Deutschland/CH 2010 · 85 min. · FSK: ab 0 Regie: Sophie Heldman Drehbuch: Sophie Heldman, Felix zu Knyphausen Kamera: Christine A. Maier Darsteller: Senta Berger, Bruno Ganz, Barnaby Metschurat, Carina Wiese, Leonie Benesch u.a. |
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Anziehen zum letzten Akt |
Anita und Fred sind seit mehr als drei Jahrzehnten verheiratet. Glück, Krisen und Wiederversöhnung liegen längst hinter ihren. Alles geht seinen Gang, sie haben einen erwachsenen Sohn und eine erwachsene Tochter, das Abitur der Enkelin steht kurz bevor. Ihr Bungalow mit wohlgepflegtem Garten wirkt wie eine Festung bürgerlich kultivierter Behaglichkeit. Es scheint an nichts zu fehlen.
Sophie Heldmans Spielfilmdebüt Satte Farben vor Schwarz, zugleich
die Abschlussarbeit der Regisseurin an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb), dringt durch die Poren dieses großbürgerlichen Lebens und seziert dieses alte Paar – fernab von Wolke 9 und anderen, zur Zeit im Kino gepflegten irgendwie wohlgefälligen Bildern der »Best-Agers«.
Denn während sich Anita auf den gemeinsamen Lebensabend freut, ist Fred viel unruhiger. Es ist klar, das er – einst ein einflußreicher Manager – am liebsten weiter arbeiten würde, und auch sonst immer wieder eigene Wege gehen, aber dafür reicht die Kraft nicht mehr. Bald weiß man auch warum: Fred hat Prostata-Krebs.
Bruno Ganz und Senta Berger sind in der Rolle des alternden Ehepaars zu sehen, das sich Liebe bis in den Tod geschworen hat. Kurze Blicke und kleinste Gesten
erzählen die Geschichte des Paares und die einer Liebe, die in Alltagsdingen aufgeht.
Dies ist zunächst einmal eine intime Liebesgeschichte von älteren Leuten. Es ist damit zugleich ein wenig eine Reise ins Leben der alten Bundesrepublik – der Bungalow, die Wohnungseinrichtung, die Verhaltensweise der alten Leute ist definitiv westdeutsch. Und es ist zugleich die Geschichte eines dezidiert bürgerlichen Milieus, mit seinen Werten, aber auch seinen Grenzen: Man kann darin die Geschichte zweier extremer Hedonisten ebenso erkennen wie die Geschichte der auch ganz am Ende noch verpassten Emanzipation einer Ehefrau, die sich und ihr Leben immer im Verhältnis zu ihrem Mann definiert hat.
Fast eine Stunde lang seziert Heldmans intimes Kammerspiel den Alltag einer über 30 Jahre alten Ehe, die plötzlich aus dem Trott gerät. Das fügt sich in einen gewissen internationalen Kinotrend der letzten Zeit. Sowohl der neueste Film von Mike Leigh, Another Year als auch Woody Allens Ich sehe den Mann deiner Träume und sogar die neue Harrison Ford-Komödie Morning Glory spürt der Frage nach, wie man den Lebensabend glücklich verbringt.
Doch dann setzt der Film zu einer Provokation an, die man, erst recht in der Beiläufigkeit ihrer Inszenierung, im deutschen Film noch nicht gesehen hat: Das Ehepaar geht aus freien Stücken gemeinsam in den Tod. Das ist so schockierend wie nachvollziehbar, es erinnert an reale Fälle der jüngeren Zeit wie die gemeinsamen Tode des Ehepaars Von Brauchitsch in der Schweiz oder des französischen Philosophen André Gorz und seiner. Damit berührt Satte Farben vor Schwarz auch die aktuellen Debatten um das – moralische – Recht auf den Freitod, um Sterbehilfe und Palliativmedizin: Kein Zuschauer kann sich, wenn er diesen beiden stolzen Menschen, die voller Haltung und seltsam gehobener Stimmung zu ihrem letzten Abenteuer aufbrechen, noch vor der Frage drücken, wie er zum Verhalten der alten Leute steht.