Thailand 2005 · 90 min. · FSK: ab 16 Regie: Prachya Pinkaew Drehbuch: Kongdej Jaturanrasamee, Napalee, Piyaros Thongdee, Joe Wannapin Kamera: Nattawut Kittikhun Darsteller: Tony Jaa, Petchtai Wongkamlao, Bongkoj Khongmalai, Xing Jing u.a. |
Prinzipiell empfehlen wir diesen schönen Film selbstverständlich allen. Insbesondere aber möchten wir ihn doch unseren Freunden (ähem...) von der Italienischen Fußball-Nationalmannschaft ans Herz legen. Weil, da könnten sie mal intensiv studieren, wie man sich überzeugend dutzendfach mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden wälzt – und es vorher tatsächlich nach gesundheitsgefährdendem Vollkontakt aussehen lässt.
Oder, anders eingestiegen: Ob Tony Jaa für Thailand ein Segen oder eine Bedrohung der Volkswirtschaft ist, dürfte im Wesentlichen davon abhängen, was für ein Gesundheitssystem Thailand hat. Denn während Tony Jaa einerseits fraglos der erfolgreichste cineastische Thai-Exportartikel der letzten Jahre (und vermutlich bis heute überhaupt) ist, dürfte er auch die Belastung der Krankenkassen (wenn’s dort sowas hat) ziemlich gesteigert haben. Zumindest aber sollte ihm eine Ehrung vom thailändischen Orthopäden-Verband sicher sein.
Denn was er jetzt in Revenge of the Warrior (Tom yum goong) wieder an Bändern, Sehnen, Knochen überstrapaziert und dehnt, reißen, krachen und knacken lässt, dass reicht für drei WMs. Portugal-Niederlande-Spiele inklusive.
Tony Jaas Filme sind Körper-Kino vom Feinsten. Er gilt als wahrer Erbe von Bruce Lee und Jackie Chan – völlig zu Recht. Er verbindet die Härte, die Kunstfertigkeit und die individuelle Kampfstil-Synthese von Lee (und des jungen Chan) mit der puren Akrobatik, den Slapstick-Anklängen und den Stunts Chans. Und seine Leinwand-Persona läßt an den Vorbildern genausowenig Zweifel – auch das kennt man teils von Lee, teils von Chan: Der naive, aufrechte Bursche vom Land, der sich nur widerwillig und in Notsituationen zum Kämpfen zwingen lässt und der einen komischen, dicklichen Sidekick hat (Petchtai Wongkamlao ist für Jaa was Sammo Hung für Jackie Chan war).
Wobei das, was Tony Jaa auszeichnet, nicht dieser Wiedererkennungswert ist, sondern dass er in der Ausführung seinen anerkannten Vorbildern in nichts nachsteht, und dass er sich all die übernommenen Elemente überzeugend zu eigen macht: Er betreibt tatsächlich Fortschreibung einer Tradition, nicht bloße Imitation. (In einer Szene von Tom yum goong stößt Jaa mit einem Mann zusammen, der Jackie Chan ungeheur ähnlich sieht. Abspann und IMDb schweigen sich aus, ob’s wirklich der echte ist – aber nicht nur wäre es eine ziemliche Anmaßung der Filmemacher, solch einen Gastauftritt mittels Doppelgänger vorzutäuschen: Die gleichsam offizielle Staffelübergabe des Meisters an den »Erben« passte zu gut ins Bild, um nur gestellt zu sein.)
Aber die Wurzeln von Jaas Kunst reichen noch weiter zurück als nur bis zu Lee und Chan: Die Ahnenreihe beginnt schon in der Stummfilmzeit, mit Leuten wie Harry Piehl – dem deutschen Serial-Held, der seine Stunts alle selber machte. Das Kino zeigt sich da als ein Verwandter von Zirkus und Fotografie zugleich: Mit einer Faszination für den menschlichen Körper, für dessen Bewegungen und die Grenzbereiche seiner Fähigkeiten, für das nervenkitzelnde, kontrollierte Spiel mit seiner Verletzlichkeit, Sterblichkeit – scheinbar »live« eingefangen, in Bilder, die den vergänglichen Moment bannen.
Es ist eine Traditionslinie, die wohl nicht umsonst in einem Moment wieder so begeisternd auflebt, als das Mainstream-Kino immer virtueller wird. Es ist eine Rückkehr der Physis, der Körperlichkeit als Korrektiv gegenüber all den masselosen, glatten Pixel-Realitäten.
