Reproduktion

Deutschland 2024 · 116 min. · FSK: ab 12
Regie: Katharina Pethke
Drehbuch:
Kamera: Christoph Rohrscheidt
Schnitt: Simon Quack
Reproduktion
Gruppenbild
(Foto: Fünferfilm/Katharina Pethke)

Frauenschicksale

Ein Drei-Generationen-Film über die künstlerische Arbeit und dabei Kinder zu haben

Filme arbeiten damit, etwas aus dem Leben heraus­zu­kris­tal­li­sieren, Geschichten und Themen heraus­zu­stellen, Linien zu ziehen und Muster zu finden. Und zu überlegen, warum sie so aussehen, wie sie aussehen.

Der Doku­men­tar­film Repro­duk­tion von Katharina Pethke findet so ein Muster, ein sich wieder­ho­lendes Thema, in ihrer Oma Rosemarie, ihrer Mutter Maria und Regis­seurin Katharina: drei Frau­en­ge­nera­tionen, ihre Verbin­dung und ihr Wille zur Kunst. Die Kunst wird im Film Repro­duk­tion stell­ver­tre­tend symbo­li­siert durch die Hoch­schule für bildende Künste (HfbK) in Hamburg, ein Fritz-Schu­ma­cher-Bau und das ebenfalls von ihm gebaute Nach­bar­ge­bäude in der Finkenau, einer ehema­ligen Geburts­klinik, in der sich heute der Film- und Medi­en­campus Hamburg befindet. Drei Lebens­wege, die sich besonders zu Beginn sehr ähnlich sind und zeigen, wie schwierig es für Frauen war und ist, Kunst – als Berufung, aber auch als Beruf – mit einer Familie in Einklang zu bringen.

Kleine Wortkunde: »Repro­duk­tion« ist ein Vorgang, bei dem sich etwas verviel­fäl­tigt, in der Sozio­logie bedeutet er aber auch, dass etwas aufrecht­erhalten wird. Es entsteht also etwas Neues, das gleich­zeitig einen Zustand verviel­fäl­tigt, also genauso wieder­holt. Das Neu-Repro­du­zierte ändert gewis­ser­maßen nichts. Aber so einfach ist es natürlich nicht, denn die Repro­duk­tion in Pethkes Film erzeugt im Leben der drei Frauen zwar Ähnlich­keiten, aber in jeder Gene­ra­tion sind auch deutliche Verän­de­rungen zu sehen.

Neben der persön­li­chen Geschichte skizziert der Film auch ein Bild von 100 Jahren Frauen in der Kunst, und das immer im Umfeld der HfbK, ihrer Archi­tektur und dem Städtebau in Hamburg. Das Haupt­ge­bäude der Hoch­schule und seine Geschichte bilden den Zusam­men­halt, das Gebäude führt quasi teilweise Regie, weil Pethke seine Blick­len­kung übernimmt und es in ihre filmi­schen Bilder übersetzt, um die Wirkung des Gebäudes einzu­fangen. Der Architekt und Stadt­planer Fritz Schu­ma­cher, der in Hamburg zahl­reiche bekannte Gebäude, wie z.B. die Davids­wache, gebaut hat, hat 1911-1913 den Kunst­hoch­schulbau ganz reprä­sen­tativ und herr­schaft­lich an einen Kanal gesetzt. Für Schu­ma­cher war das Bauen und das Einbe­ziehen von Malerei und Bild­hauerei in die Gebäude eine Reform des Lebens und der Kunst; seine Archi­tektur bewegt sich zwischen Histo­rismus und Neuem Bauen, all das sieht man an und in der HfbK.

So betreten wir die Hoch­schule in den 40er Jahren mit Rosemarie, mit Maria in den 70er Jahren und mit Katharina Anfang des 21. Jahr­hun­derts. Wir bewegen uns durch Film­auf­nahmen und Fotos dieser Zeit, aber auch durch die Zeich­nungen der beiden ersten Gene­ra­tionen und durch Katha­rinas eigene Arbeit: den Film, den wir sehen. Diese Geschichten werden klug mit denen der Hoch­schule verwebt und dem Gebäude, den Kunst­werken, z.B. »Die ewige Welle« (1911-1918) von Willy von Beckerath in der Aula der HfbK. 1992 hat sich die Profes­sorin Marina Abramović in einer Arbeit damit ausein­an­der­ge­setzt und jetzt, gerade während des Filmdrehs, die Profes­sorin Michaela Melián mit Studie­renden. Das Bild oder die Bilder­reihe selber zeigt gewis­ser­maßen symbo­lisch auch »Repro­duk­tion«, nämlich den Aufstieg und Fall einer Kultur­epoche durch einen Helden und der stetigen Wieder­ho­lung dieses Vorganges. Daneben gibt es u.a. eine »Mutter-Kind-Gruppe« (1912) des damaligen Profes­sors Richard Luksch in einem Gang, die eine Mutter­figur zeigt, die von ihren drei Kindern geschützt wird. Ein Jahr zuvor hatte seine Frau, die Künst­lerin Elena Luksch-Makowsky, zu diesem Zeitpunkt bekannter als ihr Mann, die Skulptur »Frau­en­schicksal« (1910/11) gemacht, die auch durch Schu­ma­cher 1926 im Hamburger Stadtpark aufge­stellt wurde. Zu sehen ist eine Frau, die durch ihre drei Kinder (das Ehepaar hatte drei Kinder) auf den Boden gedrückt wird, thema­ti­siert wird also die Doppel­be­las­tung als Künst­lerin und Mutter. Alleine an diesen beiden Skulp­turen, aber auch an der Geschichte des Paares zeigt sich das ganze Problem und auch, inwiefern es struk­tu­rell verankert ist, sich gesell­schaft­liche Struk­turen auch in der Kunst abbilden. Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, wie Pethke in ihrem Film klug an Verknüp­fungen mehrerer Ebenen und Geschichten arbeitet, histo­ri­scher und gegen­wär­tiger. Und davon gibt es noch zahl­reiche mehr.

Sind Kunst­hoch­schulen progres­sive Orte, Vorreiter oder doch ein Bild bürger­li­cher Trägheit? Wenn man sich »Die ewige Welle« ansieht, scheint zumindest von Beckerath von einer zykli­schen Bewegung auszu­gehen, was aber gleich­zeitig nicht bedeutet, dass man immer am selben Ausgangs­punkt startet, das zeigt auch Pethkes Film: man baut auf etwas auf, und wenn Maria sagt, dass ihr Lebens­ent­wurf ihre größte und wich­tigste Arbeit ist, dann ist das einer­seits bitter, weil sie damit keine Preise gewinnt (mal verein­facht ausge­drückt), auf der anderen Seite hat sie etwas an ihre Tochter weiter­ge­geben – und sicher auch anderen Menschen –, die darauf aufbauen können. Viel­leicht ist also der Held in von Becke­raths Bild schon lange eine Frau, divers oder eine Gruppe.