USA 2014 · 103 min. · FSK: ab 16 Regie: James DeMonaco Drehbuch: James DeMonaco Kamera: Jacques Jouffret Darsteller: Frank Grillo, Carmen Ejogo, Zach Gilford, Kiele Sanchez, Zoë Soul u.a. |
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»Was wäre, wenn?« |
Gewalt als quasireligiöser Reinigungsakt. Durch den Staat abgesegnet, um die Gesellschaft von ihren aggressiven Kräften zu befreien. Und beschränkt auf eine einzige Nacht im Jahr. Auf wenige Stunden, in denen nahezu alles erlaubt ist. Die Prämisse von James DeMonacos letztjährigem Dystopie-Thriller The Purge – Die Säuberung hatte es in sich. Nicht nur, weil sie nervenzerrende Spannung und knallharte Schockmomente versprach. Sondern auch, weil darin auf übersteigerte Weise ein äußerst düsterer Aspekt des amerikanischen Gründungsmythos gespiegelt wurde. „Regeneration Through Violence“ heißt eine der bekanntesten Studien des Kulturwissenschaftlers Richard Slotkin, die klug und facettenreich aufzeigt, dass das Selbstbild der USA seit jeher verbunden ist mit kriegerischen Auseinandersetzungen (man denke nur an den rücksichtslosen Siedlermarsch gen Westen). Gewalt war stets ein Mittel, um Erneuerung durchzusetzen, und wurde nicht zuletzt in kulturellen Produkten – etwa der Western-Literatur oder dem Kino – als solches mythologisiert.
DeMonaco nahm mit seinem zweiten Spielfilm also Bezug auf uramerikanische Muster und ließ eine bitterböse Gesellschaftskritik aufscheinen, die leider jedoch unterentwickelt blieb. Zu begrenzt war sein Budget. Zu konventionell die Weiterführung der reizvollen Grundidee. The Purge entpuppte sich als handelsüblicher, zum Teil erschreckend unschlüssiger Home-Invasion-Reißer, dem zwar ein beachtlicher Publikumserfolg beschieden war, der ansonsten aber nur wenig Eindruck hinterlassen konnte. Mit seiner Fortsetzung geht der amerikanische Regisseur und Drehbuchautor nun einen Schritt weiter und nähert sich der unheilvollen Prämisse aus unterschiedlichen Perspektiven. An die Stelle der schmucken Vorstadtvilla und der bedrohten Familie treten jetzt die Straßen von Los Angeles und eine Gruppe von Menschen, die sich widerwillig zusammenraufen, um die Säuberungsnacht zu überstehen.
Am 21. März 2023 – also ein Jahr nach den Ereignissen des ersten Teils – machen sich die US-Bürger wieder einmal für die anstehende Purge bereit – jene zwölf Stunden, in denen alle Verbrechen erlaubt und Notdienste nicht erreichbar sind. Viele verbarrikadieren sich in ihren Häusern und Wohnungen, um dem barbarischen Treiben zu entkommen, verfolgen allerdings häufig die Live-Berichterstattung im Fernsehen. Andere hingegen brechen auf, um sich ihrer aufgestauten Aggressionen zu entledigen. So auch ein schweigsamer Sergeant (Frank Grillo), der den Tod seines Sohnes nicht überwunden hat und sich nun am Schuldigen rächen will. Auf dem Weg zu seinem Opfer eilt er allerdings Eva (Carmen Ejogo) und deren Tochter Cali (Zoë Soul) zu Hilfe, die von einer bewaffneten Einheit bedroht werden. Nach kurzem Zögern erklärt er sich bereit, die beiden sicher zu Evas Freundin zu bringen, um danach sein persönliches Vorhaben in die Tat umzusetzen. Da ein junges Pärchen (Kiele Sanchez, Zach Gilford) von Maskierten verfolgt wird und um sein Leben fürchtet, schließt es sich den Dreien an.
