Schweiz 2016 · 90 min. · FSK: ab 6 Regie: Susanne Regina Meures Drehbuch: Susanne Regina Meures Kamera: Gabriel Lobos, Susanne Regina Meures Schnitt: Rebecca Trösch |
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Die Freiheit hat viele Gesichter |
Mullahs, Schleier, Todesstrafe – das ist es, was heute leider viele mit dem Iran verbinden. Von der Gegenwart des Iran wissen wir eigentlich gar nichts, jenseits einiger Angstklischees und vager Informationen über eine große Vergangenheit. Man ahnt, dass da mehr ist, hinter den Mauern der Zensur, als Ayatollahs und Unterdrückung. Aber was? Jeder, der sich ein wenig mit der persischen Kultur beschäftigt, und vielleicht selbst schon einmal im Iran war, weiß: Es handelt sich um ein weltoffenes, dem Westen zugewandtes Land, und die heutige iranische Gesellschaft ist viel facettenreicher und widersprüchlicher, auch vom Regime distanzierter, als es die meisten Nachrichtenbilder nahelegen.
Mitten ins Herz dieser Widersprüche greift jetzt Raving Iran. Nur wenige Filmemacher aus dem Westen warfen bisher einen Blick ins Innere Persiens – eine davon ist die Regisseurin Susanne Regina Meures. Die Filmemacherin portraitiert in ihrem Dokumentarfilm zwei junge Männer, Anoosh und Arash, die als Duo »Blade & Beard« auflegen, und mit ihnen die die geheime, weil illegale Techno-Pop-Szene des Landes. Denn überall im Iran, nicht nur in Teheran, treffen sich junge Leute um westliche Musik zu hören, zu ihr zu tanzen. Sie trinken dort natürlich auch, nehmen Partydrogen... Die Freiheit hat viele Gesichter.
Dies ist ein Film über Doppelmoral. Denn daraus, dass die Freiheitsrechte der Bürger im Iran vom Staat in harter, oft absurder Weise beschnitten werden, lässt der Film keinen Zweifel.
Das bezieht sich bereits auf die Entstehung dieses Films. Denn jedes Bild das wir hier sehen, ist verboten. Meures Film wurde heimlich gedreht, viele Personen wurden zu ihrem Schutz unkenntlich gemacht.
Ihre riskanten Aussagen und die verbotene Musik sind das eine, das andere ist das vor die islamistischen Tugenwächter provokative Bild der Vielfalt und Weltoffenheit. Denn auch die Mullahs sind daran interessiert, dass das eindimensionale Klischeebild des Gottesstaats intakt bleibt. Raving Iran will andere Facetten zeigen.
Aber Raving Iran macht eben auch klar, dass es jenseits der strengen Gesetze und der gleich vier verschiedenen Polizeinheiten, die miteinander wetteifern, auch viele Spielräume gibt. Die Iraner verstehen sich glänzend darauf, Nischen zu finden, sich im Alltag subversiv zu verhalten. Sie wissen, wie man den Schein wahrt und sie haben einen ausgeprägten Instinkt dafür, zu erkennen, welchen Menschen sie vertrauen können, und wo Vorsicht und Wachsamkeit geboten ist.
In dieser Feier des Subversiven, des Muts, sich nicht vereinnahmen zu lassen, und der Freiheitsräume abseits eines vieles vereinnahmenden Staat und gegen eine Gesellschaft, in der Fürsorge und Strenge verschmelzen, zu suchen, kann ein deutscher Zuschauer nicht nur viel über den Iran erfahren.
Man lernt auch die eigenen Bürgerrechte wieder etwas besser zu schätzen. Zugleich wächst der Sinn dafür, wo auch im eigenen Land im Namen von Sitte und Anstand, im Namen von Sprachpolizei und Moraltabus, die eigene Freiheit beschnitten wird. Man kann sich ermutigen lassen, auch im eigenen Land ein bisschen Mut zur Subversion aufzubringen, dazu, seine Individualität gegen Konformismus zu verteidigen.
Raving Iran ist kein Film, bei dem wir darüber erbauen können, wie gut es uns doch geht. Sondern dies ist ein Dokument des Widerstands gegen die Tugendwächter aller Länder, ein Dokument der Gemeinsamkeit zwischen Orient und Europa – die Weltgemeinschaft gibt es längst: In der Musik, dem Kino, der globalen Popkultur.