Rumänien/Ö 2010 · 87 min. Regie: Bogdan George Apetri Drehbuch: Bogdan George Apetri, Tudor Voican Kamera: Marius Panduru Darsteller: Ana Ularu, Andi Vasluianu, Ioana Flora, Mimi Branescu, Timotei Duma u.a. |
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Schnörkellos, atemlos: Ana Ularu |
Eine Frau auf Freigang. Matilda heißt die Hauptfigur in diesem Film, und wir, die Zuschauer, sind ganz auf ihrer Seite. Sie hat einen Tag in Freiheit, aber sie will nicht wieder zurück ins Gefängnis. Sie will nur weg, weg, weg, ein neues Leben anfangen, fern von diesem Land. Sie kommt aus Rumänien.
Die Nachricht ist nicht neu: In Osteuropa ticken die Uhren anders, nicht im Takt, nicht aufeinander abgestimmt, sondern die eine rasend schnell, die andere sehr viel langsamer, fast unbeweglich, und bei manchen scheint der Zeiger dauernd sein Tempo zu verändern.
Diesen Eindruck hat man insbesondere derzeit von Rumänien. Hier, im Land, das der Welt schon den Grafen Dracula und den Absurdisten Ionesco mit seinen Nashörnern geschenkt hat, erscheint der Osten so wild wie nirgends sonst in Europa. Von Chaos und Barbarei sprechen die einen, von der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« die anderen: Im Schatten der Finanzmarktkrise hat man dort gerade mal den Staatspräsidenten abgesetzt, von Staatsstreich spricht die eine Seite, von Verfassungsbruch die andere, der Machtkampf zwischen den Verfassungsorganen, zwischen Rechts und Links ist gerade wieder einmal in vollem Gang.
Dazu die Wutbürger: Popmusiker unterstützen mit rebellischen Songs die Proteste der Zivilgesellschaft: Etwa die Protesthymne »Jos Toti! (Rampapapam)« vom »Komödiantischen rumänischen Nachrichtendienst«, eine clevere Cover-Version des Rihanna-Skandalsongs »Man down«, die unter anderem folgende Zeilen enthält:
»Politik ist gefährlich/ das System ist korrupt/ ... anormal anormal anormal/ kriminell, kriminell, kriminell/ colossal, infernal, demential/ kriminell,
kriminell, kriminell ›Nieder mit der Politik! Jedenfalls mit dieser!‹«
Was für ein Land: Rumänien ist der einzige Staat Osteuropas, wo der Staatssozialismus nicht von selbst implodierte, sondern erst nach einer blutigen Revolution zusammenbrach: Wer hätte nicht noch die Bilder von Ceausescu im Gedächtnis: gestikulierend und »Bleibt ruhig! Bleibt ruhig! Ruhig!« rufend auf dem Balkon des Parteihauptquartiers in Bukarest, wenig später dann beim kurzen Schauprozess und der Hinrichtung, vor den Kameras des Fernsehens die Internationale singend.
Bis heute ist das Erbe dieser blutigen Tage im Dezember ‘89 und all der brutalen Geschichten, die es begleiten, von marodierenden Agenten der gefürchteten Securitate, von den entsetzlichen Zuständen in Kinderheimen, von Hungersnot und grauenhafter Armut im Land präsent. Auch eine Verschwörungstheorie fehlt nicht – vielleicht hat ja die Securitate selber ihren Schöpfer Ceausescu gestürzt, um mit Einverständnis von Gorbatschow die Macht zu übernehmen, und bis heute heimlich zu kontrollieren?
Rumänien ist anders. Dort sprechen die Menschen eine romanische Sprache, als einzige im Osten. Die Rumänen haben zahlreiche bedeutende Künstler und Intellektuelle hervorgebracht, von denen viele jedoch erst im Ausland, vor allem in Frankreich, zu Ruhm und Ansehen gelangten: Tristan Tzara, Constantin Brancusi, Emile Cioran und Mircea Eliade verbanden allesamt Tradition und Avantgarde.
So sonderbar es klingen mag, aber für das Kino sind die Verhältnisse in Rumänien offenkundig ein Segen: Vor fünf Jahren gewann Cristian Mungiu mit seinem Abtreibungsdrama 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage die Goldene Palme von Cannes – und seitdem sprechen alle vom rumänischen Filmwunder.
Auch Bogdan George Apetris Debütspielfilm Periferic, der jetzt in die deutschen Kinos kommt, besitzt alle Tugenden dieser »Neuen Welle« des rumänischen Kinos: Genaueste, geduldige Beobachtung von Figuren und ihrer Situationen, zugleich deren clevere Zuspitzung bis hin zu einem klaustrophobischen Szenario aus langen Gängen, engen Räumen. Und zu eindringlichen Begegnungen Matildas mit einem Ex-Mann, mit ihrem Sohn, den sie lange nicht gesehen hat – und das alles immer unter Zeitdruck. Denn die Frau ist ja schon quasi auf der Flucht.
Ihr Weg soll sie ans Meer führen, aber zunächst führt er sie aus der Hauptstadt Bukarest hinaus in die Periferie eines unspezifischen Umland, zurück in die Vergangenheit einer verdrucksten Familie. Es gibt Streit, es geht natürlich um Geld und um Schuld, um unverarbeitete Verletzungen. Auch Schuld, auch Traumata sind Waren mit denen man bezahlt und handelt, es gibt auch eine Warenwelt der Gefühle.
Der Film ist sensibel, nimmt sich Zeit für seine Figuren, und ist trotzdem spannend und intensiv, kurzweilig, und mitunter dann plötzlich von einer absurden Situationskomik. Die Charakterstudie mischt sich mit einem klaren gesellschaftlichen Porträt von Rumänien im Jahr 22 des Post-Kommunismus. Apetris Rumänien ist schmutzig und korrupt, ein böser trister Ort. Aber der Regisseur moralisiert nie, er zeigt einfach.
Vor allem ist Periferic eine Tour de force für die beeindruckende Hauptdarstellerin Ana Ularu, die sich als heroische Anti-Heldin Matilda mit einer hypnotischen Verbissenheit und Sturheit durch die Szenen ihres Weges zur persönlichen Befreiung arbeitet. Das rumänische Kino ist zu großen Teilen auch ein Kino der Frauen und ihres Überlebenskampfes in einer patriarchalischen, immer noch gewalttätigen Gesellschaft.
Das passt auch zum schnörkellos-atemlosen Stil der Inszenierung. Auch dies kennt man von anderen rumänischen Filmen: Hektik, Dynamik, Anspannung sind hier Trumpf. Und im Gegensatz zu manchem rumänischen Kollegen verweigert sich Apetri auch allzu metaphernschweren und symbolbehaften Bildern.
So fügt sich Periferic in das Format der realistisch grundierten Außenseiterstudien, die mit ihrer Absage an die Illusionsmaschine Hollywood, aber auch an die Bevormundung durch das plump-sozialkritische Kino früherer Zeiten, mit ihrem Vertrauen auf die Bilder den Rumänien-Kinoboom ausgelöst haben. Ein spannender Film aus der Peripherie der europäischen Gegenwart.