Kanada/USA 2019 · 133 min. · FSK: ab 12 Regie: Melina Matsoukas Drehbuch: Lena Waithe Kamera: Tat Radcliffe Darsteller: Daniel Kaluuya, Jodie Turner-Smith, Bokeem Woodbine, Chloë Sevigny, Flea u.a. |
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Meilenstein des Black Cinema (Foto: Universal Pictures International Germany) |
»When we collide, it’s a beautiful disaster.«
Tiana Major9 and EarthGang
Es ist eine normale Verkehrskontrolle. Aber so etwas kann für Schwarze in Amerika schnell lebensgefährlich werden.
Reiner Zufall war es, der die beiden zusammengeführt hat. Übers Internet haben Angela Johnson genannt »Queen« (Jodie Turner-Smith) und Ernest »Slim« Hines (Daniel Kaluuya) sich kennengelernt, eher spontan, und weil sie auch aus verschiedenen Gesellschaftsschichten kommen – sie ist Anwältin, er Angestellter in einem Kaufhaus –, hätten sie ansonsten
nur ihre schwarze Hautfarbe gemeinsam. Nun aber geraten sie beim Smalltalk auf dem Nachhauseweg in den Suburbs des winterlichen Cleveland, Ohio, in eine Polizeikontrolle, die ihr Leben verändern wird.
Schon vor 15 Jahren, beim Oscar-Überraschungserfolg Crash, hatte eine solche Situation größere Ereignisse ausgelöst: Ein rassistischer weißer Polizist trifft nachts auf ein schwarzes Paar, an dem er seinen Hass auslässt – und die Kamera begleitet ihn
durch alle Phasen der Demütigung. Seitdem hat sich, so legt es zumindest dieser Film nahe, nichts geändert.
Auch in diesem Fall ist der Polizist nicht nur unsympathisch und weiß, sondern offenkundig über-aggressiv und rassistisch. Schnell eskaliert die Situation vom Wortwechsel zur Gewalt, am Ende liegt der Polizist tot am Boden, erschossen in Notwehr – aber wer glaubt schon zwei Schwarzen, wenn das Opfer ein weißer Polizist ist?
Weil sie das Geschehen nicht vertuschen können – die Filmaufnahmen der Dienstkamera des Polizisten drehen bereits im Netz virale Runden –, bleibt ihnen nur die Wahl, sich einem voreingenommenen, ebenfalls rassistischen Justizapparat zu stellen und ziemlich sicher für viele Jahre im Gefängnis zu landen oder die Flucht »against all odds«, mit der vagen Hoffnung, über die Grenze zu entkommen. So werden die zwei, die sich kaum kennen, zu einem Paar und zu Partnern auf der Flucht; sie werden zu Outlaws, gehetzt von einer Polizei, die nur auf einen Grund zum Schießen wartet; quer durch Amerika geht ihre Fahrt, vom nördlichen Ohio bis nach Florida im äußersten Südosten. Von da aus wollen sie mit dem Boot nach Kuba.
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Wenn es über einen Film heißt, der Film sei »important«, »wichtig«, dann ist Vorsicht geboten. Denn als »wichtig« gilt ein Film nie, weil er uns ungeahnte ästhetische Dimensionen öffnet, sondern immer nur aus inhaltistischen Gründen: Weil er ein bereits sattsam bekanntes Thema zum x-ten Mal durchkaut, überdies ein Thema, das gesellschaftlich im Grundsatz komplett unbestritten ist: Antirassismus, Gleichberechtigung der Frau, Kampf gegen Erderwärmung.
Künstlerisch sind gerade solche Filme oft langweilig, und jedenfalls selten richtig interessant. Sie vertrauen zu sehr ihrer Agenda, nehmen gute Absichten für Qualität.
Der Bemerkung, sie seien wichtig, haftet daher oft ein Geruch von vorauseilender Verteidigung und Bedeutungs-Überbetonung an. Offenbar kann der Film durch seine Qualität allein nicht überzeugen. Er muss schon als »wichtig« qualifiziert werden, damit keine Kritik aufkommt.
Man sollte sich in diesem Fall nicht davon abhalten lassen, Queen & Slim zu sehen. Dies ist ein Film, an dem man gerade das besonders hervorheben muss, das manche arg inhaltistisch orientierten Beobachter an ihm stört: Der Überschuss, das Überflüssige, die »Style over substance«-Attitüde. Dieser Film ist dann gut, wenn er nichts beweisen will. Wenn er seine Thesen vergisst. Wenn er sich nicht selbst als Symbol sieht.
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Das tut Queen & Slim gar nicht so häufig. Schädlich für den Film sind eher die Kommentare einiger Filmemacher, besonders der Drehbuchautorin und Co-Produzentin Lena Waithe. Waithe ist stolz, dass sie, so erklärt sie im Interview mit »IndieWire«, einen Film gemacht hat, der »von Schwarzen handelt und von Schwarzen finanziert wurde – und möglichst nicht von Hollywood-Leuten«. Es wurde dann doch »Universal«. In ihren Debatten mit dem Studio lehnte es Waithe ab, »Kommentare zu dem Projekt zu akzeptieren, die von weißen Executives stammten«. Man muss ihr das glauben. Allemal gelang es Waithe nicht, ihren Wunsch auf Verzicht von obligatorischen Textscreenings durchzusetzen – darauf bestand die (weiße, britische) Universal-Chefin Donna Langley. Waithe verlangte allerdings, dass zu den Textscreenings ausschließlich Schwarze zugelassen waren. Sie ist stolz auf solchen umgedrehten Rassismus.
