Niederlande/D 2019 · 90 min. · FSK: ab 0 Regie: Mischa Kamp Drehbuch: Tamara Bos Kamera: Melle van Essen Darsteller: Vita Heijmen, Beppie Melissen, Noortje Herlaar, Guido Pollemans, George Tobal u.a. |
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Kinderfilm fernab geläufiger Stereotypen (Foto: Farbfilm) |
Dass Themen für Erwachsene durchaus auch kinderfilmtauglich sein können, möchten die meisten Eltern gar nicht hören. Man denke nur an die Buh-Rufe aus der Elternschaft, als Henry Selicks Coraline in die Kinos kam, oder Joya Thomes Königin von Niendorf. Und nun Alzheimer, das man eh lieber gleich der Krankheit entsprechend vergessen möchte und wenn, dann bitte von großartigen Regisseuren verarbeitet sehen will und gesehen hat. In Sarah Polleys tollem Regiedebüt An ihrer Seite (2004), in Richard Glatzers und Wash Westmorelands Still Alice – Mein Leben ohne Gestern (2014) oder in Paolo Virzis Das Leuchten der Erinnerung (2017). Aber Alzheimer für Kinder? Geht gar nicht.
Dass es doch geht und zwar sehr gut, zeigt die holländische Produktion Romys Salon nach dem auch ins Deutsche übersetzten Kinderbuch von Tamaro Bos, die sich auch des Drehbuchs angenommen hat. Bos und der Regie unter Mischa Kamp gelingt dabei, was nur wenigen deutschen Kinderfilmen gut gelingt – sowohl angenehme als auch weniger angenehme Realitäten so zu inszenieren, wie sie tatsächlich sind: In diesem Fall sind das Eltern, die getrennt leben und sich trotzdem irgendwie verstehen, und die nicht als konstruiertes, überspieltes Blödelpaar durch eine Legolandwelt stolpern müssen. Und eine Großmutter (Beppie Melissen), die erst einmal gar keine Lust hat, sich um ihre Enkelin Romy (Vita Heijmen) zu kümmern, weil ihre Tochter durch eine neue Arbeitsstelle weniger Zeit hat, sich nach der Schule um Romy zu kümmern. Eine Großmutter, der einfach ihre Arbeit in ihrem eigenen Friseursalon wichtiger ist, als sich um ein nervendes, 10-jähriges Mädchen zu kümmern.
Fernab geläufiger Stereotypen entwickelt Kamp eine zarte Beziehungsgeschichte zwischen Großmutter und Enkelin, die sich Zeit lässt, auch auf die Zwischentöne zu hören. Es ist nicht nur großartig zu sehen, wie Vita Heijmen in ihrer Rolle als Romy schauspielerisch die schwierige Gratwanderung zwischen Zuneigung und Hilflosigkeit meistert und der zunehmenden Verwirrung ihrer Großmutter Stine mit dem begegnet, was ein Kind in diesem Alter nur hat – nämlich ihren eigenen Bezugsrahmen und mehr nicht, und die auch verzweifelt sein darf, wenn sie nicht mehr weiter weiß. Und es ist auch großartig neben Heijmen Beppie Melissen als Großmutter Stine zu sehen, die die langsame, dann wieder sprunghafte Alzheimer-Degenerierung in ihrer ganzen zermürbenden Banalität ausspielt, so dicht an der Krankheit, dass man immer wieder schlucken muss.
Letztendlich ist Kamps Film aber auch ein Plädoyer dafür, eine Krankheit wie Alzheimer nicht zu stigmatisieren, sondern sie auch als Chance zu begreifen. Dass das für die alten Beziehungen, wie der zwischen Stine und ihrer Tochter Margot viel schwieriger ist als für die sich gerade etablierende zwischen Großmutter und Enkelin, zeigen Kamp und Bos ebenso präzise, wie auch die ungewöhnliche Perspektive auf Alzheimer. Denn ohne die einsetzenden Vergesslichkeiten, die Stine mehr und mehr Probleme bei der Abrechnung im Friseur-Salon machen, und die zunehmende tatkräftige Unterstützung durch Romy wäre die sich intensivierende Großmutter-Enkelin Beziehung wohl erst gar nicht möglich gewesen.