Frankreich/USA 2021 · 82 min. · FSK: ab 0 Regie: Émilie Thérond Drehbuch: Émilie Thérond Kamera: Simon Watel Schnitt: Anne Lorrière, Margot Meynier, Maxime Pozzi-Garcia |
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Die mühsame Arbeit von Lehrkräften in den Fokus stellen... | ||
(Foto: X Verleih/Warner Bros) |
Wie beschwerlich oder gar gefährlich der Schulweg für viele Kinder in Entwicklungsländern ist, haben in den vergangenen Jahren schon mehrere Kinodokumentarfilme wie Auf dem Weg zur Schule (2013) und Nicht ohne uns! (2017) sowie zuletzt die kurze Arte-Doku Die gefährlichsten Schulwege der Welt (2022) beleuchtet. Nun drehte die französische Dokumentaristin Émilie Thérond den Spieß um und zeigt in Schulen dieser Welt, mit welchem Engagement jüngere Lehrerinnen in Ländern des »globalen Südens« ihre Profession ausüben und sich für ihre Schülerinnen und Schüler einsetzen. Thérond steht in diesem Themensegment nicht allein da, rückte doch schon die überlange Doku Herr Bachmann und seine Klasse 2021 die mühsame Arbeit von Lehrkräften in den Fokus, ebenso wie in Kürze der Berlinale-Spielfilm Das Lehrerzimmer.
Sandrine Zongo, Taslima Akter und Svetlana Vassileva haben eines gemeinsam: Sie brennen für ihren Beruf. Die drei Frauen sind mit Herz und Seele Lehrerinnen und verfolgen beharrlich ein Ziel: Sie wollen Kindern und Jugendlichen, die keinen Zugang zu schulischer Bildung haben oder nur unter erschwerten Bedingungen, so viel Wissen und Fertigkeiten vermitteln wie möglich.
Welche Widerstände sie dabei überwinden und welche Niederlagen sie einstecken müssen, zeigt der Dokumentarfilm in ruhigen, manchmal gar bedächtigen Bildfolgen. Eine weibliche Off-Erzählerstimme (in der deutschen Fassung: Dennenesch Zoudé) führt dabei durch den Film, stellt die Protagonistinnen vor und liefert Hintergrundinformationen zu den jeweiligen Ländern und Schulsystemen. Allerdings klingen die Off-Kommentare zuweilen unnötig pathetisch oder gar banal, etwa wenn es über eine Schülerin, die nicht zum Unterricht erscheint, heißt: »Wenn sie fehlt, bekommt sie Wissenslücken.«
In Burkina Faso zum Beispiel ist es üblich, dass Junglehrer nach ihrem Studienabschluss erst einmal aufs flache Land geschickt werden. Das gilt auch für Sandrine Zongo, eine alleinerziehende Mutter zweier Kinder aus der Hauptstadt Ouagadougou. Schweren Herzens lässt sie ihre Kinder bei Familienangehörigen zurück, um 600 Kilometer entfernt ihre erste Stelle in einer Dorfschule anzutreten. In dem Dorf ist Sandrine, die sich für sechs Jahre verpflichtet hat, anfangs frustriert: die Schule ist eine Hütte mit Fenstern ohne Glasscheiben, der Brunnen kaputt, das Mobilfunknetz instabil. Sie soll gleich 50 Schülerinnen und Schüler unterrichten, die fünf lokale Dialekte sprechen, aber nur ein paar Brocken der Amtssprache Französisch. Immerhin kann sie ein eigenes Steinhaus bewohnen, in dem sie sich bald wohlfühlt. Am Ende des Schuljahres bekommen mehrere ihrer Zöglinge Auszeichnungen und sie sagt nicht ohne Stolz: »Ich habe meine Berufung gefunden.«
Mit dem heftigsten Gegenwind sieht sich die 22-jährige Taslima Akter konfrontiert, die seit vier Jahren im Norden Bangladeschs unterrichtet. Weil der Monsunregen dort meist sechs Monate weite Landstriche überflutet, können viele Kinder nicht zur Schule gehen. Abhilfe schafft ein klappriges Schulboot, mit dem Taslima im Auftrag einer Nichtregierungsorganisation jeden Morgen die Schülerinnen und Schüler zu Hause abholt und an Bord unterrichtet. Doch das klappt nicht immer, weil in der verarmten Region viele Kinder schon zum Familieneinkommen beitragen müssen.
