USA 2002 · 95 min. · FSK: ab 12 Regie: Paul Thomas Anderson Drehbuch: Paul Thomas Anderson Kamera: Robert Elswit Darsteller: Adam Sandler, Emily Watson, Philip Seymour Hoffman, Luis Guzmán u.a. |
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Sandler rennt |
»Off-beat« nennt man im Englischen nicht nur musikalische Schläge, die neben den schweren Taktzeiten sitzen. »Off-beat« kann alles sein, was sich jenseits der eingegrabenen Pfade der Gewohntheit bewegt. So oder so, es ist ein treffendes Wort für P.T.Andersons neuen Film. Schon, weil Punch-Drunk Love so grundmusikalisch ist: Gaben bei Boogie Nights die Disco-Sounds der ‘70er, bei Magnolia die Songs von Aimee Mann Rhythmus und Ton vor, so findet das Verschrobene, Nervös-Jazzartige dieses virtuosen Films seine Entsprechung in der perkussiven Musik von Jon Brion, mit ihren schräg gesetzten Akzenten – im perfekten Ensemble mit Bildraum, Schnitt, Farben.
Und wenn’s romantisch wird, nölt Shelley Duvall ihr »He needs me« aus Altmans Popeye. Dann aber ist da noch dieses Harmonium, das Barry Egan (Adam Sandler – jawoll, DER!) eines Morgens vor seinem Garagen-Büro findet. Das wie ein verrätseltes Versprechen des Schicksals wirkt, jetzt käme endlich Melodie, kämen Glauben, Liebe, Hoffnung in sein kakophonisches Leben.
Barry hat sieben Schwestern, trägt immer das gleiche blaue Sakko, hat eine Firma, die dekorative Saugstopfer verkauft. Barry hat möglicherweise Wahrnehmungsstörungen und sicher ein Problem mit Gewalttätigkeit. Barry ersteht palettenweise Pudding, wegen der Coupons für Freiflugmeilen, und sein erstes Telefonsex-Abenteuer endet mit der Erpressung durch einen schmierigen Matratzenhändler (Philip Seymour Hoffman), der ihm vier schlägernde Brüder auf den Hals hetzt. Aber mit Lena (Emily Watson) tritt eine Liebe in sein Leben, die ihn stärker macht als all das.
Schwer zu sagen, ob in Star-Kasper Sandler immer schon unentdeckte schauspielerische Qualitäten schlummerten, oder ob Anderson ihm einfach nur die perfekte Rolle zugeschneidert hat. Jedenfalls passt seine verdruckste, verhuschte Art, seine vernuschelten Pointen und seine dahinter lauernde Aggressivität hier wie die Faust aufs Auge. Während Sandler die Leistung seines Lebens hinlegt, macht Anderson zugleich einer wunderbaren Schauspielerin das liebevolle Geschenk eines Erholungsurlaubs: Emily Watson muss kein einziges Mal für die Kamera heulen.
Nach zwei sehr breit angelegten Filmen, die einmal das Bild einer Ära und einmal ein Gesellschaftsbild zeichnen, Boogie Nights und Magnolia hat Paul Thomas Anderson in Punch-Drunk Love einmal was ganz anderes versucht: Im Mittelpunkt steht konsequent nur ein einziger Charakter: Barry Egan, verkörpert von Adam Sandler, dem Spezialisten für eher debile Komödien, vertreibt als kleiner Geschäftsmann in L.A. abstruse Spass-Artikel. Und er ist massiv sozialgestört. Gequält und getrieben von sieben furiosen Schwestern entlädt sich seine nicht artikulierbare innere Spannung – »manchmal habe ich Weinkrämpfe und ich weiß gar nicht warum« – in der mutwilligen Zerstörung diverser Interieurs.
Tragikomisch und überzeichnet erzählt Anderson die Liebesgeschichte seines in sich gefangenen Anti-Helden. Denn Barry verliebt sich schließlich doch, in die wunderbar verzeihende Lena Leonhard (Emily Watson), die nur auf der Welt zu sein scheint, um ihn zu lieben. Dort ist der Film denn auch einer romantic comedy am nächsten: Der Erkenntnis seiner Liebe radikal folgend und wild entschlossen fliegt Barry nach Hawaii, wo Lena gerade arbeitet – aber letztlich doch nur auf ihn wartet. Begleitet wird dies, Barrys geradezu hysterische Suche nach Lena von dem ganz zauberhaft komischen Song He really needs me aus Popeye, gesungen von Shelley Duvall.
