Deutschland 2010 · 63 min. · FSK: ab 16 Regie: Marvin Kren Drehbuch: Benjamin Hessler Kamera: Moritz Schultheiß Darsteller: Michael Fuith, Theo Trebs, Anka Graczyk, Emily Cox, Andreas Schröders u.a. |
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Temperamentenlehre für die späte Moderne |
Ein Zombie-Film aus Deutschland. Endlich unternimmt das Kino dieses Wagnis auch hierzulande und überlässt die Untoten, und damit auch unsere Ängste, die Gefühlslagen und Assoziationen, die uns umgeben, das kollektive Unbewusste also, das gerade im Horror-Genrekino deutlicher als anderenorts zum Ausdruck kommt, nicht allein den Amerikanern und der Bewusstseinsindustrie Hollywoods. Tatsächlich ist Rammbock ein kleiner listiger Film geworden, dem vieles gelingt, was andere vergeblich versuchen, und der seinen eigenen Maßstäben genügt. Ganz so deutsch ist das Ganze dann freilich doch nicht, den Regisseur Marvin Kren ist Österreicher, genau wie Hauptdarsteller Michael Fuith.
Es beginnt als Komödie über Selbstbeherrschung. Seine Gefühle und Wutanfälle hat der junge Michael nicht gut im Zaum. Als der Wiener seine neuerdings nach Berlin übersiedelte Ex-Freundin Gabi besuchen will, offiziell um ihr einen Schlüssel zurückzugeben, in Wahrheit, um sie zurückzuerobern, übt er noch zuvor, wie er sein Temperament zweckdienlich zügeln könnte. Dieses Motiv – wer will, darf hier durchaus an die stoische Temperamentenlehre, und die Dialektik von »kalter« Seelenruhe und »heißer« Leidenschaft denken – wird im Film später eine zentrale Rollen spielen, denn Wut, genauer der damit einher gehende Adrenalinausstoß, lässt jenen Virus beim Infizierten ausbrechen, der – als MacGuffin des Films – zum Auslöser einer großen und diverser kleinen Katastrophen wird. Zunächst ahnt ein über den Plot uninformierter Zuschauer davon aber noch nichts...
Hubschraubergeräusche und Polizeisirenen aus der Ferne kündigen, halb unbewusst, zwar an, das irgendetwas nicht in Ordnung ist in dieser Welt, bald vernimmt man auch unartikulierte Schreie, die bereits Schlimmes ahnen lassen – eine Ahnung, die sich alsbald erfüllt, als ein Mann mit verzerrtem Gesichtsausdruck einen anderen anfällt – und sich die Ereignisse nun überschlagen: Weitere Infizierte tauchen auf, greifen Michael und Harper, einen jungen Handwerker, an. In
letzter Sekunde gelingt es beiden, sich in der Wohnung zu verbarrikadieren. Durch die Fenster zum Innenhof sehen die Eingeschlossenen Horden von zu Bestien mutierten Menschen, die Gesunde anfallen. Um Zombies handelt es sich genaugenommen nicht, sondern um »Wombies«, also nicht untote, sondern wutgesteuerte Wesen, die sich insofern dadurch unterscheiden, dass sie sich schnell bewegen, nicht langsam.
Zugleich lernen die beobachtenden Gesunden ihre ebenfalls zurückgebliebenen
Leidensgenossen kennen, offenbar nicht infizierte Nachbarn, die in anderen Wohnungen in ähnlicher Lage stecken. Aus dem Radio wird man darüber informiert, eine gefährliche Virusepidemie breite sich aus, es herrsche Ausnahmezustand. Zugleich versucht Michael verzweifelt, Gabi zu erreichen. Auf moderne Kommunikationsmittel kann er dabei nicht zurückgreifen. Sein Handy hat er verloren.