Geschmacklos wirkt es auch, wie die Queen & Slim-Macher versuchen, ihrem Film Street-Credibility anzuschminken, und ihn zu einem irgendwie besonders »authentischen« Ausdruck schwarzer Kultur erklären wollen. Kann der Film nicht einfach ein Film sein? Wäre das nicht sogar besser für die schwarze Kultur, den symbolischen Lack abzukratzen?
Am Ende muss die Frage lauten: Ist der Film gut oder nicht?
Und ein Film ist nicht besser, weil er von Schwarzen handelt, oder von Schwarzen gemacht wurde. Und dass er offenbar nur für Schwarze und ausschließlich von Schwarzen gemacht wurde, ist keine Black Power, sondern nur umgedrehte Apartheid im Bereich der Kultur.
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Der Weg von Cleveland nach Florida ist ein weiter Weg. Erst recht weil Queen und Slim nicht die direkte Route nehmen, sondern über Louisiana und New Orleans fahren. Das mag damit zu tun haben dass das berühmteste Musikvideo der Regisseurin, Beyoncés »Formation«, in New Orleans spielt. Es hat auf alle Fälle auch damit zu tun, dass die Macher die Route symbolisch meinen: Regisseurin Milena Matsoukas selbst hat in Interviews gesagt, ihr Film sei eine »reverse slave escape narrative«, eine umgedrehte Sklaven-Flucht-Erzählung, und so wie Cleveland der letzte Stopp gewesen sei, bevor entflohene US-Sklaven über die Grenze nach Kanada gingen, führe ihr Weg wieder in den Hort der Sklaverei, den Old South.
Nach Kuba wollen sie, um ihrem anderen Vorbild der »black resistance« nachzueifern: Assata Shakur. Die sei auch nach Kuba gegangen, sagt Slim. Wer wie der Verfasser dieser Kritik nicht weiß, wer das ist, sollte nachschauen: Eine interessante Frau, über deren Leben man bestimmt auch einen guten Film machen könnte.
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Unterwegs müssen die beiden viele Stationen passieren, begegnen dabei sowohl Verwandten wie Unbekannten, werden zu Hassobjekten der Mainstream-Medien und bewunderten Helden des Widerstands der Schwarzen und aller Gegner des Establishments. Am Anfang sind sie eindeutig Opfer, im Lauf der Reise werden sie auch Täter.
Aber es gehört zu den Stärken dieses Debüts der Regisseurin Melina Matsoukas, dass sie zwar politisch eindeutig Stellung bezieht, zugleich aber im Gegensatz zu ihrer Autorin auf alles Moralisieren verzichtet: Queen und Slim müssen keine besonders guten Menschen sein, um uns anerkennen zu lassen, dass ihnen Unrecht geschieht, man muss sie nicht lieben oder bewundern, um mit ihnen zu fühlen.
Statt eindeutiger Positionen lebt dieser Film von eindeutigen Gefühlen. Dies spiegelt sich in einer fließenden, mehr poetischen und musikalischen als narrativen Inszenierung. Matsoukas wurde bisher mit Musikvideos für Rihanna und Beyoncé berühmt. Sehr zu Recht, und man kann jedem empfehlen, sich einmal die Zeit zu nehmen und ihre Arbeiten aus den letzten zehn Jahren, besonders die für Rihanna und Beyoncé, auf YouTube anzusehen. Dann wird man nicht mehr überrascht sein, dass der Soundtrack eine Schlüsselrolle spielt, eine geschmeidige Kamera und die Schauwerte des Films wichtiger sind als Einzelheiten des Plots, dass Matsoukas mit Bildern erzählt, wie lange kein US-Regisseur es getan hat. In ihnen liegt die Substanz ihrer Geschichte. Slim und Queen interessieren die Regisseurin nicht so sehr als Individuen, sondern als Ikonen, die die Lage aller Schwarzen repräsentieren.
Immer wieder findet der Film Ruhephasen auf der Reise. Dann kommt er zu sich selbst. Der Film lebt auch von dem Wissen um seine sonstigen Ambivalenzen: In keinem Moment wird das deutlicher, als in jener Szene, in der die Regisseurin zärtlichen Sex mit Bildern einer Demonstration montiert, die sich gegen Polizeigewalt richtet, aber bald selbst in Gewalt eskaliert.
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Wo er inhaltliche Punkte machen will, wird der Film immer schlecht und zu explizit. Vollkommen unnötig, dass irgendwann klar wird, dass der tote Polizist bereits ein andermal jemanden getötet hat. Das macht den Punkt des Films nur schwächer.
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Dieser Film möchte wahnsinnig gerne ein »Bonnie & Clyde« seiner Zeit und Generation sein. Er möchte das so gern, dass die Verweise offensichtlich sind. Und weil dies offenbar immer noch nicht genug ist, wird das große Vorbild auch noch direkt erwähnt. Über 50 Jahre nach dem Klassiker ist das vor allem ein doppeltes Klischee: Eines der Rebellion und eines des Kinos. Spätestens mit diesem Vergleich ist klar, dass das Schicksal von Queen und Slim so besiegelt ist, wie das von Thelma & Louise und das so vieler anderer Road-Movie-Paare, die die Freiheit des Amerikanischen Traums auf ihre Substanz testen, um zu merken, das sie im Nirgendwo endet.