Schon der Titel spricht eine deutliche Sprache. Das Sequel nimmt die anarchischen Zustände in den Blick, die während der Purge-Nacht losbrechen. Zeigt verschiedene Mechanismen und Gruppierungen, die allesamt eine eigene Agenda verfolgen. Neben leibhaftigen Psychopathen, die einmal im Jahr ihre Allmachtsfantasien ausleben, treiben sich auf den Straßen auch staatlich gelenkte Säuberungstruppen herum, die einen äußerst perfiden Auftrag erfüllen. Andere Purger wiederum verdienen sich etwas hinzu, indem sie Jagd auf wehrlose Opfer machen und diese an reiche Mitbürger verkaufen, die das alljährliche Ereignis in eine perverse Spaßveranstaltung verwandeln. Ein mörderisches Spiel zur eigenen Belustigung. Parallel regt sich im Untergrund Widerstand. Gegen die Purge und die systematische Ausbeutung durch die „Neuen Gründungsväter“, wie sich die aktuellen Machthaber vielsagend nennen. Mitglieder der unteren Klasse – unverständlicherweise ausschließlich Afroamerikaner – stehen kurz vor einer bewaffneten Mobilmachung und bestätigen damit einmal mehr das Prinzip „Erneuerung durch Gewalt“.
Auch wenn die Kriminalitätsrate in den Vereinigten Staaten seit Einführung der Purge-Nacht während der restlichen Zeit gen null tendiert, entwirft DeMonaco ein fast schon infernalisches Gesellschaftsbild. Mitmenschlichkeit ist zu einer bloßen Fassade verkommen. Und die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Schaut man über die logischen Ungereimtheiten hinweg, die sich auch dieses Mal in den Film geschlichen haben, kann einem mitunter angst und bange werden. Etwa beim Anblick einer wohlhabenden Familie, die in einem mit Plastikplanen abgedeckten Raum einen Kreis um ein freiwilliges Opfer bildet, sich bei den Händen fasst und den anstehenden Tötungsakt wie ein Gebet zelebriert. Oder wenn eine elegant gekleidete Moderatorin bei einer vornehmen Abendveranstaltung feixend die neu eingetroffene Menschenware anpreist und das betuchte Publikum zu Geboten animiert. Vor allem in diesen Momenten springt das Grauen hinüber in den Kinosaal und pflanzt die Frage „Was wäre, wenn?“ unnachgiebig in den Kopf des Zuschauers.
Dummerweise scheint der Regisseur diesen grotesk-wirkungsvollen Bildern nicht ausreichend zu vertrauen und pumpt den Film daher mit allerlei Action-Schickschnack auf. Wenn der Titel Anarchie verspricht, dürfen Knalleffekte und Gefechtsszenarien sicher nicht fehlen, sollten aber trotzdem sinnvoll eingesetzt werden. Hier überlagern die inszenatorischen Exzesse jedoch immer wieder die Ausdruckskraft der grauenvollen Ereignisse und drängen zugleich die ohnehin dürftig gezeichneten Figuren in den Hintergrund. So fällt das Mitfiebern – eigentlich unabdingbar für eine Thriller-Situation wie diese – zunehmend schwer. Wohl auch, weil das Verhalten der Protagonisten bisweilen seltsame Blüten treibt. Die Krönung der unsauberen Plot- und Charakter-Entwicklung erfolgt auf den letzten Metern, wenn DeMonaco plötzlich eine moralisch erbauliche Auflösung präsentiert. Und damit eine Richtung einschlägt, die irgendwie nicht zu den vorangegangenen Abgründigkeiten passen will.
The Purge: Anarchy ist besser als sein Vorgänger, lässt aber noch immer reichlich Luft nach oben. Dementsprechend spannend wird es sein, ob einem dritten Teil, über den die Macher bereits laut nachdenken (und der angesichts der erneut beachtlichen Einspielergebnisse wahrscheinlich ist), der große Durchbruch gelingt.