Das schwarze Quadrat

Deutschland 2021 · 105 min. · FSK: ab 12
Regie: Peter Meister
Drehbuch:
Kamera: Felix Novo de Oliveira
Darsteller: Bernhard Schütz, Sandra Hüller, Jacob Matschenz, Pheline Roggan, Christopher Schärf u.a.
Filmszene »Das schwarze Quadrat«
Auf der Suche nach verlorenen Identitäten und guter Musik
(Foto: Port-au-Prince/24 Bilder)

Wenn die Wüste blüht

Peter Meisters fulminantes Regiedebüt Das schwarze Quadrat ist nicht nur eine Komödie, die sich vor Slapstick nicht scheut, sondern auch ein intelligentes Vexierspiel, das die genauso hinterfragt wie Identitäten

Wenn Komödien funk­tio­nieren, ist es, als würde die Wüste blühen. Wer das einmal in Namibia, etwa in Mariental, erlebt hat, weiß, wie schön das sein kann – und wie selten es ist. Es braucht nur eins: guten Regen. So wie eine Komödie im Grunde auch nur eins braucht: ein gutes Drehbuch. Die gab es in letzter Zeit, zumindest in Deutsch­land, leider eher selten. Schon die Titel der letzten Produk­tionen sprechen für sich: Becken­rand Sheriff, Genera­tion Bezie­hungs­un­fähig, Es ist nur eine Phase, Hase – da hilft nicht mal Dauer­regen.

Aber mit Sönke Wortmanns Contra vor knapp einem Monat wurde es endlich besser, viel­leicht auch, weil die Grundlage ein fran­zö­si­sches Drehbuch war. Mit Peter Meisters Regie­debüt Das schwarze Quadrat jeodoch kann man nun tatsäch­lich von einer wild blühenden Wüste in Deutsch­land und von Glück sprechen, dass Meister nach dem Erhalt des Tankred Dorst-Dreh­buch­preises für seinen Stoff auch den Film hat produ­zieren können. Was auch deshalb nicht selbst­ver­ständ­lich ist, weil Meister Auto­di­dakt ist – also an keiner renom­mierten Film­hoch­schule Regie gelernt hat – und es, wie schon gesagt, sein Debüt ist.

Aber Meister hat es geschafft und auf den dies­jäh­rigen 55. Hofer Filmtagen nicht nur den Förder­preis Neues Deutsches Kino erhalten, sondern auch den Hofer Kriti­ker­preis. Völlig zurecht, denn Meisters Komödie ist eben nicht nur eine Komödie, die sich vor Slapstick nicht scheut, sondern auch ein intel­li­gentes Vexier­spiel, das den Kunst­be­trieb genauso hinter­fragt wie Iden­ti­täten.

Doch allein schon der vorder­grün­dige Plot mit seiner klas­si­schen Screwball-Comedy-Archi­tektur hat es in sich. Zwei Kunsträu­bern gelingt es, einen Klassiker der russi­schen Avant­garde aus einem Museum zu entwenden, Kasimir Male­witschs Das Schwarze Quadrat. Aber als der ältliche und beleibte Vincent (Bernhard Schütz) und sein junger Kollege Niels (Jacob Matschenz) auf dem Kreuz­fahrt­schiff einche­cken wollen, auf dem die Übergabe des Bildes an den Käufer statt­finden soll, taucht ihr Kumpel nicht auf, der für die Übergabe ihrer (falschen) Pässe zuständig ist. In ihrer Not betäuben sie zwei spät kommende Passa­giere, entwenden ihnen Pässe und Gepäck, ohne zu wissen, dass sie damit auch das musi­ka­li­sche Bord­pro­gramm über­nommen haben und nun als Elvis- und David Bowie-Double auftreten müssen. Was umso delikater ist, als beide mit Musik nichts am Hut haben – Vincent ist ehema­liger Maler, der sich frus­triert vom Kunst­be­trieb abgewandt hat und nun lieber Bilder stiehlt statt sie zu malen, und Niels ist eher bildungs­fernen Regionen der deutschen Gesell­schaft zuzu­ordnen. Aber beide tun ihr Bestes, um zu überleben, vor allem, als Sandra Hüller und Phelina Roggen in über­ra­schenden Auftritten das Tempo der Komödie noch einmal sichtlich erhöhen.

Dabei gelingt es Meister nicht nur, mit dem Genre zu spielen und Klassiker wie Manche mögen’s heiß von Billy Wilder zu zitieren, in dem Wilders Helden in ähnlich klaus­tro­pho­bi­sche Verwechs­lungs­bäder stürzen, erst in einem Zug, und später auf einer Yacht. Und dann ist es wiederum das Tempo und die anar­chi­sche Wucht von Blake Edwards, etwa in seinem völlig unter­schätzten Spätwerk Skin Deep, in dem ebenfalls mit iden­ti­täts­su­chendem Wahnsinn und über­kom­menen Männer­bil­dern um sich geschmissen wird.
Aber Meister schüttelt dieses Asso­zia­ti­ons­an­ge­bote auch gleich wieder ab und eröffnet statt­dessen mit leichter Hand eine Exegese von Male­witsch und seinem Werk (und dem gegen­wär­tigen »Kunst­be­trieb« an sich) und lässt den geklauten Male­witsch einfach so oft kopieren, wie Male­witsch sein Werk nach 1915 selbst kopiert hat. Und dann ist da selbst­ver­ständ­lich noch die Musik, die hier mit einer weiteren Verwechs­lung in grotes­kester Weise verball­hornt wird, indem die möglichen Elvis- und Bowie-Rollen einfach gegen den Strich besetzt werden.

Dass dies dann aber nicht nur zu einem Inkar­na­ti­ons­ri­tual im Fremd­schämen wird, liegt nicht nur an Meisters souver­äner Regie, die Dialoge, Slapstick und die immer schneller pochende Handlung mit atem­be­rau­bend perfektem Timing mitein­ander verwindet, sondern auch an Meisters Ensemble, das mit blindem Vertrauen und wilder Wucht zu Meisters Klaviatur tanzt, singt, spielt, liebt, labert, doziert und stolpert, als ob es wirklich um das blanke Überleben ginge.

Viel­leicht hätten im letzten Drittel zehn Minuten weniger Meisters Film noch perfekter und schneller gemacht, gibt es hier doch ein paar Längen, aber wie wäre es ohne diese neu eröff­neten Plot­volten um das wunder­bare Ende bestellt gewesen, und dann, mein Gott, ist das nichts als Klagen auf hohem Niveau, hat selbst ein Iden­ti­täts-Komödien-Schocker-Klassiker wie Dennis Dugans und Adam Sandlers You Don’t Mess with the Zohan seine verschleppten Momente, ist der Anspruch auf ewiges Wachstum ja im Grunde eh der Kern unserer gegen­wär­tigen ökolo­gi­schen Misere und vieler anderen Miseren. Statt­dessen also lieber lachen, auch über das Ungenü­gende, und eine ver-rückte Verket­tung von Tief- und Flachsinn, wie sie am deutschen Komö­di­en­himmel nur ganz selten vorkommt.