Rich Flu

Spanien 2024 · 117 min. · FSK: ab 12
Regie: Galder Gaztelu-Urrutia
Drehbuch: , ,
Kamera: Jon D. Domínguez
Darsteller: Mary Elizabeth Winstead, Rafe Spall, Lorraine Bracco, Dixie Egerickx, Timothy Spall u.a.
Rich Flu
Verdrehte Welten...
(Foto: Leonine)

Fuck the Rich

Galder Gaztelu-Urrutia führt ein starkes Gedankenspiel in packende, schwarz-satirische Abgründe, verliert sich im zweiten Teil seines Films jedoch in plakativer, aktivistischer Moral

»Friede macht Reichtum, Reichtum macht Übermut, Übermut bringt Krieg, Krieg bringt Armut, Armut macht Demut, Demut macht wieder Frieden.«
Johann Geiler von Kaysers­berg

Es ist eins dieser Gedan­ken­spiele, das jeden schon einmal umge­trieben haben dürfte, der mit der Vertei­lung des Reichtums dieser Welt und dem sich seit Jahren weltweit weitenden Graben zwischen Reich und Arm seine Probleme hat. Fantasien über die Umver­tei­lung der Welt, die gar nicht kompli­ziert sein müssen, nimmt man an, dass es möglich ist, die Reichen einfach auszu­lö­schen. Das ist meistens eine schmut­zige Sache, denke ich etwa an meine eigenen aus Sozi­al­neid gespeisten Fantasien. Doch der spanische Regisseur Galder Gaztelu-Urrutia, der mit seiner dysto­pi­schen SF-Fantasie Der Schacht 2019 zahl­reiche Preise gewonnen hat, zeigt, dass es eine erheblich sauberere Lösung geben könnte. Ein Virus, das so elegant wie das Corona-Virus gnadenlos um die Erde wandert, aber nur die Reichen befällt und innerhalb kürzester Zeit die Zähne blau aufleuchten lässt, das erste und einzige Symptom der Infektion und ein Anzeichen dafür, dass der Betrof­fene nicht mehr lang zu leben hat.

Eine ameri­ka­ni­sche Produk­tion hätte diesem dysto­pisch-utopi­schen Gedan­ken­spiel sicher­lich eine wissen­schaft­liche Erzäh­le­bene verliehen, die auch Gaztelu-Urrutias Films gut getan hätte. Denn nach der ersten Hälfte von Rich Flu geht Gaztelu-Urrutia, der mit Pedro Rivero, David Desola und Sam Steiner auch das Drehbuch geschrieben hat, die satirisch und überaus böse Puste aus.

Bis dahin führt Gaztelu-Urrutia aller­dings sein über­zeu­gend aufspie­lendes Ensemble souverän ein, allen voran die von Mary Elizabeth Winstead gespielte Laura, die als leitende Ange­stellte einer Streaming-Plattform massive Probleme hat, zwischen ihrem Ex-Mann Tony (Rafe Spall), ihrer Tochter Anna (Dixie Egerickx) und ihrer Karriere die »richtigen« Prio­ri­täten zu setzen und völlig unver­hofft zu dem Vermögen kommt, von dem sie immer geträumt hatte, um dann fest­zu­stellen, was schon Michael Ende wusste: »Es gibt Reich­tümer, an denen man zugrunde geht, wenn man sie nicht mit anderen teilen kann.« Und auch mensch­lich geht es bergab, was Laura natürlich hätte wissen können, hätte sie den großen Erasmus von Rotterdam gelesen, den ersten Intel­lek­tu­ellen der Neuzeit, der schon um 1500 herum wusste: »Doch der Besitz verschafft Freunde. Das gebe ich zu; aber falsche, und er verschafft sie nicht dir, sondern sich.«

Mit dieser Einsicht konfron­tiert und von einem bis dahin strin­genten apoka­lyp­ti­schen Szenario begleitet, muss auch Laura sich entscheiden und mit ihr der Film, der seinen einge­schla­genen Pfad samt seinem Personal ab diesem Zeitpunkt bedau­er­li­cher­weise verlässt. Statt weiter über die gesell­schaft­li­chen Miseren zu reflek­tieren und sich mit bösen Spitz­fin­dig­keiten unsere marode Welt und Moral vom Leib zu fanta­sieren, entscheidet sich Gaztelu-Urrutia für den fanta­sie­losen, plaka­tiven, akti­vis­ti­schen Weg; müssen die bis dahin ins Leid gestürzten Anti­helden fast schon christ­lich-hiobesk ihre Schuld durch Leid tilgen, um ins vermeint­liche Paradies zu gelangen. Das bedeutet für die Erzählung und die Moral der Geschichte, dass sich alles verkehrt. Ziehen die üblichen Verdäch­tigen über Lampedusa weiter in Richtung Norden, müssen sich die Reichen über Lampedusa nun auf den Weg nach Afrika machen, um zu überleben. Das geschieht nicht ohne melo­dra­ma­ti­sches Pathos und plumpe Wech­sel­spiel­chen wie etwa dem subsa­ha­ri­schen Kind, das jenes Essen mit den Weißen teilt, das die Weißen in unserer Gegenwart nie und nimmer teilen würden.

So geht es sehr vorher­sehbar bis zum Ende und in ein Paradies der Neuver­tei­lung der Armut, das einem irren Sekten­hirn entsprungen scheint und eine Moral verbreitet, die man aus schlechten Jugend­film kennt oder einer Werbung für Margarine, in der junge Menschen die vegane Sonne anlachen und die einzige Zukunft haben, die es noch gibt. Viel­leicht hätte Gaztelu-Urrutia für den zweiten Teil seines bis dahin über­zeu­genden Films dann doch besser einen Satz von Rabin­dra­nath Tagore beher­zigen sollen: »Am reichsten sind die Menschen, die auf das meiste verzichten können.«