USA 2018 · 140 min. · FSK: ab 12 Regie: Steven Spielberg Drehbuch: Zak Penn, Ernest Cline Kamera: Janusz Kaminski Darsteller: Tye Sheridan, Olivia Cooke, Ben Mendelsohn, T.J. Miller, Simon Pegg u.a. |
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Blinde Kuh 2.0 |
»Ready Player One« – mit diesen drei Worten auf dem Bildschirm begannen einst die Spiele von Atari Arcade. Und spätestens, wenn zu den allerersten Bildern des Films Van Halens ikonischer Song »Jump« erklingt, dann weiß man, was die Stunde geschlagen hat: Steven Spielbergs Ready Player One ist zwar ein Sprung in eine dystopische Zukunft, in der Realität und Virtualität kaum noch zu unterscheiden sind, aber eben genauso auch ein Sprung in die Vergangenheit der späten 70er, frühen 80er Jahre, in deren Universum aus popkulturellen Referenzen zwischen Space Invadors und Shining, Michael Jackson und »Twisted Sister«, »Chucky« und Mechagodzilla, und einem Hollywood, das von Digitalisierung noch so wenig wusste, wie von »Netflix«, und in dem Steven Spielberg ein junger, vielversprechender Regisseur am Anfang seiner Karriere war.
Diese Vergangenheit steht hier als virtuelle Welt wieder auf, und so ist Ready Player One wie Ernest Clines Buchvorlage von 2011 nicht nur ein Science-Fiction-Thriller, sondern eine nostalgische Erinnerung an das Zeitalters der unschuldigen Nerds, die die Pop-Kultur neu formatierten.
»Columbus, Ohio, 2045« versetzt eine Bildzeile die Zuschauer zeitlich und räumlich, und dass dies eine leichte Veränderung gegenüber dem Buch bedeutet (das spielte 2044), ist vielleicht doch kein Zufall: 100 Jahre nach dem Kriegsende, nach Beginn des Amerikanischen Jahrhunderts, 99 Jahre nach Spielbergs Geburt.
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Wie nahezu alle Spielberg-Filme ist dies nicht zuletzt auch ein Film über ihn selbst: Über das Kind im Erwachsenen, in einen altgewordenen Millionär, der die Popkultur revolutionierte und nun sein Nachleben verwalten (und gestalten, kontrollieren) will, und über einen vaterlosen jungen Mann, der ein bisschen ein Nerd ist und ein Außenseiter, der aber auch ganz offen ist gegenüber der Welt seiner Gegenwart und Zukunft, und der trotzdem seine Prinzipien hat, moralisch denkt und mutig ist im richtigen Moment.
Dieser junge Mann, die Hauptfigur des Films heißt Wade Watts (Tye Sheridan), lebt als Waise in einem heruntergekommenem Amerika, in dem, wie es heißt, »die Leute nicht mehr versuchen, ihre Probleme zu lösen. Sie leben in ihnen.« Dieses Leben ist heruntergekommen, aber technisch avanciert: Man haust in einem slumähnlichen, vermüllten Trailerpark, in dem die Wohnwagen übereinander gestapelt sind. Der Pizzaservice wird von Drohnen erledigt. Trost und Erleichterung bringen virtuelle Welten, in denen man alle Abenteuer erleben kann, die das wahre Leben nicht mehr bereit hält, und der die Menschen wie Süchtige verfallen sind.
Die schönste und beste von ihnen heißt »Oasis« – hier können alle alles machen, auch Wade, dessen Avatar ausgerechnet Parzival heißt – nach dem »reinen Tor« und edlen Tafelrunden-Ritter, der einst den Gral suchte und schließlich fand. Als reinen Tor könnte man auch Wade beschreiben und einen Gral gibt es hier auch: Diverse Rätsel und Aufgaben führen in »Oasis« zur Entdeckung von drei Schlüsseln. Sie sind das Vermächtnis von James Halliday, einem schrullig-genialen Erfinder, der einst »Oasis« schuf, damit zum Multimilliardär wurde, und der Menschheit nach seinem Tod das Rätsel als Aufgabe hinterließ – wer es löst, soll sein Vermögen erben. Bisher gelang das noch keinem.
Der in Rückblenden und virtuellen Clips sehr präsente James Halliday (Mark Rylance) wirkt wie ein weltfremder autoritärer Nerd, und verbindet Charakterzüge eines Posthippies mit Remineszenzen an Bill Gates, Steve Jobs und – vielleicht – auch Steven Spielberg.
