Das Schmuckstück

Potiche

Frankreich 2010 · 103 min. · FSK: ab 6
Regie: François Ozon
Drehbuch:
Kamera: Yorick Le Saux
Darsteller: Catherine Deneuve, Gérard Depardieu, Fabrice Luchini, Karin Viard, Judith Godrèche u.a.
Die Deneuve, perfekt bis ins kleinste Detail

Dona Catharina und Peppone

Es geht schon gut los: Nost­al­gi­sche bunt-runde 70er-Jahre-Schrift formt die Vorspann­titel, dann sieht man Catherine Deneuve im knall­roten Adidas-Trai­nings­anzug beim Joggen im Wald, und wenn man dann dazu ein fried­li­ches Reh grasen und die Vögel zwit­schern hört, dann ist das alles in seiner Insze­nie­rung so offen­kundig albern, dass man schnell ahnt, dass es zwar so nicht weiter­gehen kann, dass man sich aber auf einiges gefasst machen darf. Tatsäch­lich ist der neue Film von François Ozon so burlesk, wie jene Louis-de-Funès-Komödien, mit der sie der Regisseur selbst vergli­chen hat. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Grundlage zu Das Schmucks­tück ein Boule­vard­s­tück von Pierre Barillet und Jean-Pierre Grédy aus dem Jahr 1980 bildet. Im Gegensatz zu einer Willy-Millo­witsch-Komödie ist Das Schmucks­tück aber nicht nur brüllend komisch, sondern zugleich auch seine eigene Parodie, und ein so kluger wie subver­siver Blick auf die Gegenwart. Und so liegt das alles dem am boshaften Huma­nismus eines Billy-Wilder-Films noch am nächsten.

Viel­filmer Ozon, einer der begab­testen fran­zö­si­schen Auto­ren­filmer der Gegenwart, hat das Stück, das 1977 spielt, ganz im Retro-Stil verfilmt: Mit Disco-Pop von den Bee Gees und Schlagern der Zeit, mit ihren Kulissen, Kostümen und Lieb­lings­farben (orangene Tapeten!), und mit der Deneuve und Gérard Depardieu spielen auch zwei fran­zö­si­sche Mega-Stars der 70er-Jahre die Haupt­rollen.

Potiche heißt der Film im Original, was wörtlich eine kostbare Porzel­lan­vase oder -figur benennt, die ganz hübsch anzusehen ist, der aber jede prak­ti­sche Funktion völlig abgeht – ein »Schmucks­tück« eben, oder auch »Vorzei­ge­püpp­chen«. Im Zusam­men­hang könnte man es auch sinngemäß als »Haus­mutt­chen« über­setzen. Denn die »Potiche« ist zunächst einmal die Unter­neh­mers­gattin Suzanne Pujol, die des Morgens joggt und ebenso reich wie geistlos ist. Ihre Zeit nach der bereits voll­zo­genen Kinder­auf­zucht verbringt sie damit, die Mahl­zeiten vorzu­be­reiten, die Putzfrau zu über­wa­chen und ziemlich belang­lose Gedichte zu verfassen. Ihr Gatte Robert (Fabriche Luchini), ein Regen­schirm­fa­bri­kant in einem fran­zö­si­schen Provinz­nest, ist ein chole­ri­scher Haus­ty­rann, der morgens bei der Lektüre des »Figaro« möglichst nicht gestört werden will, und abends spät nach Hause kommt, weil er seine Zeit lieber mit der Sekrä­terin oder im »Badaboum« verbringt. Die Affairen ihres Mannes sind Suzanne aller­dings längst gleich­gültig, und gegenüber seinen herab­las­senden Kommen­taren hat sie sich eine noncha­lonte Ignoranz zugelegt.

Eines Tages nun, als der Despot nach einem Herz­an­fall im Kran­ken­haus ist, wird in der Firma wieder einmal gestreikt – und Suzanne – »er ist auch mein Boss, aber in meinem Fall ist Streik keine Option« –, muss die Unter­neh­mens­lei­tung über­nehmen. »Zur Ehre der Arbeiter trage ich meine besten Juwelen«, sagt sie zwar, macht die Sache in ihrer offenen, nur scheinbar naiven Art aber viel besser als geahnt. Dabei hat sie es auch mit dem kommu­nis­ti­schen Bürger­meister des Ortes (Depardieu, mit Fotos des Gewerk­schaf­ters Georges Marchais an der Wand) zu tun, mit dem sie, wie sich bald heraus­stellt, als frisch­ge­ba­ckene Ehefrau einst eine kleine Affaire hatte. Spätes­tens jetzt ahnt jeder Zuschauer, dass auch in der fran­zö­si­schen Provinz der Schein trügt, und es im Leben viel mehr kleine Geheim­nisse gibt, als man glauben (machen) will.

