Frankreich 1999 · 95 min. Regie: Catherine Breillat Drehbuch: Catherine Breillat Kamera: Yorgos Arvanitis Darsteller: Caroline Trousselard, Sagamore Stévenin, François Berléand, Rocco Siffredi u.a. |
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Begehrte Marie |
Das Gesetz des Begehrens ist mechanisch. Du willst mich nicht, also will ich Dich um so mehr, Du willst mich, also ziehe ich mich zurückso lautet der einfache Basissatz der komplizierten Selbstzerfleischungskonstruktionen, die die Menschen um ihre Sexualität errichten.
Marie (Caroline Ducey) erfährt dies gerade am eigenen Leib: »Obwohl ich ihn betrüge, bin ich eifersüchtig«. Denn ihr Freund Paul (Sagamore Stevénin) liebt sie, aber er schläft nicht mit ihr nicht weil er nicht kann, sondern weil er nicht will. Vielleicht ist es der Narzissmus des männlichen Models, den der Zuschauer in einer ersten, wunderbar lächerlichen Szene als Torero kostümiert kennenlernt, beobachtet von Maries höhnischem Blick. Vielleicht ist es auch ein Machtspiel mit der selbstbewußten Freundin, die so ganz das Gegenteil ist von den Hausfrauchen und Eheweibchen des Kino-Mainstreams. Und Marie nimmt sich, was sie will, dort wo sie es bekommt. »Haben« und »sein« sind die Verben, die die Schullehrerin im Unterricht wie im Leben konjugiert. »Ich will nur noch haben« weiß sie.
In Catherine Breillats Film spielt Marie die Rolle des Versuchstiers. Wie in einem Laboratorium wird sie immer neuen Situationen, Konstellationen und Versuchsanordnungen ausgesetzt. Die Männer, auf die sie trifft im Beruf, abends in Bars, auf der Straßesind Konstruktionen, sie stehen jeweils für ein Prinzip, eine typische Haltung. Im Aufeinandertreffen mit Marie enthüllt sich die Physik des Beziehungskampfes. Im Kern sind die Männer hier letztlich alle Sadisten. Weder Hingabe noch Zurückweisung sind passable Fluchtwege: lange sah man im Kino keine Frau so verletzlich, so den Anderen ausgeliefert, wie diese Marie. Als Machtapparat jenseits alles Institutionellen, dient den Männern bei Breillat ihr Penis: sowohl der, der sich noch der Frau verweigert, der ihn per Fellatio bedient, als auch der grandiose der Gelegenheitsbekanntschaft Paolo, des alter ego Pauls, der auch nur ein Prinzip verkörpert – genau das des „allzeit-bereit“, das Paul fehlt.
Das alles Macht ist, gerade in Bezug auf Liebe und Sexualität, hat schon Breillats Landsman Michel Foucault gezeigt. Bei Breillat, die sich bereits mehrfach in Filmen (am bekanntesten 36 filette und Sale comme un ange) und Romanen der weiblichen Sexualität annahm, hat diese aber ebensoviel wie mit Macht auch mit Selbstentmächtigung zu tun. »Sex ist metaphysisch« meint sie, und der innere Monolog ihrer Hauptfigur enthüllt eine intime Identitätssuche, die weniger individuell als repräsentativ ist. Eine Geschichte erzählt Romance nur am Rande, und für die individuelle Psychologie der Figuren interessiert sich die Regisseurin so wenig wie für Politik. Marie reist vielmehr durch Situationen wie die Autorin eines philosophischen Essays; ständig befindet sie sich in einer gefährdeten Balance zwischen aktivem Provozieren einer sexuellen Begegnung und passiver Hinnahme dessen, was dann geschieht.
In diesem Sinn ist Romance das, was man so »typisch französisch« nennt: verquatscht, intellektuell, kompromisslos auch in Künstlichkeit und Abstraktionsgrad seiner Figuren. Gleichzeitig ist Breillats Kino zwar kalt, aber nicht steril. In den weißen Räumen, den in klaren, sehr erlesenen Farben arrangierten Szenen zeigt sich nicht nur eine Schönheit der Bilder, es entsteht auch eine tiefere Intimität, als in vielen, betont »gefühlvollen« Momenten anderer Filme. In melancholischem Grund-Ton erzählt Breillat von Ekstase, Selbstentdeckung und ganz spezifisch-weiblichen Erfahrungen, die man als Mann nur ahnen kann oder von der anderen Seite her kennt, die hier jedenfalls die schlechtere und dümmere ist.
Zahllose Varianten sexuellen Verhaltens und Erfahrungen – inklusive Bondage-Ritualen, einer gynäkologischen Untersuchung durch Studentengruppen, bis hin zu einer Vergewaltigung – werden so in kühl reiner Ästhetik durchgespielt. Das japanische Kino stand sichtbar Pate, und die Regisseurin selbst betonte mehrfach für Romance vor allem von Nagisa Oshimas skandalträchtigem Im Reich der Sinne inspiriert worden zu sein. Aber man entdeckt auch christliche Metaphern: Marie selbstauch der Name scheint alles andere als zufällig gewählt erlebt man mehr als einmal als gefesseltes Opferlamm, eine ausgesetzte Unschuld, deren Reinheit durch nichts zu beschädigen ist außer durch ihre eigene Aktivität, durch die Verweigerung passiven Erduldens. Marie selbst will das Heft in der Hand behalten.
Die durchaus »expliziten« Sex-Szenen haben Romance den Ruf des Skandalösen eingetragen, in Australien wurde der Film verboten, sogar in Frankreich selbst von Feministinnenwegen »unkorrekter« Darstellung der Vergewaltigung – angegriffen. So unangemessen und letztlich dumm das ist, trifft diese Reaktion doch ins Herz des von der Regisseurin gemeinten: Nach wie vor lässt sich unsere Gesellschaft offenbar von nichts mehr provozieren, als von selbstbewußten, sexuell aktiven Frauen, deren Verhalten nicht moralisch geächtet wird. Wenn dann noch wie hier vor allem am Ende – archaische Rituale zum Thema werden, Sex und Gewalt, Geburt und Tod untrennbar verknüpft erscheinen, ist man schnell mit dem Zensurhammer zur Stelle.
Aber wirklich anstössig ist Romance nur, indem er gängige Schemata unterläuft, indem er dem Zuschauer bestimmte Bilder ungeschönt zumutet, und das Intimitäts-Tabu zum Thema hat. Ansonsten ist Romance ein harter unvoyeuristischer Film, klug und radikal, manchmal spröde, aber auch ironischeine Zumutung im bestmöglichen Sinn.