Reflection in a Dead Diamond

Reflet dans un diamant mort

Belgien/L/F · 87 min.
Regie: Hélène Cattet, Bruno Forzan
Drehbuch: ,
Kamera: Manuel Dacosse
Darsteller: Fabio Testi, Yannick Renier, Koen De Bouw, Maria de Medeiros, Céline Camara u.a.
Reflet dans un diamant mort
Schönheit und Exzess
(Foto: Cattet-Forzani/75.Berlinale Press Service)

Die 1001 Masken des Kinos

Hélène Cattet und Bruno Forzani melden sich zurück: Ihr erster Film seit acht Jahren belebt den Berlinale Wettbewerb mit einer lustvollen Zelebration des Euro-Crime-Genres.

Schon wieder derselbe Film könnte man sagen: Auch zum vierten Mal widmet sich das fran­zö­si­sche Regie­ge­spann dem italie­ni­schen B-Film der 60er- und 70er-Jahre, schon wieder adap­tieren sie diesen Stil auf mega­lo­mane Weise, redu­zieren ihn auf seine Form, seine Schönheit, seinen Exzess. Nach den Ausflügen ins Giallo-Genre (Amer und L’étrange couleur des larmes de ton corps) und in den Spaghetti-Western (Laissez bronzer les cadavres) widmen sie sich nun dem Agenten-Film, den europäi­schen Persi­flagen der James-Bond-Abenteuer. Ist man mit dem Stil der beiden bereits vertraut, bewegt man sich von Beginn an auf bekanntem Terrain. Die Montage beherrscht den gesamten Film, weigert sich, eine erkenn­bare Drama­turgie einzu­führen, verwebt lieber 90 Minuten lang psyche­de­li­sche, ins exzessive stili­sierte Choreo­gra­fien und Einzel­mo­mente.

Eine Handlung ist dabei nur schwer auszu­ma­chen, es geht (ober­fläch­lich) um den geal­terten Ex-Spion John (Fabio Testi), der in einem Luxus­hotel an der Côte d’Azur Erin­ne­rungen an seine vergan­genen Helden­taten nachhängt. Fiktion und Realität werden sich vermi­schen, es gibt Film im Film im Film im Film, bis man – zumindest bis kurz vor Schluss – überhaupt nichts mehr versteht.

Eine reine Freude ist das, eine pure Konzen­tra­tion der Bilder, eine Feier der Ästhetik dieses vergan­genen Kino-Zeital­ters.

Wie bereits in Amer die Trade­marks des Giallos bis zum Geht­nicht­mehr ausge­walzt wurden, den Film domi­nierten und von jeglicher Nach­voll­zieh­bar­keit oder Plot­ge­bun­den­heit befreiten, sind es nun die comic­haften High­lights des Agen­ten­films, die ins Zentrum rücken: Absurde Gadgets (ein Ring, der Wände durch­sichtig macht, eine Zigarre, die als Ziel­fern­rohr dient) und ins Lächer­liche überhöhte Schurken, die wiederum ihre eigenen Beson­der­heiten und Merkmale aufweisen.
Darum dreht sich der gesamte Film, insze­niert sie mit einer Hingabe und Lust, wie man es im zeit­genös­si­schen Genre-Kino nur selten zu Gesicht bekommt.
Wo die Kollegen im Geiste zumeist die Post­mo­derne bemühen, den alten Stil, die geliebte Ästhetik in die Moderne retten wollen, mit zeit­genös­si­schen Themen anrei­chern, und so doch nur das Alte im Neuen evozieren, verschreiben sich Cattet/ Forzani kompro­misslos der alten Zeit.
Was zunächst furchtbar nost­al­gisch klingt, nimmt sehr schnell Abstand von einem banalen Sehnen nach alten Kinotagen, nach einer Zeit, die unwie­der­bring­lich passé ist. (Tarantino beispiels­weise ist ja mitt­ler­weile sehr gut in diesem Hinter­her­he­cheln.)
Statt­dessen erfreut sich dieser Film an der Ästhetik, an der Atmo­sphäre, am Pop jener Film­epoche. Einen Stil zu repro­du­zieren, dafür muss man sich nicht schämen, gerade wenn man es so offen­sicht­lich, so freimütig und stolz vollzieht wie hier geschehen.

Beinahe infantil stilvoll mutet Reflet dans un diamant mort (um den wunder­baren Titel zu wieder­holen, an sich schon eine groß­ar­tige Spielart dieser Form des Genre-Films) dabei an, jede einzelne Szene ist insze­niert wie das grande finale. Keinen hinfüh­renden Szenen­aufbau gibt es, statt­dessen einen steten Übergang vom einen Moment zum nächsten, von Zeitebene zu Zeitebene, von Setpiece zu Setpiece. Kostüme werden umgedreht, um die Farbe zu wechseln, alles gleitet inein­ander über, es gibt keinen Still­stand, höchstens ein paar Momente des Inne­hal­tens, bevor der nächste Exzess geschieht. Das ist ein Kino der tausend Masken, auch ganz buchs­täb­lich; die Anta­go­nistin besitzt mehrere Gesichter, reißt sie sich im Kampf in Fetzen vom Kopf, stets kommt ein neuer Mensch hervor, eine neue Schicht.
Man kann das zu simpel finden, sich über die offen­sicht­li­chen Persi­flagen ärgern, es altbacken nennen, sich am ständig präsenten Flirt mit dem Trash stören.
Doch diese Argumente greifen bei jedem Film des Duos, es ist die altbe­kannte Style-over-Substance Debatte. Ein nerviger Diskurs, der den Film beständig auf die Ebene des Objek­tiven zu zwingen versucht, der Inhalt über Form stellt, und letzterer erst gar nicht zugesteht, selbst Inhalt zu werden.

Nun ist dieses akute Beispiel sicher­lich nicht der Fels in der Brandung des Formfilms, dafür ist er zu leicht­herzig, zu selbst­ver­liebt und -refe­ren­tiell. Zwar gibt es hier und da ein paar Bezugs­punkte zum Femi­nismus/ dem schwie­rigen Frau­en­bild in Agen­ten­filmen, diese werden aber nicht heraus­ge­ar­beitet, sind vielmehr selbst­ver­s­tänd­lich, um etwaige (reine) Inhalts­de­batten abzu­blo­cken, zu betonen, dass das alte Weltbild nicht gleich mit über­nommen wird. Organisch werden diese Moder­ni­sie­rungen einge­woben, posi­tio­nieren sich völlig natürlich im Fluss dieses schönen Films, der die unge­hemmte Lust am Kino, an all seinen Versatz­stü­cken reprä­sen­tiert; der Oper, dem Comic, den Mode­ma­ga­zinen, der Innen­ar­chi­tektur, dem Schau­spiel, der Malerei etc. pp.
Es ist ein wunder­bares Ergehen in sich Selbst, gelebte Kino­ge­schichte sozusagen. Ob der Film selbst Teil der selbigen wird, ist wohl zu bezwei­feln. Viel mehr nimmt er eine der komfor­ta­belsten und seltensten Posi­tionen ein: Er wird zum Neben­cha­rakter in seiner eigenen Geschichte.