Italien/F/D 2010 · 105 min. · FSK: ab 12 Regie: Claudio Cupellini Drehbuch: Filippo Gravino, Guido Iuculano, Claudio Cupellini Kamera: Gergely Pohárnok Darsteller: Toni Servillo, Marco D'Amore, Francesco Di Leva, Juliane Köhler, Leonardo Sprengler u.a. |
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Die Sehnsucht des Mafiosi nach Geborgenheit |
Die Mafia ist einer der Mythen, die das Kino so sehr liebt. Jede Menge schändliche Verwicklungen gibt es da zu enthüllen, zahllose Netze aus Familie, Verbrechen und Politik, die sich nie in ihrer Gänze offenlegen mögen. Das eine oder andere Stück im Puzzle wird immer fehlen – was für eine wunderbare Projektionsfläche für die Wunschmaschine Kino, wie viel Platz für tragische Helden und heroische Gangster! Kein Wunder, dass die meisten Filme, die sich mit dem Thema befassen, episch angelegt sind. Vermutlich führt ein sehr direkter Weg vom Familienfest in Der Pate zum seriellen Erzählen der »Sopranos«, beides sehr gelungene Versuche, ein großes Bild aus vielen einzelnen Mosaiksteinchen zusammenzusetzen.
Claudio Cupellini verzichtet in seinem Genrebeitrag auf die große Oper, er erzählt in sehr wohl gesetzten leisen Tönen von der umfassenden Verderbnis, die das organisierte Verbrechen denen zufügt, die an ihm teil hatten. Ein ruhiges Leben, was für ein tragischer Witz, will Rosario führen, er hat Renate geheiratet und ein italienisches Restaurant mit einer kleinen Pension aufgemacht in Biebesheim, einem rheinhessischen Kaff, nicht weit von Worms, Darmstadt, Wiesbaden, aber auch nicht wirklich nahe. Toni Servillo, der als »Il Divo« in Paolo Sorrentinos Andreotti-Film alle Mafia-Vorwürfe noch mit einer Art gelangweiltem Stoizismus an sich abprallen ließ, das zerfurchte Gesicht ein einziger, fleischgewordener Seufzer, strahlt eine kraftvolle Ruhe aus, die man wohl auch braucht in einer Restaurantküche, im Auge des Sturms. Oder als eiskalter Killer.
Nie in der ganzen Geschichte werden alle Details seiner Vergangenheit offen gelegt, die ihn heimsuchen kommt in der Gestalt zweier junger Kerle, des grüblerischen Diego und des impulsiven Edoardo. Für die Kellnerin Doris hat Edoardo den anziehenden Ruch der Fremde, die Ahnung der weiten Welt, der Rosario für immer entfliehen wollte. Diego ist sein Sohn.
Mit großer Präzision füllen die Darsteller den Raum, den ihnen das behutsam erzählende Drehbuch lässt. Diego trifft Mathias, den Sohn von Rosario und Renate, er braucht den Unterschlupf, den ihm sein Vater bieten kann, aber er will die Nähe nicht, die Rosario ihm aufzwingen will. Hinter Marco D’Amores glattem, abweisenden Gesicht tobt ein Kampf aus widersprüchlichen Emotionen, aus Hass, tief verschütteter Liebe – und Angst. Denn Diego ist in der Gegend, um einen Job zu erledigen.
Cupellini erzählt, meisterhaft unaufdringlich ineinander verwoben, zwei Geschichten gleichzeitig: Die einer Familie, die kaum weiß, dass sie eine ist und erst recht nicht, was ihre Mitglieder voneinander trennt. Einmal, als sie alle zum Tierheim fahren, um einen Hund für Mathias auszusuchen, trennen die spitz zulaufenden Wände der Käfigreihe Renate und ihren Sohn von Rosario und Diego wie ein riesiger, tödlicher Keil.
Und er liefert eine Studie des organisierten Verbrechens ab, seiner unteren Chargen zumindest, die von unsichtbaren Kräften gezwungen werden, von Stimmen am Handy oder vom über allem liegenden Schatten der Vergangenheit, der sie aus ihrem biederen Alltag zwingt. In Biebesheim am Rhein, da kann man nur dem Geschäftsführer einer Müllverbrennungsanlage auflauern, irgendwo unter einer schäbigen Eisenbahnbrücke, wo er jeden Tag mit dem Fahrrad vorbeifährt. Neapel oder New York liegen von hier aus auf einem anderen Planeten.
Natürlich kennt Cupellini sich aus mit den Standards des Mafiafilms, und als alle Fronten geklärt scheinen, lädt er jedes Bild mit einer unterschwelligen Bedrohung auf, die eine große Spannung schafft in der schlichten Umgebung, in Kleinfamilie und ländlicher Gegend. Vielleicht war es sogar so etwas wie ein Idyll – aber auf jeden Fall ist das, was Rosario hatte, unrettbar zerstört durch die beiden Gäste.
Sicher, der Film verschenkt die eine oder andere Möglichkeit, seine Geschichte zu einem zügigeren und dennoch nicht weniger kraftvollen Ende zu bringen, und die Frauenfiguren, allen voran Juliane Köhlers Renate, drängt er immer wieder arg an den Rand – aber, wir wissen es nicht erst seit Scorsese, die ehrenwerte Familie ist eben doch eine ziemliche Männergesellschaft. Und in den stärksten Momenten erzählt Cupellini von den Menschen in diesen Mördern.