Alles wird zügig erzählt, und virtuos in Szene gesetzt. Die Fähigkeit des Regisseurs, im Laufe des eher kurzen Films den Zuschauer auf emotionale Achterbahnfahrten zu schicken, seine Aufmerksamkeit auf immer neue Punkte zu konzentrieren, ihn auf Neues einzustellen, ist bewundernswert. Man befindet sich damit als Betrachter in ähnlicher Lage, wie die Protagonisten selbst. Die narrativen Möglichkeiten, die in diesem Szenario stecken, sind, wie die Anspielungen auf die Kinogeschichte, Legion: Natürlich steht vor allem das Zombie- und Horror-Genre Pate. Die Macher – Rammbock ist der allererste Zombiefilm, der je vom ZDF (Redaktion »Kleines Fernsehspiel«) coproduziert wurde – orientieren sich im Detail weniger an US-Vorbildern wie George Romero, als an den besten europäischen Genre-Exempeln der jüngeren Zeit, wie Danny Boyles 28 Days Later, wie Yannick Dahans La Horde, wie Jaume Balagueros [Rec] und [Rec] 2, und damit an Filmen, die weniger auf Exploitation setzen, als auf politischen Subtext und Freilegung des kollektiven Unbewussten. Zombies sind immer Metaphern einer sozialen Verwandlung. Am Genre fasziniert die Zuschauer wie an Katastrophenfilmen die Inszenierung purer Anarchie und zivilisatorischen Zusammenbruchs, am Pandemie-Stoff der Gegensatz zwischen Innen und Außen, krank und gesund. Das Besondere an Rammbock ist, dass Kren die Menschlichkeit der Eingeschlossenen in den Wohnungen als Kontrapunkt zum genrebedingten Ausnahmezustand einsetzt, dass er Anarchie mit Humanität kontrastiert, und sich der Pessimismus in Grenzen hält.
Darüber hinaus liegen weitere Vorbilder im Paranoia-Kino und im Thriller-Genre: Natürlich wird jeder Hitchcock-Fan auch an Das Fenster zum Hof denken. Kren reizt nur einen kleinen Teil davon aus – Rammbock hätte von seinem Potential her gut und gern eine halbe Stunde länger sein dürfen. Im Presseheft findet Kren zudem sehr passionierte Worte für das das Potential und die Poesie des Zombie-Genres. Darin räumt er auch mit dem verbreiteten Missverständnis auf, im Zombie-Film gehe es vor allem um explizite Gewaltdarstellungen. Vielmehr seien Zombies »eine Metapher für die hausgemachten Gefahren unserer Gesellschaft«. Das dies zutrifft, belegt auch Rammbock in beeindruckender Weise. Der Film funktioniert blendend und unterhält gut. Dass für einen Österreicher am Ende das Böse im preußischen Berlin haust, ist nur ein ironischer Gag am Rande.
Anmerkung:
Mittlerweile erreichte mich folgende Nachricht des Produzenten Wolf Jahnke:
»Sehr geehrter Herr Suchsland, in der Kritik zu Rammbock schreiben Sie, dass sich der deutsche Film nun ›endlich‹ dem ›Wagnis‹ des Zombie-Themas angenommen hat. Diese Ehre gehört jedoch dem 2008 produzierten Virus Undead (vielleicht auch einer anderen Produktion). Der rein privat finanzierte, ambitionierte Virus Undead hatte leider trotz vielfacher Einladungen wie zu dem geschätzten Shanghai-Festival in der deutschen Förderlandschaft keine größere Vertriebsmöglichkeit – bei einschlägigen Institutionen hieß es: ›Es wird nur gefördert, was gefördert wurde.‹ Das ist allerdings eine andere ›Horrorgeschichte‹!
Mit besten Grüßen, Wolf Jahnke, Co-Produzent von Virus Undead«
Da hat Herr Jahnke natürlich völlig recht. Genauso könnte man darauf hinweisen, dass es im ganzen Underground-Bereich schon lange Zombie-Filme u.a. auch bei uns gab. Aber leider kam davon nichts ins Kino, und mein Hinweis bezog sich mehr darauf, das hier »endlich« etwas die Fantasyfestival-Nische und die Schmuddelecke in der Videothek verläßt. – RS