Deutschland 2008 · 100 min. · FSK: ab 16 Regie: Maximilian Erlenwein Drehbuch: Maximilian Erlenwein Kamera: Ngo The Chau Darsteller: Fabian Hinrichs, Jürgen Vogel, Nora von Waldstätten, Jule Böwe, Eleonore Weisgerber u.a. |
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Ein Buddy-Movie ist es nicht |
Es ist Nacht in der großen Stadt, die junge Frau arbeitet noch. Still, und auf eine gewisse Weise in sich ruhend wirkt sie da, wenn sie sich müde über den Hals streicht, und weil gleich auch klar ist, dass wir sie mit den Augen eines anderen sehen, des jungen Mannes, der sie heimlich beobachtet und voller Sympathie, aber auch ein wenig manisch photographiert, wird diese Nadine im Nu zum Sehnsuchtszentrum des Films, zum Gravitätspol, auf den seine Bewegung mit naturgesetzlicher Sicherheit wieder zulaufen wird.
Frederick heißt der junge Mann; und man muss das nicht gleich pathologisieren, wenn einer seiner heimlichen Liebe nachspioniert, Fotos schießt. Trotzdem: Wenn er in der Nacht noch lange auf die entwickelten Bilder starrt, wenn wir seine grauen Anzüge sehen, die alle gleich penibel auf dem Bügel hängen, die Uniform eines modernen Wirtschaftskriegers, seine Wohnung, die so sauber und leblos ist, so ordentlich und cool designed, dass einem angst und bange wird, ein Ausdruck der Leere seiner Seele, und wenn er dann noch mit selbstzerstörerischer Energie seinen Hometrainer bearbeitet, dann macht der Regisseur von den ersten Augenblicken an klar, dass mit diesem Mann etwas nicht stimmt: Bei Frederick ist nicht etwa im herkömmlichen Sinn »eine Schraube locker«, im Gegenteil scheinen alle Schrauben derart bis zum Anschlag festgedreht, dass das Korsett seines Lebens jederzeit zu bersten droht.
Grau in Grau ist der Alltag dieses Kreditberaters, der schon im verflixten siebten Jahr bei der Bank seine Provisionen damit kassiert, dass er die Leute in Grund und Boden berät. Das Leben hat er dabei sorgfältig ausgeklammert. Aber es hinterlässt doch seine Spuren im grauen Einerlei: Blutrote Flecken bekommt nicht nur sein Hemd, als sich ein Kunde, dem Frederick den Kredit kündigt, direkt vor ihm erschießt. Und moralisch erledigt hat sich sein Job spätestens durch die Reaktion seiner Umgebung. Doch ist das furchtbare Erlebnis weniger Initiation als der Scheitelpunkt, an dem sich für Frederick die innere Kündigung aus der Welt der Anzugträger vollendet. Von nun an hat er zu ihr ein anarchistisches Verhältnis – zunächst nur in Form einer Kombination aus Dienst nach Vorschrift und Gewaltphantasien, doch nachdem er seinen alten Freund Vinz (Jürgen Vogel) getroffen hat, bald auch in Taten: Vinz entpuppt sich als Ex-Sträfling, der derart gut resozialisiert wurde, dass er sich nach all dem sehnt, was Frederick gerade hinter sich lässt, und fürs Spießerleben nur noch ein bisschen Geld braucht. Beide fangen an, mit Hilfe von Fredericks Kundendaten lohnenswerte Einbruchsopfer auszuspähen, und berauben nachts die Nobel-Villen der Reichen. Ein Buddy-Movie ist dies deshalb noch nicht – eher liegt in dieser Beziehung zweier Ungleicher die einzige reine Behauptung des Films. Der Schwerpunkt bleibt aber sowieso immer bei dem Bankier auf Abwegen.
»Normal sein, das ist für Arschlöcher.« sagt Frederick irgendwann, und nachdem man seinem Leben zuvor zugesehen hat, versteht man, was er meint. Wie in Benjamin Heisenbergs atemberaubenden Räuber wird auch in Maximilian Erlenwein großartigem Debüt der Sport – eben das Radeln auf dem Hometrainer – zum Sinnbild der Folgen des Ökonomismus für jene »Softskills«, die man früher einmal Seele nannte, der Abwesenheit des Körpers in der Körperlichkeit und einer Gesellschaft, die Leistungseffizienz zum Selbstzweck und zur Sucht erhoben hat, und damit längst am Rande des Nervenzusammenbruchs angekommen ist. Noch mehr als in Heisenbergs Film, steht in Schwerkraft eine Figur im Zentrum, in der die Übergänge zwischen Banker und Räuber fließend sind. Das ist auch schlüssig: »Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?« fragte schon Brecht. Und so funktioniert dieser Frederick auch als eine exemplarische Figur für eine Gesellschaft, die längst in Hast, Hektik und Selbstkasteiung, unfähig zum Genuss, zum relaxten Leben dahin schreitet, und dabei von unfassbarer Einsamkeit erfüllt ist. Mit seinem beklemmend intensiven Spiel weckt Fabian Hinrichs viel Sympathie für diese Borderline-Persönlichkeit, die sich nur durch den Exzeß wieder spüren und befreien kann. Wir kennen jede Situation, und lange nicht mehr ist man einer Figur bereitwilliger auf die schiefe Bahn gefolgt.
Erlenweins in Leipzig und Halle gedrehter Film, den die Jury, die ihm im Januar in Saarbrücken den Max Ophüls Preis verlieh, mit den Coen-Brüdern verglich, besticht durch viele atmosphärisch stimmige Bilder, und bis in kleine Rollen großartige Nebendarsteller: Jule Böwe, Thorsten Merten. Der Regisseur mischt mit viel Talent, Stilgefühl und einigem lakonisch-absurdem Humor die Lust am Gangsterfilm mit Motiven des Autorenfilms. Schwerkraft hält auch immer die Balance zwischen leichten und schweren Tönen, zwischen Genrestoff und existentiellem Drama.
Und hier kommt wieder die Dame vom Anfang ins Spiel: Nora von Waldstätten spielt diese Nadine mit berückend hitziger Coolness, eine Frau aus Fredericks Vergangenheit, die ebenso der Grund dafür ist, dass er sich selbst verloren hat, wie auch letzter Antrieb, sich wiederzufinden, mag der Preis dafür auch noch so hoch sein. Schwerkraft – das kann das Leben meinen, es meint aber ganz gewiss die Liebe.
Immer wieder wird der Zuschauer überrascht – Schwerkraft beweist, dass Anspruch und Spaß kein Widerspruch sind, sondern im Kino Hand in Hand gehen können. Und spätestens, wenn im Schlussbild die Bewegung des Films endlich ihr Ziel erreicht hat, und man ins Gesicht von Nora von Waldstätten blickt, weiß man in diesem wohltuend amoralischen, durch und durch gelungenen Film, dass sich Verbrechen unter Umständen doch auszahlen.