Red Rooms

Les chambres rouges

Kanada 2023 · 118 min.
Regie: Pascal Plante
Drehbuch:
Kamera: Vincent Biron
Darsteller: Juliette Gariépy, Laurie Babin, Elisabeth Locas, Natalie Tannous, Maxwell McCabe-Lokos u.a.
Red Rooms
Konstrukteurinnen des Bösen: die Zuschauerinnen
(Foto: 24Bilder)

Wenn Mörder zu Superstars werden

Pascal Plante zeigt in »Red Room« eine beeindruckende Auseinandersetzung mit der Psyche von Serienkiller-Groupies, die letztlich zur Höllenfahrt wird

Mörder, Verbre­chen und Gewalt­taten: Kaum ein anderer Themen­kom­plex ist multi­me­dial derzeit so präsent, seien es True-Crime Podcasts, Bücher oder Fern­seh­se­rien wie »Dahmer«. Die Faszi­na­tion für »das Böse« kennt dabei kaum Grenzen. Wie schnell eine solche Faszi­na­tion zur Beses­sen­heit werden kann, ist der Leitfaden von Red Rooms. Der Québec-kana­di­sche Regisseur Pascal Plante nimmt sich dabei jene Groupies zum Vorbild, die bereits in den 70er Jahren den ameri­ka­ni­schen Seri­en­mörder Ted Bundy anhim­melten. Bei ihm im Mittel­punkt stehen Kelly-Anne (Juliette Gariépy), ein Model mit einer Affinität für IT-Sicher­heit und Online-Glücks­spiel, sowie Clemen­tine (Laurie Babin), eine mittel­lose junge Frau, die sich mit Kelly-Anne anfreundet. Die beiden verfolgen als Zuschaue­rinnen im Gerichts­saal den Mord­pro­zess gegen Ludovic Chevalier (Maxwell McCabe-Lokos), campieren dafür sogar nachts vor dem Gebäude. Auf unter­schied­liche Art und Weisen sind sie besessen von Chevalier – dessen Schuld bereits vor dem Prozess bewiesen zu sein scheint.

Plante fokus­siert vor allem auf die Persön­lich­keiten der beiden jungen Frauen und ihre »Beziehung« zu Chevalier. Clemen­tine ist von seiner Unschuld überzeugt, erklärt die erdrü­ckende Beweis­last mit Justiz­irrtum und Kalkül. Kelly-Anne hält eine rationale Fassade aufrecht, während sie im Darkweb Videos der Taten, die während des Prozesses als Beweis­mittel gezeigt werden, konsu­miert und für eines davon im titel­ge­benden Red Room mit Bitcoins bei einer Auktion bietet. Obwohl recht schnell klar ist, dass Chevalier schuldig ist und die beiden Frauen in ihrer Beses­sen­heit einen verklärten Blick auf den Prozess haben, schafft Plante das Kunst­stück, die beiden nie zu Witz­fi­guren zu machen oder sie zu dämo­ni­sieren. Wenn Clemen­tine bei einer Fern­seh­talk­show anruft, in welcher Chevalier als Monster betitelt wird, die Gäste beleidigt und anschließend von ihnen verhöhnt und bedauert wird, sollen wir sie als Opfer sehen. Die Ambi­va­lenz in der Darstel­lung der Figuren lässt jedoch die Frage offen, woher der blinde Fana­tismus für einen kalt­blü­tigen Mörder kommt. Ist es der Drang nach mensch­li­cher Nähe? Eine Außein­an­der­set­zung mit den eigenen Dämonen? Eine inhärente psycho­so­ma­ti­sche Störung? – Eine klare Antwort bleibt Plante dem Zuschauer zumindest in Teilen schuldig, doch gibt er ihm genug an die Hand, um sich selbst ein Bild zu machen.

Diese Außen­sicht auf seine Figuren behält Plante den gesamten Film über bei und verzichtet gleich­zeitig darauf, dem Zuschauer das Denken abzu­nehmen. Der Prozess wirkt nahezu doku­men­ta­risch. Ohne viele Schnitte tragen die Anwälte jeweils ihre Eröff­nungs­plä­doyers vor. Chevalier indes entzieht sich dem Zuschauer als handelnde Figur. Hinter Glas wortlos im Gerichts­saal sitzend, kann er kein Vehikel für Hass werden, ist mehr ein still verhar­rendes Objekt. Sein Anwalt hat fast schon gute Argumente pro reo, die zumindest zu Beginn des Films plausibel erscheinen.

Auf die Darstel­lung visueller Gewalt verzichtet Plante ebenfalls. Während die Figuren den Videos der Gräuel­taten ausge­setzt sind, bleibt dem Zuschauer eine Geräusch­ku­lisse außerhalb des Gerichts­saals und per Laut­spre­cher aus dem Computer, sowie die Reak­tionen auf den Gesichter im Gerichts­saal. Beides gibt genügend Aufschluss über den Inhalt. Bilder, die länger und eindring­li­cher im Kopf bleiben als jeder Splatter-Effekt. Die unter­schied­li­chen Reak­tionen der Betrachter im Film vertieft die ambi­va­lente Figu­ren­zeich­nung. Wir sehen Ekel, Bestür­zung und Schock, stell­ver­tre­tend für die gebotene Lesart des Darge­stellten. Genauso jedoch gibt es auch die Obsession, für die hier die Grenze der Faszi­na­tion über­schritten wird und eine unauf­halt­same Höllen­fahrt entfacht, die Katharsis zu verspre­chen scheint.

Mit Red Rooms insze­niert Pascal Plante einen inten­siven Film, der durch seine Figuren und Hand­lungs­struktur bis zum Ende komplex bleibt. Anstatt eines simplen whodunits stellt der Regisseur den psychi­schen Umgang mit Mördern in den Vorder­grund und fordert den Zuschauer heraus, dem Bösen genauso viel Aufmerk­sam­keit zu schenken, wie es seine Figuren tun. Red Rooms sticht aus einem sonst oft über­la­denen Genre heraus, und gibt ihm überdies ein völlig neues Gesicht.