliebe für »starke« schöne Frauen, die in die Rollen der Männer schlüpfen, deren Phantasiegeschöpf sie sind; im Bestreben, einen modernen Mythos zu erzählen, schließlich auch in seinem Ende, das eine friedliche Harmonie der Gegensätze herstellt, die keinesfalls zuckersüße Versöhnung bedeutet, zwar auch kitschig ist, aber offener und viel melancholischer, als jedes schlichte Happy End. Vor allem aber entstammt Prinzessin Mononoke als Animationsmärchen, das gleichermaßen für ältere Kinder (FSK-Freigabe ab 12) und Erwachsene gedacht ist, einem Genre, das in Europa nach wie vor ein Schattendasein fristet, und fast ausschließlich auf Kinderfilme beschränkt bleibt. Japanische Manga-Comics und Anime dagegen sind eine etablierte, reife Kunstform für ein erwachsenes Publikum.
Wer in den 70er Jahren Kinderfernsehen geguckt hat, kam um Heidi nicht herum. Die Zeichentrickfolgen der Nachmittagsserie stammten aus der Feder des 1941 geborenen Miyazaki, der in seiner Heimat heute als Regiemeister auf einer Stufe mit Kurosawa oder Oshima gilt. Mit über 13 Millionen Besuchern ist Mononoke hime, bereits 1997 entstanden, der erfolgreichste japanische Film aller Zeiten.
Ein bisschen sehen auch hier alle Figuren aus wie damals Heidi und der Geißenpeter, und auch manches an der Geschichte erinnert an die Naivität und Schlichtheit von Kindergeschichten. Doch die Unbeschwertheit wird diesmal schnell gebrochen, und in rasanten, dabei poetischen Bildern, erzählt Miyazaki eine sehr reichhaltige, epische aber auch melancholiedurchtränkte Geschichte, die gerade vom Verlust aller kindlichen Unschuld handelt. Die interessanteste der Figuren ist dabei weder die nahezu rein positive Heldengestalt Asitakas, noch San, die als Wolfsmädchen von den Tieren aufgezogen wurde, und an deren Seite für die ökologische Reinheit des Waldes und auch militant mit blutverschmiertem Mund gegen die Menschen »da draußen« kämpft. Weitaus faszinierender ist aber die Figur der mysteriösen Eboshi Gozen. In einer Festung am Rand des Waldes hat die junge Kriegerin ein Matriarchat errichtet. Die rauchenden Schlote einer fabrikähnlichen Eisenerzschmiede, Schusswaffen und Handelsökonomie lassen Eboshis Reich als Vorstufe der industriellen Gesellschaft erscheinen. Seine Existenz und Wohlstand sind offensichtlich nur durch technologische Ausbeutung der Natur zu sichern. Zugleich formuliert der Ort durch die Aufnahme von Prostituierten und Leprakranken doch einen Gegenentwurf zur restlichen Gesellschaft.
In gewissem Sinn verkörpert diese Gestalt die gute Variante der Welt der Erwachsenen und die einzig historische Figur in einem Reich von Kindern und Geistern. »Eines Tages« träumt Eboshi, »wenn wir das Licht in den Wald lassen und die Wölfe zurücktreiben können, wird das hier ein reiches Land werden. Und das Wolfsmädchen wird wieder ein Mensch werden.« Das mag für sich gesehen auch allzu schlicht wirken. Im Kontext der ökologischen Correctness der restlichen Handlung verweigert sich der Film hierdurch aber einer allzu schlichten konservativen Lesart, pluralisiert Wahrheitsansprüche, und zeigt, dass es mehr gibt, als nur eine positive Utopie: Die Unberührtheit der Natur oder den Fortschritt der technischen Zivilisation. Damit repräsentiert die Geschichte nicht nur einen Zwiespalt, mit dem die zeitgenössische japanische Gesellschaft zu kämpfen hat, sondern – seinem eigenen epischen Anspruch entsprechend – überhaupt das Dilemma des modernen Menschen.