Frankreich/Deutschland 2013 · 101 min. · FSK: ab 16 Regie: Claire Denis Drehbuch: Jean-Pol Fargeau, Claire Denis Kamera: Agnès Godard Darsteller: Vincent Lindon, Chiara Mastroianni, Julie Bataille, Michel Subor, Lola Créton u.a. |
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Nicht Ermittler, sondern Kapitän |
Dieser Film erfordert aufmerksames Sehen. Er beginnt am Ende einer schmutzigen Geschichte und erzählt von ihrem Hergang, deckt aber nur stückweise auf, was passiert ist – als wolle die Regisseurin Claire Denis den handlungsbestimmenden Dreckskerlen keine Minute an Überfluss schenken. Sie lässt Lücken im Geschehen, deren Inhalt der Zuschauer sich selbst zurechtlegen muss, und dazu sollten ihm die Bilder präsent sein, die mit golden leuchtendem Farbton ihren finsteren Inhalt herunterspielen: Ein Mann begeht Selbstmord, sein Schwager, ein Kapitän, verlässt sein Schiff um die verbliebene Familie zu trösten. Ein Geschäftspartner, erfährt er von seiner Schwester, sei schuld am Freitod des Mannes, und Rache wäre die angemessene Reaktion. Also verführt der Kapitän die aktuelle Geliebte eben jenes Geschäftspartners und durchstöbert parallel die Vergangenheit des Toten. Das erweist sich als sperrige Aufgabe, denn wer immer ihm Auskunft geben soll, ist verlogen, verschwiegen oder verwirrt.
Was der Kapitän bei seinen Untersuchungen allmählich herausfindet, ist eigentlich Stoff amerikanischer »hardboiled« Krimis: es geht um ein sexuelles Gewaltverbrechen von der grausigen Sorte, und um die Folgen, die so eine Tat nach sich zieht, also um Reue im besten Fall oder Weitermachen im schlechtesten. Ein Bild der Gesellschaft wird dabei genretypisch entworfen, und naturgemäß kein optimistisches. Das Böse, das hier wollüstig, sanft, korrumpierend daherkommt, das
Böse hat genügend Macht, um nicht ansatzweise einen Gedanken an Gesetz oder Moral zu verschwenden, denn die Gesellschaft, bei all ihrer ständig beschworenen Überwachungswut, lässt noch genauso viel Spielraum für die Verderbtheit wie je zuvor. Mit Geld müsse man diesen Spielraum erkaufen, soviel versichert zwar die Story von Les salauds, aber vielleicht liegt die Wucht des Films gerade darin, dass man den Eindruck gewinnt, im Grunde sei nicht einmal Geld dafür
notwendig – es reicht die schiere Skrupellosigkeit.
Eine andere Seite der sexuellen Bedrohung teilen die Frauen unter sich auf, aus deren Blickwinkel das allerdings Liebe heißt. Claire Denis zeigt junge und weniger junge Frauen, die sich auf ihre Leidenschaft konzentrieren und dafür jede warnende Regung ihres Verstandes ignorieren, auch wenn diese Liebenden alle, und das ist ein eher französischer Aspekt, den Denis da einbringt, tief in ihren Herzen wissen, was richtig und
was falsch ist, wo die Grenzen der emotionalen Unterwerfung liegen und die sexuellen auch. Der Einfluss des französischen Thrillers gehört dann unbedingt zum Ermittler, dessen großer Charme vor allem darin liegt, dass er gar kein Ermittler ist, sondern ein Kapitän. Wann hat man zuletzt einen Kapitän auf der Leinwand gesehen, einen Mann, der aus der Weite kommt und einen Hauch davon noch mit sich trägt, wie die Erinnerung an eine einst gelungene Flucht? Dazu trägt er weiße Hemden, dieser
Kapitän, um den Ladies den Kopf zu verdrehen, und für die Aufmerksamkeit der Männer fährt er einen minzgrünen alten Alfa, der ihm und dem Film die Gelegenheit gibt, auch mal eine Außenperspektive einzunehmen.
Was jeden von Claire Denis‘ Filmen so reizvoll macht, ist nicht nur ihre formale Unberechenbarkeit, ist bei Les salauds nicht nur der Inhalt, der stetig düsterer wird, je klarer man ihn erkennt. Es sind außerdem die Figuren, die diese Filme bevölkern. Denis schafft es jedes Mal, ihren Protagonisten eine sexuelle Präsenz mitzugeben, der sich niemand entziehen kann, nicht die Mitspieler, nicht die Zuschauer. Man spürt das Laster an ihnen oder jedenfalls ihre Begierden, und das Erstaunliche bei Les salauds wiederum ist die Bereitschaft, mit der sie allem nachgeben, was diese Begierde verlangt.
Die Kamera von Agnès Godard erkundet dabei ihre Gesichter, fast zärtlich zeigt sie die Härte, die Jugend wie Alter innewohnt, und man erkennt, wie die Kontur bei manchen in Attraktivität umschlägt, bei manchen in erschreckende Lüsternheit. Godard arbeitet heraus, wie jede Täuschung sich über das Mienenspiel der Figuren äußert, während ihre Körper sich selbstverliebt wie Playboys durch den Film bewegen. Denn letztlich sind hier alle hinter nichts anderem her als hinter ihrem persönlichen Vorteil, nur der Kapitän, der unwiderstehliche Vincent Lindon, sitzt noch dem klassischen Irrtum aller detektivisch bemühten Einzelgänger auf: dem Glauben nämlich, er könne irgendwann, für irgendwen, tatsächlich Gerechtigkeit herstellen.