Schattenmenschen

Deutschland 2008 · 123 min.
Regie: Darioush Shirvani
Kamera: Darioush Shirvani
Schnitt: Dariush Noori, Gregor Kuschel, Behzad Beheshtipoor
Darsteller: Peter Reinwarth, Petr Kuschmitz, Giuliana Triziana de Carlo, Ali Kamrani, Iacov Grinberg u.a.
Harmonie der Schönen

Diese Bespre­chung ist zuerst erschienen im Münchner Feuil­leton. Veröf­fent­li­chung mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der Redaktion.

Die Obdachlosen aus dem Stadtpark

In seinem Kinodebüt richtet der Münchner Regisseur Darioush Shirvani den Blick auf die »Schat­ten­men­schen« der Gesell­schaft

Eine seltsame Spezies, dieser Paul. Lässt bei jeder Gele­gen­heit einen hoch­tra­benden Satz vom Stapel, auf Kalen­der­spruch-Niveau. Paul, prag­ma­tisch: »Im Unglück lernt man sich selbst am besten kennen, weil keine Freunde mehr da sind, die einen ablenken.« Paul, weise: »Siehst du wie kraftvoll der Fluss fließt? Er ist unum­kehrbar!« Oder Paul, kalauernd: »Dummheit ist keine Schande, Haupt­sache, man hält den Mund dabei.«

Paul (Peter Reinwarth) ist ungefähr 70 Jahre alt, ehema­liger Professor und obdachlos. Er ist der »Kopf« einer Gruppe von Freisch­lä­fern aus unter­schied­li­chen Natio­na­litäten, die es sich im Augs­burger Stadtpark einge­richtet haben, unter ihnen ein russi­scher Jude und ein persi­scher Schau­spieler. Paul verteilt Bücher und Lebens­weis­heiten an seine Kumpel, die es ihm mit Hoch­pro­zen­tigem vergelten. Außerdem pflegt er eine plato­ni­sche Beziehung zur schönen Isabel (Giuliana Tirziana de Carlo), einer aus Italien stam­menden Prosti­tu­ierten, die die Obdach­losen mit alko­ho­li­schen Mitbring­seln beglückt. Und dann ist da noch der Tscheche Vaclav (Petr Kuschmitz), ein Knei­pen­pia­nist, der gerade von seiner Frau auf die Straße gesetzt wurde und sich den Obdach­losen anschließt. Beide, die Prosti­tu­ierte und den Musiker, wird Paul auf den rechten Weg bringen. Und dann mit seinem Latein am Ende sein.

Die Pros­ti­u­tierte, die Obdach­losen, der im Park lebende »Diogenes« Paul: Sie alle sind »Schat­ten­men­schen«, Menschen, deren Schick­sale im Schatten unserer Aufmerk­sam­keit liegen. In seinem gleich­na­migen Film hat der aus dem Iran stammende Regisseur Darioush Shirvani den Blick auf die Menschen gerichtet, die fernab der bürger­li­chen Gesell­schaft leben.

Ursprüng­lich wollte Shirvani einen Doku­men­tar­film über Obdach­lose drehen. Die Arbeit mit den Prot­ago­nisten erwies sich aber als extrem schwierig; sie miss­trauten der Kamera und tischten ihm immer wieder Lügen auf, wie Shirvani erzählt. Er griff dann auf eine alte Spiel­fil­m­idee zurück und ließ seine Recherche-Erkennt­nisse in Schat­ten­men­schen einfließen. Die Gemein­schaft der Obdach­losen wirkt so auch ziemlich authen­tisch: die Art, wie sie sich anpflaumen, wie sie zusammen losziehen, um Flaschen zu sammeln, wie sie ihre Schlaf­plätze herrichten, ihr Alko­hol­konsum. Sie sind getrieben von der »Gier nach dem nächsten Bier«, wie es im Film einmal heißt. Die alles durch­bli­ckende Kunst­figur Paul bildet den Kontrast dazu.

Schat­ten­men­schen ist eine No-Budget-Produk­tion. Aus einer natür­li­chen Erzählwut heraus entstanden (Shirvani: »Ich will mitteilen, was für die Menschen wichtig ist«), lässt der Film in seinen besten Momenten an die Film­pam­phlete eines Vlado Kristl denken. In einer unver­brauchten Erzähl­weise überlässt Shirvani seinen Figuren das Wort, in alltäg­li­chen oder philo­so­phisch werdenden Dialogen wird den Menschen auf den Mund und in die Seele geschaut. Wichtig war für Shirvani, der jetzt seit 23 Jahren in Deutsch­land lebt, dass die Prot­ago­nisten alle aus verschie­denen Kulturen kommen. »Sie verstehen sich, weil sie nichts haben«, sagt Shirvani über die, die alles zurück­ge­lassen haben: Familie, Kinder, Kultur und Heimat. Unterm Strich aber bleibt: Shirvanis Film ist ein Märchen, ein gut gemeintes.