Radical – Eine Klasse für sich

Radical

Mexiko 2023 · 126 min. · FSK: ab 12
Regie: Christopher Zalla
Drehbuch:
Kamera: Mateo Londono
Darsteller: Eugenio Derbez, Daniel Haddad, Jennifer Trejo, Mia Fernanda Solis, Danilo Guardiola u.a.
Filmszene »Radical - Eine Klasse für sich«
Besondere Schüler & ein besonderer Lehrer...
(Foto: Ascot Elite)

Bildung als Krimi

Christopher Zallas Schulfilm über eine hoffnungslos schlechte Klasse in Mexiko ist ein so berührendes wie leidenschaftliches Statement für gelungene Bildung

Wer sich heute an deutschen Schulen umsieht, kann mitunter nur noch den Kopf schütteln. Nicht nur das Personal fehlt zunehmend, sondern bei den letzten Verblie­benen, die das sinkende Schiff noch nicht verlassen haben, auch mehr und mehr die Moti­va­tion. Denn wer will sich noch für ein Bildungs­system opfern, das nicht mehr zu verstehen scheint, dass erst und allein Bildung die nach­hal­tigste Form eines funk­tio­nie­renden Rechts­staats ist und dementspre­chend gefördert und finan­ziert werden muss?

Es geht natürlich immer noch schlimmer. Schlimmer meint zum Beispiel Mexiko, meint die Schüler der sechsten Klassen der José-Urbina-López-Grund­schule in Matamoros, denen sich Chris­to­pher Zallas aufre­gender Film Radical – Eine Klasse für sich widmet. Radical ist der zweite Film von Chris­to­pher Zalla; sein Debüt Padre Nuestro – Vater unser gewann 2007 auf dem Sundance Film Festival den Großen Preis der Jury für den besten Spielfilm.

Für Radical hat Zalla eine Reportage von Joshua Davis in Wired – A Radical Way of Unleas­hing a Gene­ra­tion of Geniuses – zu einem konzen­trierten Drehbuch umge­schrieben und ebenso konzen­triert insze­niert. Er hat die sozi­al­rea­lis­ti­schen Details aus Davis’ Text, der den Film mit-produ­ziert hat, in düstere Bilder trans­for­miert, die nicht nur einen völlig hoff­nungs­losen Schul­alltag beschreiben, sondern dezidiert auch auf den Lebens­alltag einiger ausge­wählter Kinder fokus­sieren, um dadurch nicht nur eine viel­schich­tige Geschichte über die Hier­ar­chien in der mexi­ka­ni­schen Gesell­schaft erzählen zu können, sondern auch, um die Alltäg­lich­keit von Gewalt zu umreißen.

Doch das ist nur ein Teil der erzählten Geschichte, ein weitaus größerer widmet sich der Hoffnung, die selbst in diesen Verhält­nissen zuletzt stirbt und vor allem von einem neu an die Schule gekom­menen Lehrer verkör­pert wird. Denn Sergio Juarez (Eugenio Derbez) macht alles anders. Statt die faden­schei­nigen Direk­tiven der Schul­behörde zu erfüllen, erfüllt er sich den Traum einer anderen Schule. Das erinnert durch die von Eugenio Derbez über­ra­gend darge­stellte leiden­schaft­liche Empathie an Robin Williams in Peter Weirs Club der toten Dichter, doch könnte Zallas Film nicht weiter von Weirs Wohl­stands-Realität entfernt sind.

Viel mehr noch erinnert Zallas Film an eine andere wahre Geschichte, die von Maria Speth in Szene gesetzte Lehrer- und Schüler-Doku­men­ta­tion Herr Bachmann und seine Klasse, die 2021 den Silbernen Bären gewann. Auch dort sind es margi­na­li­sierte Schüler, die von einem unkon­ven­tio­nellen Pädagogen animiert werden, vor allem wieder Neugierde zu lernen und damit das eigene Lern­ver­halten völlig neu zu gestalten.

Dass es auch in Mexiko einen beson­deren Lehrer braucht, um besondere Schüler mit einer ganz beson­deren Moti­va­tion zu prägen, ist nicht sonder­lich über­ra­schend. Auch ansonsten über­rascht Zallas im Kern als Feelgood-Movie ange­legter Film trotz seiner düsteren sozi­al­rea­lis­ti­schen Ausflüge eigent­lich nicht, wird schnell deutlich, dass wir uns hier auf einer klas­si­schen Helden­reise den Fluss hinab bewegen.

Doch Vorher­seh­bar­keit ist nur ein Kriterium, das bei Zalla dann auch schnell an Gewich­tung verliert. Denn viel wichtiger sind hier die ethno­gra­fi­schen Details und die vor der Kamera reali­sierte Umsetzung der unge­wöhn­li­chen Reform­pä­d­agogik, die immer wieder berührt und: über­rascht! Und sind es dann auch die fast schon unheim­lich intensiv spie­lenden Kinder, die diese Pädagogik nicht nur annehmen, sondern auf erstaun­lich berüh­rende Weise damit sich und auch ein klein wenig die reale Welt verändert haben.

Zalla bleibt aller­dings trotz aller Erfolge bis zum Schluss Realist, der klar macht, dass ein System zu verändern sehr viel schwie­riger ist, als seine Kinder zu verändern.