Neben den sozialen Unzulänglichkeiten Barrys gibt es allerdings noch andere, greifbarere Probleme: Er wird erpresst von einem Paar aus Utah, das eine improvisierte Sex-Hotline betreibt und durch seinen Anruf alle persönlichen Daten hat. Leider wirkt dieser Erzählstrang – inklusive komplett überflüssiger Einblenden aus Utah – etwas arg angestückelt, so als hätte Anderson der Focus auf die Geschichte von Barrys großer Liebe und damit auch der Befreiung aus seinem Ich-Gefängnis dann doch nicht ausgereicht und er deshalb einfach noch einen Kleinkriminal-Plot draufgesetzt. Das scheint dann doch ein wenig wie ein armseliges Zitat der grandiosen Vielschichtigkeit von Boogie Nights und Magnolia. Dagegen hätte es dem Film sicher gut getan, einigen der Nebenfiguren etwas mehr Profil zu geben, so etwa der bezaubernden Lena oder Barrys Kollegen Lance. Die Darstellkunst von Emily Watson und Luis Guzman verlangt geradezu danach. – ebenso wie Philip Seymour Hoffman als skrupelloser Telefonsex-Boss (man erinnert sich an seine hervorragenden Darbietungen in Boogie Nights, Magnolia oder in Todd Solondz` Happiness). Leider jedoch bleiben sie, ebenso wie die sieben Schwestern, recht farblose Typen und erfüllen lediglich ihre dramaturgische Funktion: Sie dienen als Stichwortgeber, als skurrile Staffage, als Auslöser für Barrys Anfälle oder eben seiner Wandlung.
Natürlich gibt es schöne Momente, so etwa die wunderbar surreale Anfangssequenz, in der Barry auf der Strasse vor seinem Geschäft steht und zwei Autos entgegenblickt, die scheinbar ruhig die Strasse herauf fahren. Das eine überschlägt sich plötzlich mehrmals, das andere hält mit quietschenden Reifen vor seiner Einfahrt, lädt ein Harmonium ab und rast davon.
Oder etwa die Szene, in der Barry durch nicht enden wollende weiße Appartmenthaus-Flure läuft, auf der verzweifelt
entschiedenen Suche nach Lenas Wohnung. Da dehnen sich die Gänge ins Endlose, die Kamera fährt zurück und Barry läuft scheinbar auf der Stelle. Anderson bebildert hier auf eindrucksvolle Weise die Psyche seines Antihelden.
Wozu wabern aber dann statt sinnfälligen Übergängen ab und an psychedelisch anmutende Grafik und blinkende Sternchen über die Leinwand? Was in Boogie Nights –
schon durch den zeitlichen Bogen – Sinn macht, verleitet hier zur Sinnfrage oder zumindest zur Annahme, dass Andersons Suche nach guten Übergängen ergebnislos verlaufen sein muss.
Da wirkt Punch-Drunk Love dann wie ein Erstlingsfilm, hier hat sich jemand ausprobiert und manchmal auch rausgeredet. An sich wäre es schon die logische Folge, nach dem Portrait eines Mikrokosmos über drei Jahrzehnte in Boogie Nights und dem Querschnitt der amerikanischen Gesellschaft, den Anderson in Magnolia vornimmt, einen einzigen Menschen auszuloten. Aber es funktioniert nicht.
Der Held bleibt dem Zuschauer so verschlossen und unverständlich, wie er es auch für sich selbst ist. Die Möglichkeit, ihm über die anderen Figuren näher zu kommen, hat Anderson verschenkt. Die mitunter groteske Komik leistet ihr Übriges, den Zugang zu verstellen. Auf der anderen Seite sind die grotesken, surrealen Momente des Films nicht stark genug und vor allem nicht so konsequent stilistisch durchgehalten, als dass man die Nähe zum Charakter nicht vermissen würde.
Schöne Momente also, romantische auch, surreale, groteske Komik, aber insgesamt zu wenig von all diesem und vor allem im Vergleich zu Boogie Nights und Magnolia eher medioker. Bleibt, auf den nächsten Anderson zu hoffen.