Deutschland 2019 · 80 min. · FSK: ab 6 Regie: Annekatrin Hendel Drehbuch: Annekatrin Hendel Kamera: Martin Farkas, Johann Feindt, Holly Tischmann Schnitt: Gudrun Steinbrück |
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Spiegelstadium revisited (Foto: RealFiction/itworks) |
Es sind gute Zeiten für die langsam im Strudel der Vergessenheit und Ostalgie versinkenden, alten DDR angebrochen. Zumindest in der Weise, wie sie rezipiert wird. Sei es Dresens Gundermann, Goldsteins Adam und Evelyn, Fritzi – Eine Wendewundergeschichte oder Annekatrin Hendels Familie Brasch – sie alle werfen – ohne jede Ostalgie – einen deutlich differenzierten, »empathischeren« Blick auf das »andere« Deutschland, als es Künstler in den Jahrzehnten davor getan haben.
Auch Annekatrin Hendels neuer Film Schönheit & Vergänglichkeit führt diesen paradigmatischen Diskurs einer »Neubesinnung« erfolgreich weiter. Dieses Mal konzentriert sie sich allerdings nicht auf eine Familie und ihr Umfeld, sondern auf zwei in den ausgehenden DDR-Zeiten bekannte Fotografen, die sehr unterschiedlich die Subkultur des Ostberlins der 1980er Jahre porträtiert haben und auch Teil von ihr waren und die beide in Nach-DDR-Zeiten unterschiedlichere Wege nicht hätten nehmen können. Sven Marquardt wurde zum Türsteher im »Berghain« und einer Symbolfigur des Berliner Nachtlebens, führte jedoch nach einer Auszeit, in der er als Fotograf nichts mehr glaubte sagen zu können, seine Karriere als Fotograf auf internationaler Ebene fort, ohne dabei Berlin je zu verlassen. Robert Paris, überragender Chronist eines Ostberlins, das zwar verfiel, aber in diesem Verfall schöner nicht hätte fotografiert werden können, entschied sich »sein Berlin« zu verlassen, weil es nach der Wende zunehmend verschwand. Er ging nach Südindien, trat für eine Heirat mit einer Inderin zum Islam über und fotografiert nun die schöne Vergänglichkeit des subtropischen Indiens.
Hendel porträtiert diese konträren Wege völlig unvoreingenommen, ohne zu werten, ohne zu hinterfragen, warum der eine einen Wikipedia-Eintrag hat und der andere nicht. Sie wechselt zwischen Szenen aus der Vergangenheit, zeigt eine Melange aus Kunst-Musik- und Mode-Happenings, die Punk-Szene, kollektives Wohnen in einer DDR, in einem Ostberlin, das den meisten im Westen (und wahrscheinlich auch im Osten) unbekannt sein dürfte, und sucht bei den Beteiligten von damals die Schatten der Vergangenheit.
Doch mehr als Schatten findet sie das Licht. Denn sowohl Marquardt als auch Paris sind keine verbitterten, sich selbst und ihrer Vergangenheit entfremdete Menschen, sondern haben auch – jeder auf seine Weise – das versucht weiterzuleben, was auch schon vorher wichtig für sie war., sind sich treu geblieben. Statt für Jahre zu verstummen wie Thomas Brasch, der sich aus seinem »bipolaren« Verhältnis zur DDR erst spät hat befreien können, sind Marquard und Paris schon schnell neue Wege gegangen, um sich von ihrem eigenen Schicksal zu emanzipieren. Dazu gehört auch fast schon »psycho-architektonisch« die Gegenwart wie eine Schablone über die Vergangenheit zu legen – großartigen Fotomontagen, in denen Hendel mit Paris zu den Orten seiner Fotografien zurückkehrt und der Betrachter erkennt, dass im Lauf der Jahre eine ganze Stadt verschwunden ist. Gleichzeitig wird dabei jedoch auch deutlich, dass eine Stadt zwar verschwinden mag, aber ihre Menschen so bleiben, wie sie waren, in all der Schönheit, die Vergänglichkeit erst möglich macht.
Doch Hendel zeigt uns noch mehr als diese alten, im gleichen Jahr geborenen Freunde und ihre disparaten Lebenslinien. Mit Marquardts wohl wichtigstem Model zu DDR-Zeiten, Dominique »Dome« Hollenstein, legt Hendel in ihrer Suche nach verlorener Zeit und Gegenwart ein weiteres Mosaik in den Raum, wirft Hendel auch einen Blick auf die so anders sozialisierten Frauen zu DDR-Zeiten, fügt auch hier lose, biografische Notizen leichthändig zu einem komplexen Spektrum des Erinnern und Reflektierens zusammen und macht auch mit dieser Lebenslinie deutlich, dass die DDR eben nicht nur DDR und dann doch wieder ganz eindeutig DDR war. Denn Hendels »Dome« ist in ihrer Vergangenheit und in ihrer Gegenwart nicht anders als Volker Koepps großartige, unvergessene Frauen in»Wittstock«, die ihr im betrieblichen DDR-Korsett geformtes Selbstbewusstsein in das Prekariat westlicher Moral nicht nur hinübergerettet haben, sondern damit auch erfolgreich bestehen. In Abgrenzung, aber auch im Zusammensein, im Gehen wie im Bleiben, im Erinnern und Leben.