USA 2023 · 105 min. · FSK: ab 12 Regie: Julio Torres Drehbuch: Julio Torres Kamera: Fredrik Wenzel Darsteller: Julio Torres, Tilda Swinton, RZA, Catalina Saavedra, James Scully u.a. |
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Ästhetische Weirdness als aufgesetzte Augenwischerei... | ||
(Foto: Universal) |
In diversen Kritiken wird Problemista mit dem Oscar-Gewinner Everything Everywhere All at Once verglichen. Dieser Vergleich ist nicht abwegig! Beide Filme können mit ihrer Lust am Überdrehten und am inszenatorischen Exzess als Gegenentwürfe zu vielen Filmen verstanden werden, die migrantische Erfahrungen allein als realistische Sozialdramen aufziehen. Beide Werke eint jedoch ebenso, dass sich unter ihrem grotesken Humor und ihrer grellen Visualität eine allzu gewöhnliche Konsens-Erzählung verbirgt, die mitnichten so aufrührerisch und verkehrend daherkommt, wie ihre sensationelle Verpackung verspricht.
Julio Torres, der Regisseur, Autor und Hauptdarsteller dieses Films, wurde unter anderem durch seine Mitarbeit an der Show SATURDAY NIGHT LIFE und die Serie LOS ESPOOKYS bekannt. Nun legt er sein Regiedebüt vor, inspiriert von eigenen autobiographischen Erlebnissen. Seine Filmfigur Alejandro wurde wie er in El Salvador geboren, bevor es ihn in die USA nach New York zieht, um ein neues Leben zu beginnen. Alejandro träumt davon, Spielzeug-Designer bei Hasbro zu werden, doch seine Vorschläge werden durch die Bank weg abgelehnt – sofern er überhaupt eine Rückmeldung erhält. Um seine Aufenthaltsgenehmigung nicht zu verlieren und das dringend benötigte Geld aufzutreiben, lässt er sich als Assistent der Kritikerin Elizabeth (Tilda Swinton) einspannen, die das Vermächtnis ihres im Kältekoma eingefrorenen Künstlergatten verwaltet.
Tilda Swinton reißt in dieser überkandidelten Rolle mit dick aufgetragenem Make-up, glänzendem Schmuck, feschen Fummeln und purpurfarbener Lockenmähne den Film im Grunde an sich. Ihre exzentrische Erscheinung gerät so einnehmend, dass schon kaum noch von Belang ist, was Julio Torres an der Künsterblase, in der sie sich bewegt, eigentlich interessiert und was genau Swintons Figur so genau repräsentieren soll. Ihre Elizabeth strauchelt aufgekratzt und nervös, ebenso herrisch, garstig wie unbeholfen, verletzlich und hilfsbedürftig durch die Welt. Sie fungiert in Torres' Film als eine Art Mittlergestalt zwischen dem surrealen New York der Oberfläche und dem noch surrealeren New York, das sich darunter verbirgt und mit Sinnbildern aus dem Unterbewusstsein zwischen Einbildung und Wirklichkeit besticht.
Problemista passt somit gut in das filmische Portfolio von A24. In vielen Filmen, die das amerikanische Unternehmen in den vergangenen Jahren herausgebracht hat, wird mit solchen befremdlichen und verstörenden Einsprengseln und Grundatmosphären gearbeitet. Filmschaffende entdecken die Fantastik als Mittel neu für sich und lassen sie auf symbolhaft aufgeladene Weise mit politischen Themen der Gegenwart kollidieren. In Problemista verwandeln sich die Furcht vor der Abschiebung und das permanente Hetzen von einem Auftrag und sinnlosen Job zum nächsten in Bilder üppig angehäufter, verrinnender Sanduhren. Menschen kämpfen dagegen, aus den Szenen zu verschwinden. Ein Dasein auf Zeit in einer undurchdringlich verwalteten Welt. Elizabeth als Belastungsprobe und letzter Anker zugleich verwandelt sich derweil in ein monströses Ungetüm, dem sich der Held in Ritterrüstung zu stellen hat. Der Kampf durch die Mühlen des Migrations- und Beheimatungsprozesses formt Büroräume zu verschachtelten Setzkästen und Puppenhäuschen, die labyrinthisch über die Leinwand wuchern. Die ästhetische Weirdness, das Abgedrehte, mitunter gar Märchenhafte (Isabella Rossellini gibt die Erzählerin) entpuppt sich jedoch spätestens im Rückblick als eher aufgesetzte Augenwischerei. Sie treibt das orientierungslose und anekdotisch strukturierte Umherirren im Großstadtdschungel zwar konsequent in den Realitätsverlust, kehrt aber irgendwann in einen allzu vertrauten Hafen heim.
Universal Pictures kündigt den Film in Deutschland folgendermaßen an: »Manchmal ist der amerikanische Traum alles andere als traumhaft!« In einem Statement des Slate-Magazins, welches das internationale Kinoplakat ziert, ist die Rede von einem »Imaginative, Impressive, And Hilarious Twist On The American Dream«. Nun: Problemista zeichnet zumindest kein sonderlich rosiges Bild dieses altbackenen und untoten ideologischen Narrativs und Aufstiegsversprechens, das eigentlich längst an sozialen und ökonomischen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zerschellt ist.
Julio Torres streift sogar eine schwarzhumorig gewitzte und passende Pointe, in der der Traum vom Ankommen und Aufsteigen nur noch über kuriose Zufälle, enthüllte Gaunereien und menschliche Dreistigkeiten verwirklicht werden kann. Alejandro begreift, wie man mit ihm umgeht und welche harte Fassade er errichten muss, um im Haifischbecken mitzuschwimmen. Torres findet für diesen Prozess aber weder einen geeigneten Tonfall noch eine lebendige Widerspenstigkeit in seiner Rahmung. Stattdessen tränkt Torres die letzten Minuten seines Films affirmativ in tröstliche Sentimentalität, die sich noch einmal auf die Wurzeln, auf die Lehren der verlassenen Mutterfigur, auf das Durchhalten und Wachsen an den Widerständen besinnt, um sich sein Happyend zu schaffen. In einem solchen erzählerischen Bogen kommt Problemista nicht umhin, der kritisierten erzählerischen Struktur und dem Irrsinn seines Angriffsziels selbst auf den Leim zu gehen. Er reaktiviert und wiederholt sie und legt nur unterwegs ein paar Eigensinnigkeiten an den Tag.
In dem vergleichbaren Everything Everywhere All at Once wurden das Festhängen im Behördenchaos und der systemische Druck auf den von Arbeit und Gängelungen durchzogenen Alltag mit einem Rückzug in private Familienprobleme verengt und trügerisch aufgelöst. In Problemista triumphiert noch einmal der Einzelne am Ende seiner Strapazen und Leiden und mag noch so viel den Zufällen und ausgefahrenen Ellenbogen geschuldet sein. Der satirische Spott endet wieder in der angeprangerten und angepassten Logik, die tüchtig an das Durchhalten und Erleiden appelliert und naiv demonstriert, wie es doch noch einer nach oben schafft. Es wird sich schließlich schon alles irgendwann auszahlen. Oder? Die ästhetische, magisch-realistische Spielerei ist so vom ohnehin dominanten Mainstream nicht weit entfernt. Und die (filmische) Traumwelt einer im sozialen Kälteschlaf verharrenden Politik kann sich die Hände reiben.