USA 2019 · 93 min. · FSK: ab 0 Regie: Woody Allen Drehbuch: Woody Allen Kamera: Vittorio Storaro Darsteller: Timothée Chalamet, Elle Fanning, Selena Gomez, Jude Law, Diego Luna u.a. |
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Junge Stadtneurotiker auf Annäherung (Foto: Filmwelt) |
»Realität ist was für Leute, die nichts Besseres hinbekommen.«
Aus: A Rainy Day in New York
Der Tod des Autors? Das würden sich so manche wünschen. Dann wäre Ruhe mit Woody Allen, dann müsste man nicht mehr darüber nachdenken, ob der Mann nur skurril ist und schräg, oder pervers und ein bisschen irre.
Wenn meinethalben der Mann noch lebte, aber zumindest die These, dass ein Autor komplett von seinem Werk zu trennen ist, so leicht überzeugen würde, dann könnte man Woody-Allen-Filme einfach angucken, als stammten sie von Hinz und Kunz.
Man kann aus guten Gründen fragen, ob
die Trennung von Werk und Autor tatsächlich eine zivilisatorische Leistung ist, oder nicht vielmehr oft ein Reduktionismus, der zugleich das Werk auf einen Sockel hebt, als stamme es von Gottvater selbst. Ist diese Trennung wirklich wünschenswert?
Andererseits hat die These noch nie so ganz gestimmt. Und bei Allen macht sie noch weniger Sinn als bei vielen seiner Kollegen, denn Allen macht immer Filme über sich, sein Leben, Varianten seiner Persönlichkeit. Insofern wird man in
den meisten Fällen in seinen Filmen Figuren finden, die direkt mit dem Autor Allen, zumindest mit seiner öffentlichen Persona zu identifizieren sind.
Pech also: Wir müssen mit der Tatsache leben, dass die Kunst weder rein bleibt und von Moral wie Politik unberührt, noch ein reiner Spielball des Publikums ist.
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New York City und das Wetter sind nicht die einzigen Protagonisten in Woody Allens neuestem Film. Im Zentrum stehen die Irrungen und Wirrungen eines jungen Liebespaares. Sie heißen Gatsby und Ashleigh. Gatsby kommt aus einer reichen Familie und hat keine besonderen Ziele in seinem Leben.
Ashleigh, gespielt von Elle Fanning, ist eine ebenso ehrgeizige wie idealistische Möchtegernreporterin, die für ihre College-Zeitung schreibt und glaubt, die Chance ihres Lebens sei gekommen,
als sie die Möglichkeit erhält, den bekannten Autoren-Filmemacher Roland Pollard zu interviewen – der hier von Liev Schreiber gespielt wird.
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Ein naives junges Mädchen, ein alternder berühmter Regisseur – diese Kombination ist zur Zeit, im Jahr zwei nach »#MeToo«, nicht die gleiche wie vorher. Man sieht sie mit anderen Augen an – und dabei muss man noch nicht einmal etwas darüber wissen, dass sich der Filmemacher Woody Allen – ohne Frage einer der wichtigsten Komödienregisseure Amerikas – mit bisher ebenso unbewiesenen wie ungeklärten Vorwürfen bezüglich seines Sexuallebens
auseinandersetzen muss.
Allen ist ein außergewöhnlicher Regisseur – und unter den rund 50 Filmen, die er in den vergangenen über 50 Jahren gedreht hat, sind einige Meisterwerke, darunter viele preisgekrönt. Immer wieder sind seine Filme mit Alter Egos des Regisseurs bevölkert. Hier nun scheint er sich selbst gleich verdoppelt zu haben: In Gatsby, dem naiven Jüngling, und in Roland, dem abgezockten Regisseur.
Beziehungsreich dudelt irgendwann der Sinatra-Song
»Everything Happens To Me« – ja: dies ist auch ein Film über Allen selbst.
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Der Regisseur ist in einer tiefen künstlerischen Krise; sie soll seine neue junge Muse werden und ihn da herausholen. Es ist klar: Die Filmszene, in die sich Ashleigh ein bisschen naiv, aber gern hineinfallen lässt, ist von eben den Macho-Ritualen und Strukturen geprägt, für deren Aufdeckung niemand einen #MeToo-Hashtag gebraucht hat.
Keineswegs skeptisch, sondern begeistert ob solcher Aussichten lässt sie ihren Freund sofort bereitwillig allein in der Stadt zurück und verbringt
einen Tag mit drei älteren Männern: Pollard; seinem Drehbuchautor Ted Davidoff (gespielt von Jude Law); und mit einem lüsternen Schauspieler. Ohne dass sie so arglos ist, sich als Betthupferl gebrauchen zu lassen, spielt sie vielmehr die drei Herren geschickt gegeneinander (und zum eigenen Vorteil) aus. Einmal allerdings bleibt ihr nur die Flucht per Feuerleiter.
Dann, als er seine Felle davonschwimmen sieht, beginnt Gatsby, der junge Mann, zurückzuschlagen. Ein typischer Woody
Allen also: Eine Variation des ewigen, immer jungen Themas aus George Bernard Shaws »Pygmalion«. Überdreht und albern, voller scharfzüngiger, intelligenter Bonmots. Aber auch voller schlüpfriger Witze.
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In den USA haben erste Rezensenten in diesem Film auch eine persönliche Form der Rache des Filmemachers an seinen Kritikern gesehen.
Denn seit dem schmutzigen Scheidungskrieg mit Mia Farrow Anfang der 90er Jahre, der sogar die gemeinsamen Adoptivkinder spaltete, geistern Missbrauchsvorwürfe durch die Gazetten – so unbewiesen wie unwiderlegt kommen sie alle paar Jahre wieder in die Schlagzeilen: Zuletzt im Gefolge der Weinstein-Affaire und der
#MeToo-Kampagne.
Auch ökonomische Folgen hat der derzeitige Furor der Gerechten und Selbstgerechten. Denn im Fokus der neopuritanischen Kreuzzügler cancelte Amazon einen Vier-Filme-Deal mit dem Regie-Großmeister. Woody Allen: toxisch!
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Ob das stimmt oder nicht – ein scharfer Kommentar zum Zeitgeist, zum grassierenden Puritanismus in den westlichen Gesellschaften ist dieser Film in jedem Fall. Allen erzählt sarkastisch von den Gepflogenheiten seiner Branche. Die Männer entlarven sich in ihrer lächerlich-pompösen Art bald selbst. Und andererseits sind die Frauen hier nie besser als die Männer.
Zugleich ist A Rainy Day in New York natürlich – oder auch zum Teil wegen der gegenwärtigen Debatten um Anstand, Moral und Politik unserer Geschlechterbeziehungen – ein sehr oft witziger Film. Nicht jeder wird über jeden Witz lachen können. Aber das war auch früher, als man Woody-Allen-Filme noch ganz unschuldig ansah, nicht anders.
Woody Allen ist und bleibt einer der besten Humoristen des Gegenwartskinos. Der Autor lebt.