USA 2015 · 157 min. · FSK: ab 16 Regie: Alejandro González Iñárritu Drehbuch: Alejandro González Iñárritu, Mark L. Smith Kamera: Emmanuel Lubezki Darsteller: Leonardo DiCaprio, Tom Hardy, Domhnall Gleeson, Will Poulter, Forrest Goodluck u.a. |
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Verloren im Kampf mit der großen, weiten Natur |
Größer könnte der Gegensatz zwischen Birdman und dem neuen Film des mexikanischen Regievirtuosen Alejandro González Iñárritu nicht sein. Spielte der letztjährige Oscar-Gewinner in den beengten Räumen eines New Yorker Theaters, taucht The Revenant (eine freie Adaption des gleichnamigen Romans von Michael Punke) in die Weite der nordamerikanischen Wildnis ein, um von einem Überlebenskampf zu berichten. Archaisch-grimmiges Westernkino, das erwartungsgemäß mit majestätisch-überwältigenden Bildern einer ungezähmten Natur begeistert – gedreht wurde in Kanada und dann nochmals in Argentinien, als in Kanada der Schnee ausging – und den Zuschauer daran erinnert, wie klein der Mensch im Angesicht endloser Wald- und Berglandschaften ist. Gleichzeitig schafft die konsequente Verwendung digital ungeschönter Nahaufnahmen einen erstaunlich intimen Rahmen, in dem das Leiden des Protagonisten physisch spürbar wird. Mehrmals geht Kameramann Emmanuel Lubezki so dicht an Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio heran, dass sein Atem die Linse beschlägt. Wiederholt spritzen Blut und Wasser auf das Filmgerät. Was unweigerlich an Werner Herzogs waghalsige Dschungel-Odyssee in Aguirre, der Zorn Gottes denken lässt, die er 1972 unternahm – lange vor der Erfindung des Digitalen.
Fixpunkt der ausschließlich mit natürlichem Licht gedrehten Abenteuergeschichte ist der real existierende Trapper Hugh Glass (gespielt von Leonardo DiCaprio). Er führt im Jahr 1823 eine Gruppe von Pelzjägern im Norden der USA den Missouri entlang und entkommt mit wenigen Gefährten einem Indianerangriff. Kurz darauf wird er von einem Grizzlybären attackiert; die Verletzungen sind lebensgefährlich. Captain Henry (Domhnall Gleeson) ordnet an, dass Hughs halbindianischer Sohn Hawk (Forrest Goodluck), der junge Jim Bridger (Will Poulter) und John Fitzgerald (Tom Hardy) mit dem Verwundeten zurückbleiben. Fitzgerald, der schon zuvor mehrfach Unwillen über die Mission bekundet hat, will Glass jedoch heimlich in der Wildnis sterben lassen. – Hier beginnt die eigentliche Handlung für den »Revenant«.
Dass der schwer verletzte Scout einen beinahe übermenschlichen Willensakt vollbringt, zeigt schon der englische Titel an. The Revenant heißt »Wiedergänger«, was der deutsche Verleih verharmlosend mit Der Rückkehrer ergänzt. Der komatöse Glass entkommt, unter größten Kraftanstrengungen, dem vorbereiteten Grab und arbeitet sich zunächst kriechend voran. Dreck, Blut und Schweiß bestimmen das Erscheinungsbild DiCaprios, der sich nach The Wolf of Wall Street erneut mit vollem Einsatz in eine herausfordernde Rolle wirft. Szenen, in denen Hugh einen blutigen Dialog mit der Natur aufnimmt, dürften zartbesaitete Zuschauer an ihre Grenzen führen, machen das verzweifelte Aufbäumen gegen das vermeintliche Schicksal jedoch erst richtig greifbar. Nicht nur körperlich verlangt der an unwirtlichen Schauplätzen entstandene Film seinem Hauptdarsteller alles ab. Auch im Mienenspiel muss DiCaprio sein ganzes Können aufbieten, zumal er längere Zeit keine einzige Dialogzeile hat. Einmal mehr bewirbt sich der gereifte Hollywood-Star um eine Oscar-Trophäe. Und man darf dem mittlerweile 41-Jährigen, der bislang stets leerausging, wünschen, dass es endlich klappt.
Packend gerät der raue, mitunter äußerst brutale Survival-Trip auch deshalb, weil Iñárritu in Zusammenarbeit mit Kameramann Lubezki abermals inszenatorische Glanzleistungen vollbringt. Allein schon der Indianerüberfall zu Beginn, der sich als mitreißende Plansequenz entfaltet: Pfeile sausen durchs Bild. Angreifer springen von Pferden ab. Bäume stürzen um. Trapper ergreifen panisch die Flucht oder aber setzen sich gegen die Eindringlinge zur Wehr. Und mittendrin die Kamera, die das blutige Treiben in fließenden, stets übersichtlichen Bewegungen festhält. Unterlegt ist das perfekt choreografierte Kampfgetümmel mit unheilvoll-dröhnenden Trommelschlägen, die den Betrachter nur noch mehr ins Geschehen hineinziehen.
Neben derart realistisch-fesselnden Aufnahmen überrascht The Revenant immer wieder mit mythisch überhöhten, geradezu poetischen Bildern. Vor allem dann, wenn wir in die Fieberträume und die Erinnerungswelt des schwer gezeichneten Protagonisten eintauchen, die Aufschluss über seine Vergangenheit und ein früher erlittenes Trauma geben. Nicht nur in diesen Einschüben spielen Iñárritu und Co-Autor Mark L. Smith auf das tragische Schicksal der Ureinwohner an, die der Gier der europäischen Siedler zum Opfer fielen. Wie wichtig den Machern eine indigene Perspektive auf die historische Geschichte ist, lässt sich auch daran festmachen, dass mehrere Sprachen der Native Americans gesprochen werden (DiCaprio habe sich sogar Grundkenntnisse erworben, wird kolportiert). Von billiger Verklärung ist der Film wiederum meilenweit entfernt, da er die Indianer ebenso als tödlich-präzise Krieger zeigt und zudem darauf verweist, dass blutige Auseinandersetzungen untereinander verbreitet waren.
The Revenant bietet sicherlich keine große Erzählkunst und überspannt an mancher Stelle ein wenig seine Glaubwürdigkeit. Dafür ist Iñárritus jüngste Regiearbeit Adrenalin- und Schauspieler-Kino in Reinform. Ein wuchtiges Epos, dessen dreckig-authentische Nahaufnahmen möglicherweise länger im Gedächtnis haften bleiben als die zweifellos atemberaubenden Landschaftsbilder. Wer sich für raue Abenteuergeschichten begeistern kann, sollte sich diesen fulminanten Leinwandtrip nicht entgehen lassen.