Deutschland 2019 · 106 min. · FSK: ab 12 Regie: Michael Fetter Nathansky Drehbuch: Michael Fetter Nathansky Kamera: Leander Ott Darsteller: Gisa Flake, Christina Grosse, Marc Ben Puch, Bettina Grahs, Patrick Heinrich u.a. |
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Kann man etwas »aus Versehen« denken? | ||
(Foto: missingfilms) |
Am Anfang sieht man eine Totale. Der Blick kommt von fern, wie aus einer Überwachungskamera. Er zeigt in einer einzigen statischen Perspektive einen scheinbar ruhigen See, Wohnhäuser im Hintergrund und im Vordergrund eine Eisenbahnbrücke. Man muss schon sehr genau hinsehen, um aus der Ferne zu erkennen, dass in dem Augenblick, in dem ein Zug über die Brücke fährt, auch ein Mensch von der Brücke in den See stürzt. Oder springt, oder gestoßen wird – das erkennt man nicht genau.
Aber dieses so beiläufig eingeführte Ereignis bildet das Zentrum des folgenden Films. Was genau ist da eigentlich geschehen?
Im Folgenden ist die Kamera ganz nahe dran an zwei Schwestern. Sie heißen Moni und Silke, und sind in Schwierigkeiten. Moni (Christina Große) ist eigens aus Spanien nach Potsdam zurückgekommen, um ihrer Schwester Silke (Gisa Flake) zu helfen. Obwohl beide kein enges Verhältnis haben. Silke ist in Potsdam von der Havel-Brücke gestoßen worden, so erzählt sie, und dabei so übel zugerichtet, dass sie erstmal eine Halskrause tragen muss.
Nun suchen die beiden den Täter. Doch der hat seine eigene Perspektive. Und auch die Schwestern haben – genau besehen – sehr verschiedene Theorien über den Hergang. Drei Figuren. Drei Perspektiven auf das Geschehen.
Und die Wahrheit dahinter wird im Lauf des Films immer mehr zu einem Spiel mit wohlfeilen Lügen und hintergründigen Täuschungen: Was ist wahr, was ist falsch? Wer braucht tatsächlich wen und warum?
Kann es sein, dass Gewalt gegen andere immer die Folge einer nicht gelungenen Selbstliebe ist?
Ein großartiger Einblick in die Seelen von drei Verlorenen, die dennoch nicht aufgeben, zu suchen. Weil sie sich finden wollen – und sei es in der Seele der Anderen. Große
Philosophie trifft hier auf kleine Leute, ausgeklügelte filmische Täuschungsmanöver auf Realismus.
Dies ist dynamisch erzählt, und entfaltet eine bizarre Komik.
Sag du es mir, der inzwischen vielfach preisgekrönte Film des 1993 geborenen Potsdamer Filmstudenten Michael Fetter Nathansky vereint schnell gesprochene Berliner Mundart mit Tiefgang, Humor mit Suspense. Ein ungewöhnliches Debüt, über das Cosima Lutz im »Filmdienst« schrieb, als Berliner Wasser-Film müsse sich »Sag du es mir« hinter Christian Petzold Undine nicht verstecken – in manchen Aspekten sei das »der komplexere und poetischere Film«. Da hat die Kritikerin unbedingt recht.
Hinter dem etwas rätselhaften Titel dieses Debüts der Filmuniversität Potsdam verbirgt sich eine raffiniert aus unterschiedlichen Perspektiven erzählte, im Plattenbaumilieu der Potsdamer Havelbucht spielende Alltagsgeschichte. Regisseur Michael Fetter Nathansky entfaltet ein filmisches Vexierspiel, das aus dem Einerlei verschiedener Sichtweisen aufs gleiche Geschehen eine Weltsicht macht. Kann man etwas »aus Versehen« denken? Etwas tun, das man überhaupt nicht will?
Eine Komödie der Wahrheit. Die Regie schafft es, den Zuschauer dabei zum Komplizen zu machen. Am Ende erweist sich in diesem ebenso raffinierten, wie vergnüglichen Film alle vermeintliche Eindeutigkeit unserer Realität als trügerisch.