Wenn man aber erklären möchte, was alles an diesem Film so großartig ist, kommt man vor allem an Catherine Deneuve nicht vorbei. Nicht nur, weil sie souverän die Haupt­rolle spielt, sondern, weil ziemlich viel Catherine Deneuve ist in dieser Suzanne. Da ist dieser patent-prak­ti­sche Wesenszug: Sie ist ganz von dieser Welt, stahlt etwas sehr Präzises, Prag­ma­ti­sches, gar nicht Träu­me­ri­sches aus, viel­leicht die typische Erfahrung ihrer Gene­ra­tion, die nach dem Weltkrieg aufwuchsen und zwar viele Träume, aber keine Zeit hatten für Flausen. Aber das ist nur die eine Seite der Deneuve. Die andere ist diese unglaub­liche souveräne Lässig­keit einer Frau, die schon ganz andere Dinge über­standen hat, und weiß, dass ihre Position heute einfach unan­ge­fochten ist. Zugleich hat, wenn es so etwas gibt, diese Lässig­keit immer etwas leicht Ange­spanntes, es ist dann doch immer noch ein Moment Kontrolle, ein Stück Selbst­be­ob­ach­tung in Deneuves Spiel, so als wäre sie sich trotz allem immer noch ein Rätsel. Man kann es auch einfacher sagen: Dem Geheimnis der Deneuve ist einfach nicht auf den Grund zu kommen – wie dem von Suzanne Pujol.

Ein Hauch von »Don Camillo und Peppone« durch­zieht diesen sich nun entspin­nenden lustig-nost­al­gi­schen Geschlech­ter­kampf zwischen Unter­neh­merin und Kommunist, in den bald auch der zurück­keh­rende Gatte, dessen Sekre­tärin/Geliebte und die beiden Pujol-Kinder eingreifen. Zeit und Milieu werden genau markiert: Auf der Titel­seite des »Figaro« sind zwei Schlag­zeilen zu lesen: »Giscard vertei­digt die Insti­tu­tionen« und die Ankün­di­gung einer Serie: »URSS 1917-1977: La Grande Desil­lu­sion«. Die Deneuve-Figur ist nicht nur eine konser­va­tive Großbür­ger­frau, die sich ein wenig eman­zi­piert, sondern sie ist auch Vaters Tochter, die dessen Erbe – »er führte die Fabrik 40 Jahre lang ohne Streik, nicht einmal 1936 wurde gestreikt« –, die den Vater gegen den Gatten vertei­digt.

Das ist wie gesagt urkomisch, aber zugleich auf subtile Weise sehr klug – eine Eman­zi­pa­ti­ons­ge­schichte und nicht zuletzt ein hinter­sin­niger Kommentar zu unserer Gegenwart: Einer­seits badet Ozon in unser aller Erin­ne­rung an den Flair einer Welt, in der es noch keine Smart­phones und kaum Computer gab, in der es in großbür­ger­li­chen Familien die Butter zum Frühstück selbst­ver­s­tänd­lich in einer Silber­schale gab, und die Enkel­kinder »Terro­risten« spielten, beschwört die »gute alte Zeit« vor Aids, Isla­mismus und Invest­ment­ban­kern, ohne deren Schat­ten­seiten zu verschweigen. Doch es ist kein Zufall, dass Ozon gerade von dem Schlüs­sel­zeit­raum 1977/78 erzählt, in dem die »Trente Glori­euses«, die glor­rei­chen dreißig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, endgültig zuende gingen, jenes erst unlängst noch Stéphane Hessel (»Indignez vous!«) voller Verehrung beschwo­rene Goldene Zeitalter des Westens, mit drei Dekaden unge­bro­chenem Wachstum und funk­tio­nie­render Sozi­al­part­ner­schaft. Indem er das tut, und die Endphase des rhei­ni­schen Kapi­ta­lismus entfaltet, schildert er auch – »Pater­na­lismus ist tot. Heute muss man ein Arschloch sein.« – die Geburts­stunde des heute para­dig­ma­ti­schen Neoli­be­ra­lismus. Und in dem kleinen aktio­nis­ti­schen Wich­tig­tuer Robert, der gern Sprüche klopft, sich aber als Papier­tiger entpuppt, sobald es ernst wird, werden nicht nur Franzosen ein Portrait ihres Präsi­denten erkennen. Und wenn sich Deneuves Figur immer mehr vom Haus­frau­en­da­sein eman­zi­piert, in die Politik geht – »Ihr seid alle meine Kinder. Ich bin eure Mama. 30 Jahre lang habe ich den Haushalt von Monsieur Pujol geführt. In ein paar Wochen habe ich seine Fabrik geordnet. Warum soll mir das nicht auch mit Frank­reich gelingen.« – und gegen Depardieu einen Parla­ments­sitz erobert, dann darf man sogar an Margret Thatcher denken, die ein Jahr später zur ersten Regie­rungs­chefin eines west­li­chen Landes gewählt wurde.

Ein letzter Höhepunkt ist ein gemein­samer Disco­be­such von Deneuve und Depardieu. Es läuft der Baccara-Song: »Parlez-vous français?«, und man fragt sich wehmütig, warum so ein Film in Deutsch­land eigent­lich völlig unmöglich sein muss. Dann singt die Deneuve sogar: »C'est beau la vie«, »Das Leben ist schön« – das ist zwar eine bürger­liche Kino­ideo­logie, aber manchmal eben auch die Wahrheit.