Italien 2012 · 98 min. Regie: Giuseppe Piccioni Drehbuch: Giuseppe Piccioni, Francesca Manieri Kamera: Roberto Cimatti Darsteller: Margherita Buy, Riccardo Scamarcio, Roberto Herlitzka, Silvia D’Amico, Davide Giordano u.a. |
||
Ein Lehrerfilm. |
Die Schulzeit ist ein Lebensabschnitt, in dem sich die Persönlichkeit eines Menschen bereits stark herausformt, seine Zukunft jedoch noch vollkommen offen ist. Von vielen als ein notwendiges Übel erlebt, wird die Schule im Nachhinein gerne verklärt. Spätestens, wenn jemand ins Arbeitsleben eingetreten ist, erscheint ihm seine Schulzeit im Rückblick oftmals als die sorgenfreiste und deshalb als die schönste Zeit im Leben. Dabei wird gerne vergessen, dass man damals ebenfalls Probleme hatte, die einem sehr ernst erschienen.
Jedenfalls üben Filme über die Schulzeit eine besondere Faszination aus, da diesen Ort jeder Kinogänger aus eigener Erfahrung kennt. Gerade für junge Zuschauer bergen diese Filme oftmals ein hohes Identifikationspotential, was eine ganze Reihe an Kultfilmen belegt. So zeigte in den 80er-Jahren Der Frühstücksclub (1985) wie problematisch diese Zeit oft von den Schülern erlebt wird, während Der Club der toten Dichter (1989) die Schule als Ausgangspunkt für ein Leben der freien Selbstentfaltung zelebrierte.
Rot und Blau wendet sich vorrangig an ein erwachsenes Publikum. Dementsprechend ist die Perspektive umgekehrt: In seinem charmanten Film zeigt der italienische Filmemacher Giuseppe Piccioni die Schule aus der Sicht der Erwachsenen in Gestalt der Lehrer. Das Drama demonstriert, dass nicht bloß die Schüler von den Lehrern lernen, sondern auch die Pädagogen von ihren Schützlingen. Dies entspricht der persönlichen Erfahrung des Autors und Lehrers Marco Lodoli, auf dessen Roman der Film basiert.
Rot und Blau beginnt damit, dass der junge idealistische Italienischlehrer Giovanni Precioso (Riccardo Scamarcio) an ein römisches Gymnasium kommt, an dem die meisten Schüler sehr desinteressiert und die Lehrer entsprechend demotiviert sind. Die vertrocknete Schulleiterin Giuliana Giovanni (Margherita Buy) versucht strikt die offizielle Schulordnung durchzusetzen. Jenseits des Unterrichts sind ihr die Schüler gleichgültig. Dem alten Kunstgeschichtslehrer Herrn Fiorito (Roberto Herlitzka) ist sowieso alles egal. Der suizidale Zyniker merkt noch nicht einmal, wenn er in der Klasse raucht.
Sie alle erfahren durch einzelne Schüler eine innere Veränderung, die zu einer persönlichen Weiterentwicklung führt. Dies schließt ein, dass der Gutmensch Precioso erkennt, dass vieles nicht so gut ist, wie er es gerne glauben würde. Überhaupt steckt Rot und Blau voller kleiner Überraschungen. Ohne penetrant auf originelle Wendungen zu setzen, weicht das Drehbuch immer wieder ein wenig von den Erwartungen des Zuschauers ab. Dies geschieht auf eine angenehm unaufgeregte Art, die einen großen Teil des Reizes des kleinen Films ausmacht.
Auch die Charaktere sind wesentlich komplexer, als in schablonenhaften Filmen, wie beispielsweise Words & Pictures (2013). Insbesondere die Figur des knorrigen Eigenbrötlers Fiorito sticht hervor. Der intellektuelle Misantroph macht gar keinen Hehl daraus wie sehr ihn in die meisten Menschen – und hier insbesondere die seiner Ansicht nach ignoranten Schüler – anwidern. Wenn er bei einem Elterngespräch seine miserable Meinung über den Sprössling des stolzen Vaters in möglichst unverständliche Worte kleidet, dann tut er dies nur scheinbar aus Rücksicht auf elterliche Gefühle. In Wahrheit freut er sich daran, auf diese Weise auch noch den Vater als ungebildet bloßzustellen.
In solchen äußerst amüsanten und zugleich ein wenig bösen Szenen offenbart sich der süßsaure Charme von Rot und Blau. – Der Filmtitel bezieht sich übrigens auf die Korrekturfarben italienischer Lehrer: Rot für große Fehler, Blau für weniger gravierende Fehler. Rot und Blau zeigt, wie man schlimme Situationen in ein wenig weniger schlimme verwandeln kann. Das wirkt wesentlich realistischer, als all die Euphorie auf Knopfdruck eins Hollywood-Standard-Produkts wie Words & Pictures.