Australien/Südafrika 2008 · 118 min. · FSK: ab 16 Regie: Steve Jacobs Drehbuch: Anna-Maria Monticelli Kamera: Steve Arnold Darsteller: John Malkovich, Jessica Haines, Eriq Ebouaney, Fiona Press, Antoinette Engel u.a. |
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Sogar den Hunden geht es schlecht |
Der mit dem Booker Prize ausgezeichnete Roman des Literaturnobelpreisträgers J. M Coetzee von 1999 bedient vordergründig das Bedürfnis des Lesers, auf knapp 300 Seiten ein charakteristisches und Allgemeingültigkeit beanspruchendes Portrait des modernen Südafrika gezeichnet zu bekommen, auf dessen Grundlage man in geselliger Runde politische Kennerschaft demonstrieren kann. Gleiches gilt natürlich für den 118 Minuten dauernden Film. Wie ist es denn so, das Nach-Apartheids-Südafrika? In Kapstadt herrscht Unmoral (Prostitution, Missbrauch von Studentinnen) und Kriminalität (Einbrüche), auf dem Land ist es noch viel schlimmer: da überfallen farbige Jugendliche kleine Farmen und vergewaltigen weiße Farmerinnen. Sogar den Hunden geht es schlecht: sie werden eingeschläfert, obwohl sie noch gesund sind. Oder mit den Worten des Verleihs: »Der tiefe gesellschaftliche Graben ist bis ins Herz Südafrikas vorgedrungen. Die brutalen Konsequenzen machen auch vor ländlichen Gegenden nicht halt. Und die scheinbare Idylle verwandelt sich in einen Albtraum.« All dies zeigt der Film des Regisseurs Steve Jacobs, dessen Ehefrau Anna Maria Monticelli das Drehbuch geschrieben hat, aber er bleibt dabei nicht stehen und vor allem: er forciert und dramatisiert (fast) nichts – gut, es gibt die Zeitlupe des brennenden Streichholzes, das David Lurie entzünden wird – und vermeidet damit eine holzschnittartige Vereinfachung der politischen Aussagen über dieses komplexe Land. In erster Linie geht es Jacobs um einen Mann, der auf allen Ebenen Macht verliert und dies wird brillant gespielt von John Malkovich, angeblich die zweite Wahl bei der Rollenbesetzung. In fast sterilen Bildern und starker Fokussierung auf den Hauptdarsteller wird der Literaturprofessor David Lurie gezeigt, der den echten Kontakt zu seiner Umwelt gänzlich verloren hat und der wie ein emotionaler Autist selbstherrlich seine gewohnten Bahnen zieht. Er hat nicht mitbekommen, dass das Blatt sich gewendet hat: seine Stammprostituierte verlässt ihn, die zum Sex gedrängte Studentin (im Buch eine Weiße, im Film eine Farbige: warum?) geht an die Öffentlichkeit, die Universitätskollegen sind nicht mehr gewillt, sein Verhalten ohne Reuegeständnis zu tolerieren – so verliert er seine (erkaufte und erzwungene) erotische Macht und seinen beruflichen und intellektuellen Status. Aber er hat ja noch eine Tochter und eine Opernidee, zwei Projekte, denen er sich jetzt in Ruhe widmen kann. Noch kein Grund zur Verunsicherung.
Endlich, so der wissbegierige Zuschauer, der auch wissen will, wie es außerhalb der Stadt so zugeht, wird jetzt auf dem Weg Luries zur Farm seiner Tochter Lucy auch ein wenig schöne Landschaft gezeigt, wenn diese auch schnell etwas karg wird. Das im Buch recht kühle Verhältnis zwischen Vater und Tochter wird im Film eher vertraut dargestellt; umso tiefer ist David Luries Enttäuschung, als er feststellen muss, dass er keinen Einfluss mehr auf seine Tochter hat und diese ihm nur anbietet, mitzuhelfen und zu akzeptieren, dass alles nicht so läuft, wie er es gerne sähe. Jessica Haines spielt diese Ablösung mit großer Glaubwürdigkeit. Ebenso überzeugend gibt Eriq Ebouaney den farbigen „Hundemann“ Petrus, der mit entwaffnender Selbstverständlichkeit und Zielstrebigkeit nach und nach die Besitz- und Lebensverhältnisse auf der Farm auf den Kopf stellt, so dass am Ende er der Farmer und Lucy seine (Zweit-)Frau und Untergebene ist. Nur er kann Lucy Schutz garantieren. Der brutale Überfall auf die Farm, die Ohnmacht, seiner Tochter nicht beistehen zu können, die neue Tätigkeit als Helfer beim Tiereinschläfern, die wenig enthusiastische sexuelle Beziehung zur derben Bev Shaw – all dies sind Abstürze, die David Lurie den Boden unter den Füßen wegreißen und sein Welt- und Selbstbild zerschlagen, so dass er sich am Ende selbst als „Hundemann“ wiederfindet, innerlich verändert, wenn auch nicht edel gereift, sondern eher erschüttert, bescheidener, zu Mitleid und Reue fähig aufgrund leidvoller Erfahrung. Malkovich spielt diesen totalen Machtverlust wie gewohnt mit kleinsten Gesten und Nuancen.
Einzig die Arbeit an seiner Oper, allerdings mit Banjospiel statt großem Orchester, gewährt Lurie noch einen Zugang zur verlorenen Welt der Hochkultur und deutet über das Alltägliche hinaus. Im Soundtrack gewinnt die Musik und die Beschwörung der Schönheit dann auch im letzten Filmabschnitt an Bedeutung und setzt einen Kontrapunkt zum Thema des Abstiegs. Das Ende dieser gelungenen Romanverfilmung, welche viele Themen und Motive aufgreift und differenziert darstellt, verzichtet dann auch auf Eindeutigkeit: der Vater nähert sich der Tochter nicht vom Haupteingang her, sondern aus der Beobachterposition heraus und wird zu einer Tasse Tee eingeladen: ein Gast im alten-neuen Leben seiner schwangeren Tochter. Sinnbild der Hoffnung? Eher ein bescheidenes Arrangement ...