Besondern Wert legt die Junglehrerin auf die Förderung von Mädchen, die von ihren armen Familien manchmal entgegen gesetzlicher Schutzvorschriften schon mit elf oder zwölf Jahren zwangsverheiratet werden. Dass Taslima diesem fatalen Schicksal durch eisernen Willen und enorme Zielstrebigkeit entging, macht sie umso glaubwürdiger als Vorbild für eine Frau, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen kann. Sorge bereitet Taslima vor allem die Schülerin Yasmin, deren mittellose Mutter sie so schnell wie möglich unter die Haube bringen will. Unermüdlich setzt sich die Lehrerin dafür ein, dass Yasmin wenigstens bis zur Abschlussprüfung weiterlernen darf, damit sie zur Sekundarstufe wechseln kann.
Anders als Taslima und Sandrine verfügt Svetlana Vassileva über einen reichhaltigen Erfahrungsschatz. Seit 15 Jahren leitet sie im Osten Sibiriens eine sogenannte Wanderschule. Mit ihrem Mann, einem erfahrenen Rentierzüchter, fährt sie per Schlitten durch tiefen Schnee bis zu 200 Kilometer von einem Wohnplatz zum nächsten, um zwei geräumige Zelte aufzuschlagen – ein Schlafzelt und ein Schulzelt. Im Letztgenannten unterrichtet Svetlana einige Kinder der nomadischen Ethnie der Ewenken, die als Rentierhirten mit ihren Herden durch die Taiga ziehen. Die zehntägigen Unterrichtsblöcke finden im Schnitt alle zwei Monate statt. Neben dem regulären Lehrstoff versucht die Lehrerin den Kindern auch die ewenkische Sprache und Kultur zu vermitteln. Doch den quirligen Jungs Matvei und Lura ist das zunächst zu langweilig. Spannender ist für sie, wenn Svetlana ihnen vorführt, wie man mit dem Lasso Rentiere einfängt.
Drei Jahre brauchte die französische Autorin und Regisseurin Émilie Thérond für Recherchen und die Arbeit an dem Film, mit dem sie inhaltlich an ihren langen Debütfilm Mon Maitre d’École (2016) anknüpft, ein dokumentarisches Porträt ihres Ex-Lehrers, der sein letztes Berufsjahr mit einer mehrstufigen Klasse in einer südfranzösischen Dorfschule absolvierte. In Schulen dieser Welt beobachtet Thérond abwechselnd ihre Protagonistinnen, die sich redlich abmühen, um die Heranwachsenden so gut es geht auf das Leben als Erwachsene vorzubereiten. Immer wieder versuchen sie, den Schülerinnen und Schülern klar zu machen, dass diese in der Regel nur mit einem Schulabschluss eine Chance haben, ein besseres Leben zu führen als ihre Eltern.
Bedauerlich ist, dass der Film darauf verzichtet, die politischen Hintergründe für die sozialen Problemlagen der Bildungssysteme stärker auszuleuchten als in den spärlichen Andeutungen, bei denen er es belässt. So hätte man gerne mehr darüber gewusst, warum die Behörden in Bangladesch offenkundig nicht sicherstellen können oder wollen, dass das Verbot der Kinderehe eingehalten wird.
Dass das Lehrpersonal im Film ausschließlich aus Frauen besteht und auch hinter der Kamera etliche Frauen arbeiten, ist kein Zufall, will Théron doch unterstreichen, welche Probleme gerade viele junge Frauen schultern müssen, um sich zu emanzipieren. Auch wenn nicht alle Bemühungen der Lehrerinnen von Erfolg gekrönt sind, so bestärken die Erfolge einiger Schülerinnen und Schüler sie doch in ihrem Engagement. Mit ihrem Mut und ihrem Optimismus setzen diese Alltagsheldinnen jedenfalls ein starkes Zeichen.