Im Prinzip müsste man Tony Jaa-Streifen eigentlich dem Genre des Dokumentarfilms zuordnen – weil auch sie von der Aura des Authentischen leben, von der gekonnt inszenierten Illusion, dass die Kamera nur neutrales Aufzeichnungsgerät sei.
Der Plot des Films hat dabei nur rhythmisierende Funktion: Er muss für eine gut ausbalancierte Aufeinanderfolge der Kampf- und Stuntszenen sorgen, mit Atempausen, die nicht zu kurz sind und nicht zu lang, mit einer Progression an Gegnern, die ein Gefühl von Steigerung aufkommen lässt, mit einer befriedigenden Abfolge von Momenten der Unter- und Überlegenheit, der Bedrohung und des Triumphs.
Die rührende Geschichte um den kleinen Thai-Elefanten, der von fiesen
Tierräubern nach Australien entführt wird, erfüllt diese Funktion hinreichend – aber nicht ganz so rund und zielgenau wie die Buddahkopf-Hatz in Ong-bak.
Die Kampfnummern selbst aber müssen sich vor Jaas grandiosem Debut nicht verstecken. Da herrscht wieder die selbe Mischung aus artistischer Schönheit (besonders bei einem Fight gegen einen Capoeira-Kämpen in einem brennenden Zimmer) und lustvoller Brutalität. Denn es gehört essentiell zu Jaas Kunst, dass seine Martial Arts nicht nur elegant, schnell, gekonnt, trick- und variantenreich sind, sondern dass man auch das (meist, aber nicht immer vorgetäuschte) Gefühl bekommt, dass sie richtig weh tun, so wie ein 0:1 in der 118. Minute. Erst das gibt diesen Filmen ihre volle Körperlichkeit und auch ihren fast atavistischen Spektakel-Charakter.
Und es garantiert, dass sie dem global dominierenden US-Kino etwas entgegensetzen können, das dies mit seiner Vollkasko-Mentalität (und -Produktionsstrukturen) niemals mehr wird parieren können. Denn Tony Jaas Filme sind, wie ihre historischen Vorgänger (und dazu gehört durchaus auch der frühe Hollywood-Slapstick), Gründerzeit-Kino. Es sind Filme, die nur möglich sind, wo man jung, hungrig und risikobereit ist, wo fast eine Spielplatzatmosphäre herrscht: Jeder bereit, vom höchsten Klettergerüst zu hupfen, um den anderen zu übertreffen und um einmal zu sein wie die großen Vorbilder aus Film und Fernsehen.
Es gibt in Jackie Chans (wenn ich mich recht erinnere) Police Story eine Szene, in der Chan einen Doppeldecker-Bus abrupt zum Stehen bringt, wodurch zwei Gangster aus den oberen Fenstern auf die Straße geschleudert werden. Der Stunt war falsch berechnet, die beiden Stuntleute knallten auf harten Asphalt und verletzten sich, aber Chan spielte die restlichen Sekunden der Einstellung noch zu Ende, bevor er Hilfe herbeieilen ließ – weil er wusste, dass der Take wohl dennoch verwendbar war und er so darauf verzichten konnte, die komplette gefährliche Aktion wiederholen zu lassen.
Tony Jaa hat ein ähnliches Heer von opferbereiten Helfern, die sich wohl oft genug ein paar Sekunden in nicht gespielten Schmerzen vor der Kamera winden müssen, wenn es aus Versehen zum echten Vollkontakt kam und der Take dennoch in den Kasten gebracht wird. Man kann nur für sie hoffen, dass keiner von ihnen sich während der unglaublichsten Einstellung von Tom yum goong verletzt hat – weil er sonst lang lag: Diese Einstellung treibt auf die Spitze, was einen Tony Jaa-Film ausmacht – in rund fünf Minuten OHNE EINEN EINZIGEN SCHNITT fightet sich der Muay-Thai-Meister gegen Dutzende Widersacher vier Stockwerke eines Gebäudes empor. Eine choreographische Großtat sondergleichen, die vermutlich Wochen der Vorbereitung benötigte. Eine Königsetappe des Martial-Arts-Genres, eine einmalige Ausdauer- und Konzentrationsleistung.
Da kann momentan kein anderer im Kampfkunstkino mit, das ist eine Untermauerung des Anspruchs auf Krone, Thron und Szepter in diesem Genre, die keinen Widerspruch duldet. Das einzige Problem für Tony Jaa in Zukunft dürfte sein: Er hat zwar keine Konkurrenten, die ihm das Wasser reichen können – aber wie er sich da selbst nochmal übertreffen will, das wird eine enorme Herausforderung.