De facto handelt es sich hier um in großes Kind und einen Eighties-Fanboy – im Ergebnis aber einen sehr launischen, sehr reichen Mann, dessen letzter Kick es ist, über seinen Tod hinaus noch die Menschen
in einem gigantischen Spiel auf Trab und in Bann zu halten, und ihnen dabei mehr als eine moralische Lektion zu erteilen. Halliday verkörpert die Doppelperspektive des Films: Halliday weiß, dass, wer immer sein Nachfolger werden wird, die Freuden der Virtuellen Realität zwar teilen muss, sich ihrer Gefahren aber immer bewusst bleiben sollte.
Sein Fanboy-Dasein war eine Befreiung für Halliday und Basis seines Welterfolges. Sie hat ihn aber auch gelähmt, in gewisser Weise
lebensunfähig gehalten: Ein großgewordenes ewiges Kind, das nie ganz erwachsen werden kann.
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Visuell ist das alles überaus spektakulär. Ready Player One springt flüssig zwischen virtueller Welt und Film-Wirklichkeit hin und her. Der erste Schritt zum ersten Schlüssel ist zum Beispiel ein Autorennen durch ein gigantisches virtuelles New York, dessen Stadtautobahn sich während der Fahrt in eine bewegte Achterbahn verwandelt. Kurz vor dem Ziel werden die bis dahin erfolgreichsten Fahrer auch noch von einer King-Kong-Reinkarnation
gejagt.
Dabei lernt Wade/Parzifal auch Samantha (Olivia Cooke) kennen, die in »Oasis« Art3mis heißt. Sie ist eine Widerstandskämpferin gegen das Verschwinden des Lebens im Virtuellen und die Konzerne, die daran interessiert sind.
Die Lösung der weiteren Aufgaben erfordert Mut im wirklichen Leben – ein Mädchen anzusprechen, für das man sich interessiert, auch wenn man dafür zu schüchtern ist –, Kenntnis in Popkultur, und den mehrfachen Besuch einer Bibliothek: Wissen ist unbedingt positiv besetzt in diesem Film. Sich »schlau zu machen« ist eine Überlebenstechnik, lernt Wade.
Aber es gibt auch die andere Seite: Das Chaos des Phantasieraums. Da steckt man irgendwann in einem Kubrick-Film, dann in einem Weltuntergangsszenario, in einem Computerspiel sowieso, und blickt immer weniger durch.
Es wird viel über den Einfluss von Computergames auf das Kino nachgedacht. Zu recht. Doch womöglich ist die gravierendste Folge gar nicht die Veränderung der Ästhetik, auch nicht die »Flachheit« digitaler Bilder, und nicht einmal die Tatsache, dass in vielen Gegenwartsfilmen der »Transformers«-Reihe ebenso wie in Pacific Rim de facto Maschinen gegen Maschinen kämpfen, und der Mensch
zunehmend aus den Bildern verschwindet. Die gravierendste Folge ist, dass die Regeln, nach denen Kämpfe und andere Konflikte ausgetragen werden, zunehmend im Dunkeln bleiben. Auch Ready Player One ist ein Paradebeispiel für einen Film, in dem sich die Zuschauer immer seltener auf der Höhe der Figuren befinden, in dem sie nicht verstehen können, was einer warum tut und wann etwa ein Avatar des Bösen zu besiegen ist.
Von anteilnehmenden Beteiligten verwandelt
sich das Publikum in Filmen wie diesen in ohnmächtige Betrachter. Entsprechend verschwindet seine Anteilnahme, und es akzeptiert die autoritäre Willkür des Autorenteams.
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Es wäre kein Spielberg-Film, wenn nicht alles gut ausginge. Wenn nicht der Gral gefunden würde, die Apokalypse nur virtuell bliebe, und die Botschaft, dass nur das Reale das Reale ist, emotional beglaubigt wäre.
Wenn nicht die Widersprüche versöhnt würden und zwar in der Vorstellung des guten Multimilliardärs der Kapitalismus (und Spielbergs Narzissmus, sein Selbstbild?) ebenso gerettet würde, wie im Portrait der so klugen wie hübschen, in jeder Hinsicht attraktiven Rebellin Art3mis die Idee des legitimen wie erfolgversprechenden Widerstands gegen ihn. Wenn nicht zumindest im Song der Twisted Sister »We're not gonna take it« die Freiheit (»We have the right to choose«) triumphieren würde.
Spielbergs neuer Film ist Aufklärung über Manipulationszusammenhänge, der trotzdem das Spiel und die virtuelle Welt verteidigt.