Spanien/USA 2024 · 107 min. · FSK: ab 12 Regie: Pedro Almodóvar Drehbuch: Pedro Almodóvar Kamera: José Luis Alcaine Darsteller: Tilda Swinton, Julianne Moore, John Turturro, Alessandro Nivola, Juan Diego Botto u.a. |
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Die Fotografie in der Mitte stammt von Cristina García Rodero aus dem Zyklus »España oculta« | ||
(Foto: Filmfestspiele Venedig | Pedro Almodóvar) |
Am Anfang steht eine zufällige Wiederbegegnung. Ingrid (Julianne Moore), erfolgreiche Autorin, gut 60 Jahre alt, stellt in New York ihr neues Buch vor, in dem es über ihre Angst vor dem Tod geht. Als sie im Anschluss an die Lesung einer Bekannten das Buch signiert, erfährt sie, dass ihre gemeinsame Freundin Martha (Tilda Swinton) an Krebs erkrankt ist. Betroffen beschließt sie, die einst enge Freundin im Krankenhaus zu besuchen.
Ingrid und Martha können den Faden ihrer Freundschaft wieder aufnehmen. Die Entwicklung der Krankheit lässt nach anfänglicher Hoffnung die Aussichten auf Heilung ungewiss werden, und Martha beschließt, weitere Therapien abzulehnen. Sie weiht die Freundin ein, um sie um den heiklen Gefallen zu bitten, im titelgebenden »Raum nebenan« zu sein, wenn sie sich die tödliche Pille aus dem Darknet verabreicht.
Nach einigem Zögern willigt Ingrid ein, Martha in das Ferienhaus zu begleiten: Wann genau sie den letzten Schritt machen wird, verrät sie nicht. Erst wenn die Tür zu ihrem Schlafzimmer morgens nicht mehr offen steht, wird es geschehen sein…
Almodóvar nähert sich der ethisch gewichtigen Frage um Verantwortung ohne große Umschweife. Der Film basiert auf dem Roman »What are you going through« von Sigrid Nunez aus dem Jahr 2020 (2021 unter dem Titel »Was fehlt dir« auf Deutsch erschienen). Ganz wie im Roman werden bei Almodóvar die letzten Dinge sehr leicht genommen. Das legen manche dem Regisseur als frivol aus, zeihen ihn der Leichtfertigkeit und der Oberflächlichkeit.
Gewiss, Almodóvar bedient sich auch in seinem ersten englischsprachigen Langfilm der inszenatorischen Kunstgriffe, die er sich in seinem weit über 20 Filme umfassenden spanischen Schaffen erarbeitet hat. Das bedeutet eine bis ins letzte Ausstattungsdetail kontrollierte Farbdramaturgie und komplett durchdesignte Einstellungen, in denen jedes Möbel, jedes Buch, jedes Kunstwerk in den Interieurs mit großer Sorgfalt arrangiert ist: man kann den darin ausgestellten Wohlstand deplatziert finden und damit den luxuriösen Lebensstil obszön angesichts von Krankheit und Tod. Doch die Entscheidung für den an die großen Kino-Melodramen Hollywoods erinnernden Look ist eine durch und durch ästhetische, und das nicht in dem Sinn, dass es sich um bloße Äußerlichkeiten und Vermeidung von Tiefgang handelte. Gewissermaßen ist Almodóvar, der sich seit jeher den großen Melodramen Douglas Sirks verbunden fühlt, in dieser prestigeträchtigen amerikanischen Produktion nun zu sich gekommen. Die Tendenz seiner letzten spanischen Filme, die grellen und schrillen Töne der movida-bewegten Anfänge immer mehr zurückzufahren, setzt sich hier fort. Queere Verweise finden sich allenfalls am Rande (die schwulen Karmelitermönche in einer der Rückblenden, die Martha als Reporterin in einem Kriegsgebiet zeigen, die Ménage-à-trois der Malerin Dora Carrington mit ihrem Ehemann und dessen schwulem Verehrer in Ingrids Schreibprojekten).
Aber es besticht vor allem die Meisterschaft, mit der Almodóvar die Mittel des konventionellen Erzählens handhabt, die ihm zur zweiten Natur geworden sind. Die Selbstverständlichkeit etwa, mit der in umstandslosen, vollkommen ungekünstelten Rückblenden Storyelemente der Vergangenheit der Figuren eingebracht werden, gibt Sicherheit und Vertrauen.
Man kann förmlich von einer klassischen Dämpfung sprechen, mit der er die ihm sonst eigene melodramatische Expressivität (wie in Alles über meine Mutter oder Julieta, gerade was die Rollen der Mütter betrifft) verweigert. Diese Souveränität der Hand des Regisseurs strahlt eine Gelassenheit und Abgeklärtheit aus, die angesichts des schweren Themas schlichtweg wohltuend ist. Dass er die hässlichen physischen Details von Krankheit ausblendet, ist keine Feigheit, sondern eine bewusste Entscheidung, sie uns zu ersparen. Der Schmerz muss nicht immer durch miserabilistische Drastik beglaubigt werden.
Die souveräne Haltung ist genau die, die Tilda Swintons Figur Martha in ihrer Entscheidung über ihr eigenes Leben und damit über ihren Tod beansprucht. Dass die Möglichkeiten, die den Figuren hier gegeben sind, sich ihrem Wohlstand verdanken, hat nichts mit einem eventuellen Zynismus zu tun. Man sollte eher den durch die Kunst umfriedeten Bezirk eines den materiellen Bedrängnissen enthobenen Freiraums als tröstlichen Vorschein lesen. Almodóvars klassische Regiekunst und die großartige Performance der Schauspieler*innen (nicht nur Tilda Swinton und Julianne Moore glänzen, auch John Turturro als Ex-Lover beider Freundinnen) bieten einen verlässlichen und verbindlichen Rahmen, in dem die Figuren in ihrem Leiden aufgehoben sind, ebenso wie die Zuschauer*innen in ihrer solidarischen Anteilnahme.
Hervorhebenswert ist neben der Entdramatisierung die radikale Diesseitigkeit, mit der hier dem Tod begegnet wird. Metaphysische Spekulationen über das Danach werden ausgespart, sie mögen in den vielen Verweisen auf die Kunst verborgen sein, mit denen Ingrid und Martha ihr Leben füllen. Doch dient diese den Figuren nicht zur Hervorbringung kalenderspruchartiger Lebensweisheiten, sondern einer gemeinsamen Kultur der Selbstsorge und der Freundschaft. Und nicht zuletzt davon zeugt Almodóvars Film, der mit The Room Next Door seine Meisterschaft des Melodrams weiter verfeinert hat.