Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall

So-seol-ga-ui yeong-hwa

Südkorea 2022 · 92 min.
Regie: Hong Sang-soo
Drehbuch:
Kamera: Hong Sang-soo
Darsteller: Lee Hye-yeong, Kim Min-hee, Seo Young-hwa, Park Miso, Kwon Hae-hyo u.a.
Filmszene »Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall«
Der Film im Film: Stummfilmglücklichkeit
(Foto: Grandfilm)

Wege und Begegnungen in Seoul

Wie eine Romanautorin mit Schreibblockade dazu kommt, einen Kurzfilm zu drehen, das zeigt der koreanische Autorenfilmer Hong Sangsoo aus einer Reihe komisch-peinlicher Begegnungen heraus als wundersam poetische Alltagsskizze: Die Schrift­stel­lerin, ihr Film und ein glück­li­cher Zufall, der auf der dies­jäh­rigen Berlinale mit dem Silbernen Bären, dem Großen Preis der Jury ausge­zeichnet wurde.

Die abwartend-abschät­zende Haltung, mit der Junhee den anderen gegenü­ber­tritt, lässt einen anfangs noch schwanken darin, wie viel Sympa­thien man ihr schenken will. Dass sich das im Laufe des Filmes wandelt, dass man am Ende ganz auf ihrer Seite steht, das hat mit den zufäl­ligen Begeg­nungen zu tun, bei denen man sie in diesem Film begleitet. Und das hat vor allem mit der einfach erschei­nenden, doch sehr bestri­ckenden Kunst des korea­ni­schen Autoren­fil­mers Hong Sangsoo zu tun, eine Szene an die andere zu reihen, als würde man nichts weiter machen, als eine Straße entlang­zu­spa­zieren und das, was einem da über den Weg läuft, leicht belustigt und auch verwun­dert, ja manchmal auch befremdet zu betrachten.

Mit einer kleinen Buch­hand­lung geht es los, in die Junhee, die erfolg­reiche Schrift­stel­lerin mit einer Schreib­blo­ckade, eintritt, die sie aber auch gleich wieder verlässt, denn erst mal wird sie Zeugin eines häss­li­chen Streits von zwei weib­li­chen Stimmen, der nur im Off zu hören ist. Diskret wartet sie draußen und raucht. Es ist, als wollten uns die Prot­ago­nistin und der Regisseur nicht sogleich hinein­ziehen in eine dieser für Hong so typischen Szenen, in denen die Figuren schon mal die Fassung verlieren und sich im Ton vergreifen.

Junhee (Lee Hye-young) schaut ohne konkreten Anlass bei der Buch­händ­lerin Sewon (Seo Younghwa) vorbei, einer Studi­en­freundin, die das Schreiben mitt­ler­weile aufge­geben hat und zu der der Kontakt abge­bro­chen ist. Das Gespräch der beiden bleibt ein bisschen unter­kühlt, ist mit versteckten Spitzen garniert. Nicht von ungefähr flüchtet sich Junhee dann in einer etwas exaltiert wirkenden Übungs-Perfor­mance in die Taub­stummen-Gebär­den­sprache, als sie erfährt, dass die Gehilfin der Buch­händ­lerin diese studiert.

Das Treffen in der kleinen Buch­hand­lung ist der Auftakt zu weiteren, rein zufäl­ligen Begeg­nungen in Seoul, das Junhee an diesem Tag besucht. Dass dieser Tag ein beson­derer werden könnte, verspricht schon das im Laden auffällig plat­zierte Buch mit dem Titel »Today will be different«, der ein Motto für Hong Sangsoos Erkun­dungen eines unscheinbar wirkenden Alltags zwischen Banalität und Wunder­sam­keit liefert.

Junhee wird zufällig den Regisseur Hyojin (Kwon Haehyo) treffen, der einmal eines ihrer Bücher verfilmen sollte, dann aber gekniffen hat, dann der Schau­spie­lerin Kilsoo (Kim Min-hee) sowie einem Film­stu­denten, und später einem alten Bekannten, einem Dichter, mit dem sie eine Trink­freund­schaft verbindet. Diesmal wird nicht wie in früheren Hong-Filmen Soju aus den kleinen grünen Flaschen getrunken, sondern aus größeren weißen Flaschen Makgeolli, ein milchig trüber, leicht süßlicher Reiswein. Das am hell­lichten Tag begonnene Gelage wird deswegen aber nicht weniger heftig und die Schau­spie­lerin schläft am Tisch ein.

Am Ende wird die Roman­au­torin Junhee einen bezau­bernden Kurzfilm reali­siert haben, der in diesem in klarem Schwarz­weiß gedrehten Film buchs­täb­lich einen poeti­schen Farb­tupfer setzt. Wie es zur Idee und der Reali­sie­rung kam, das ist jenem »glück­li­chen Zufall« des Film­ti­tels zu verdanken, der hier die Wege und Begeg­nungen der Figuren lenkt und dirigiert.

Hong Sangsoo, der in seinem 27. Film den Status als Autoren­filmer in fast schon ironisch-selbst­genüg­samer Art auf die Spitze treibt (er ist diesmal nicht nur für Drehbuch und Regie verant­wort­lich, sondern auch für Produk­tion, Kamera, Schnitt und Musik), hat seiner Kunst der trüge­ri­schen Verein­fa­chung eine weitere vertrackte Volte gegeben. Das Rätsel der Entste­hung eines Kunst­werks aus dem Alltag und seiner sozialen Praxis heraus, so könnte man behaupten, ist das heimliche Thema des Films.

Das Komö­di­an­ti­sche, das aus der sozialen Praxis der Figuren Hongs erwächst, kommt dabei auch diesmal nicht zu kurz. Und es ist wieder so gestaltet, dass die Zuschauer*innen sich fälsch­lich in Sicher­heit wiegen, wenn sie die Schwächen und Eitel­keiten, die Gekränkt­heiten und Gemein­heiten aus einer über­le­genen Position heraus glauben belächeln zu können. Die Pein­lich­keiten, in die Hongs Figuren auch hier wieder in einigen bril­lanten Szenen geraten, greifen von der Leinwand aus direkt über auf das Publikum. Hongs Figuren exis­tieren vor allem als soziale und kommu­ni­zie­rende Wesen und beziehen als solche die Zuschauer*innen unwei­ger­lich mit ein. Es ist, als begegnete man ihnen direkt. Und die Verle­gen­heiten, in die man gerät, sind physisch auch im Kinositz zu spüren.