Deutschland 2006 · 98 min. · FSK: ab 12 Regie: Ed Herzog Drehbuch: Heike Makatsch, Johanna Adorján Kamera: Sebastian Edschmid Darsteller: Heike Makatsch, Anna Maria Mühe, Sebastian Urzendowsky, Ludwig Trepte, Marc Hosemann u.a. |
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Girlie muss erwachsen werden |
Lange Zeit hat das deutsche Kino den Männern mores und neue Gefühle gelehrt. Nach der Entmachtung des Mannes sind jetzt ganz offensichtlich die Frauen dran. Ed Herzogs Film Schwesterherz ist nur das jüngste Beispiel für einen Trend, den man in so unterschiedlichen Filmen wie Vier Töchter von Rainer Kaufmann, Erica von Moellers Leben mit Hannah, oder auch in den besonders hochgelobten Werken von Marcus H. Rosenmüller (Beste Zeit) beobachten kann: Am schönsten ist’s daheim, weibliches Selbstbewusstsein bringt eh' nix, und führt nur zu Freudlosigkeit, und wenn die neuen Herrinnen der Schöpfung schon erfolgreich sind, haben sie sich gefälligst ein schlechtes Gewissen zu machen, krank und frustriert zu sein.
Schon ein interessantes Phänomen: Eine Republik, die ihre Bürger in Dienstleister und Zeitarbeiter verwandelt, von ihnen Mobilität, Flexibilität, innerweltliche Askese und lebenslanges Lernen einfordert, denunziert eben diese neuen Tugenden in ihren Künsten. Dort beklagt man dann die anderenorts noch eben heroisierte »Corosion of Character« (Richard Sennett), zelebriert eine »neue Bürgerlichkeit«, die in Wahrheit das ganz alte Biedermeier ist: Wenn die Jobs schwinden, soll wieder Familie und Karriereverzicht zur Glücksressource taugen.
In Schwesterherz reisen zwei ungleiche, sich kaum kennende Schwestern zum gemeinsamen Urlaub in ein Luxusappartment in den Touristenkasernen von Benidorm. Mit dabei haben sie schweres Gepäck: Die 18-jährige Marie (Anna Maria Mühe) und die 33-jährige Anne (Heike Makatsch) kennen sich kaum. Marie verbindet allzu süße Rehaugen mit einem vorbildlichen Charakter und bewundert die Ältere. Die aber haben wir zuvor schon im Arbeitsalltag als Musikmanagerin kennengelernt: Eine ständig gestresste, fortwährend Oberflächlichkeiten plappernde Nervensäge, ein unsympathischer Worcaholic. Das wirkt zunächst einmal sehr behauptet, wie als wolle da jemand durch Hyperaktivität beweisen, dass die Filmfigur auch »echt« arbeitet. Verständlicher wird der Stress allenfalls, als man kurz darauf auch mitbekommt, dass Anne Ärger mit ihrem Freund hat und diesem darum auch ihre Schwangerschaft verheimlicht: Sie will sowieso kein Kind, die Abtreibung ist beschlossene Sache.
Der Urlaub, bekanntlich als Ausnahmezustand des modernen Lebens der wahre Ernstfall, bringt die es dann an den Tag: Anne ist überdreht und selbstgerecht, kann nicht locker sein, das Handy ausmachen, sich fallen lassen, spannt – so sind sie eben, die Karrierefrauen – der kleinen Schwester den Urlaubsschwarm Max (Sebastian Urzendowsky) zum kühlen One-Night-Stand aus, und entpuppt sich mehr und mehr als so frustrierte wie egoistische, wie insgeheim hochunglückliche Zicke.
Bemerkenswert: Das Drehbuch wurde immerhin von Hauptdarstellerin Heike Makatsch gemeinsam mit der Journalistin Johanna Adorjan geschrieben, also von zwei – wenn man so will – erfolgreichen Karrierefrauen. Doch es denunziert dieses Rollenmodell mit seiner Hauptfigur in Grund und Boden. Irgendwie selbstironisch ist das alles dabei offenkundig keineswegs gemeint – der völlig humorfreie Film meint vielmehr alles ernst bis zum Sendungsbewusstsein, was womöglich auch damit zu tun hat, dass das einstige VIVA-Girlie Makatsch inzwischen lieber Rollen wie Margarethe Streiff spielt und selbst Mutter ist.
Differenziert oder sensibel geht es dabei nicht zu, alles ist immer eine Spur zu dick aufgetragen, der Ton hysterisch. An keiner Stelle ist der Film an irgendetwas einer Erfahrung oder Frage ähnlichem interessiert. »Ist die Welt so scheiße, in der Du lebst?« – mit Dialogsätzen wie diesem schreit der Film stattdessen seine Moral heraus. Annes schmerzhafte Selbstreflexion ist vor allem behauptet, genauso wie das Ergebnis aus der Retorte der Film-Klischees: Anne »begreift, was wirklich zählt«. Es ist kein Zufall, dass der Anstoß zur Veränderung am Ende dann doch ein äußerlicher ist, nämlich ein Autounfall, kein Resultat eignen Nachdenkens. Inszeniert ist der konstruierte Plot recht läppisch, Immerhin Sebastian Edschmids Kamera gewinnt der entfremdeten Kulisse von Benidorm einige schön Bilder ab.
Den Gesamteindruck bestimmt aber die konservative Moral, die das Bild einer selbstbewusst und hedonistisch lebenden, auch als Single glücklichen Karrierefrau konsequent als amoralisch anklagt, oder der Lächerlichkeit preisgibt. Erfolg macht unsexy und verbittert. Statt dessen nimmt der Film Partei fürs Eva-Prinzip: Kind statt Karriere, Familie statt Freiheit, Werte statt Wohlstand.