Irland/Kanada 2015 · 118 min. · FSK: ab 12 Regie: Lenny Abrahamson Drehbuch: Emma Donoghue Kamera: Danny Cohen Darsteller: Brie Larson, Jacob Tremblay, Joan Allen, William H. Macy, Sean Bridgers u.a. |
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Unglaublicher Naturalismus |
»Mama ist echt. Waschbecken ist echt. Toilette ist echt. Die Menschen im Fernsehen sind nicht echt. Die würden da sonst ja auch nicht alle reinpassen. Flache Fernseh-Menschen. Bei Old Nick bin ich mir nicht sicher. Raum ist echt. Außerhalb von Raum ist der Weltraum.«
Es ist eine rätselhafte kleine Welt, in welcher der fünfjährige Jack (Jacob Tremblay) und seine 24-jährige Mutter (Brie Larson) leben. Dem Zuschauer, der die gleichnamige Romanvorlage von Emma Donoghue nicht kennt, ist zunächst völlig unklar, welche genaue Situation RAUM von Lenny Abrahamson zeigt und welche Rolle die Mutter hierbei spielt.
Doch relativ schnell wird deutlich, dass die beiden „Raum“ niemals verlassen, dass Jack nur diesen neun Quadratmeter großen schäbigen Raum kennt. Jacks Mutter scheint ihrem Sohn die Dinge auf eine Weise zu erklären, die jenen daran glauben lässt, dass es kein Außerhalb des Raum außer dem Weltall gibt. Deshalb kommt Jack auch gar nicht erst auf die Idee, diese kleine Welt zu verlassen.
Diese rätselhafte Prämisse weckt zunächst ungute Erinnerungen, an das fatale Familiengefüge in Giorgos Lanthimos (The Lobster) absurden Drama Dogtooth (2009). In jenen hält ein Ehepaar seine drei Kinder im jungen Erwachsenenalter wie kleine Kinder in einer surrealen Art von freiwilliger Gefangenschaft innerhalb der familiären Grundstücksgrenzen. Auch in jener Welt werden die außerhalb dieses Mikrokosmos befindlichen Dinge auf eine verquere Weise weg-erklärt, welche die Kinder am Verlassen der kleinen Welt hindern. So gehört die Katze dort zu den besonders gefährlichen Tieren.
In Raum bekommt Jacks kleine Welt zunehmend Risse, als er sich zu fragen beginnt, woher eigentlich die Dinge stammen, die außerhalb von Raum in die Welt von Raum eindringen. Hierzu gehört eine kleine Maus, ebenso wie der mysteriöse Old Nick.
Beeindruckend ist es, wie es Lenny Abrahamson gelingt, die intensiven Sinneswahrnehmungen von Jack für den Zuschauer nachfühlbar zu machen: Jacks Liebe zu solch banalen Dingen in Raum wie Waschbecken, Toilette und das besonders geheimnisvolle Oberlicht.
Der Zuschauer fühlt sich zunehmend klaustrophobisch, je mehr er sich der engen Grenzen von Jacks Welt bewusst wird. Dahingegen packt Jack eine extreme Agoraphobie, als er das erste Mal in seinem Leben Raum verlässt. Was er zunächst in der für uns ganz normalen Welt empfindet, ist ähnlich intensiv, wie Sandra Bullocks Verlorenheit im All in Gravity (2013). Bullocks dortige Figur von Dr. Ryan Stone ist sich immerhin der kalten, feindlichen Natur des Weltalls bewusst. Jack wird dahingegen in die Welt geworfen, wie ein Baby, das mit fünf Jahren erstmals richtig geboren wird.
»Früher war ich klein und wusste nur kleine Dinge. Jetzt bin ich groß und weiß alles!«
Besonders berührend ist es in Raum, wie die eigentlich schreckliche Welt von Jack und seiner Mutter aus Jacks Sicht geschildert sich fast in eine abenteuerliche Märchenwelt verwandelt. Dass dies niemals kitschig wirkt, ist eines der herausragenden Merkmale dieses Films, die Raum zu etwas ganz Großem machen.
Aber trotz des gelungenen zugrundeliegenden (Dreh-)Buchs und der unaufdringlich-intensiven Inszenierung würde Raum niemals so ausgezeichnet funktionieren, wie der fertige Film es nun tatsächlich tut, ohne die beiden superben Hauptdarsteller. Hochverdient wurde Brie Larson (The Gambler) für ihre Rolle der Mutter in Raum mit dem Oscar ausgezeichnet. Der unglaubliche Naturalismus, mit dem sie die extrem wechselnden Emotionen ihrer Figur zwischen Kampfgeist, Verzweiflung, Stolz, Hysterie, Stärke und Zerbrechlichkeit bereits anhand ihres Minenspiels vollkommen nachvollziehbar macht, ist schlicht atemberaubend.
Dem steht das Spiel des kleinen Jacob Tremblay jedoch keineswegs nach. Wenn man bedenkt, dass er nicht wesentlich mehr Zeit hatte, sein schauspielerisches Handwerk zu lernen, als seine Figur Jack Zeit hatte, sich in der für ihn äußerst ungewöhnlichen normalen Welt zurechtzufinden, verblüfft es umso mehr, wie überzeugend sich Jacob Tremblay in Jacks Welt einfühlt.
Raum verwandelt den begrenzten Kinoraum in einen gewaltigen Erlebnisraum.